Abgründiger Spaß: Tobias Kratzer zeigt in der Deutschen Oper mit Zemlinskys „Der Zwerg“ ein Psychogramm des Komponisten. Eine bejubelte Premiere

Die Premiere von Alexander von Zemlinskys Oper „Der Zwerg“ endet im Publikumsjubel vor allem für die Solisten und den Regisseur. Tobias Kratzer lässt im Schlussbild seiner Inszenierung an der Deutschen Oper die Büste Zemlinskys aufstellen. Es passt zu seiner Regieidee eines Komponisten-Psychogramms und offenbart beiläufig, wie tief er sich auf den nach wie vor unterschätzten Komponisten eingelassen hat. Zu Lebzeiten war der Wiener Zemlinsky ein beliebtes Opfer von Karikaturisten, er galt als ausgesprochen hässlicher Mann. Sein erst spät wieder entdeckter Einakter „Der Zwerg“, in dem eine Prinzessin zum 18. Geburtstag einen singenden Zwerg geschenkt bekommt, ist ein sehenswertes Außenseiterstück im Opernbetrieb. Eine Künstleroper par excellence.

Kratzer gehört zu den großartigen Regisseuren, die komplizierteste innere Verwicklungen in einem modernen geradlinigen Plot sichtbar machen können. Diesmal erzählt er eine Handlung in zwei Stücken fort. Als Prolog ist dem insgesamt nur anderthalbstündigen Abend Arnold Schönbergs Begleitmusik zu einer Lichtspielscene für Orchester vorangestellt.

Szenisch wird der biografische Background vorgeführt. Von November 1900 bis Dezember 1901 war die junge Alma (spätere Mahler) Kompositionsschülerin des acht Jahre älteren Alexander von Zemlinsky. In ihrem Tagebuch findet sich bezüglich einer ernsten Beziehung folgender Satz: „Er so hässlich – so klein, ich so schön – so groß.“ Auf der Bühne hat Rainer Sellmaier einen grauen Salon nebst Flügel herrichten lassen. Einziger Farbfleck ist Pianistin Adelle Eslinger in der Rolle der Alma. Pianist Evgeny Nikiforov als Alex ist ihr verfallen, in der achtminütigen Pantomime wird musiziert, ein bisschen geturtelt, aber sie stößt ihn zurück.

Der Zwerg erscheint in doppelter Gestalt

In der Oper wechselt die Szene ins heutige Handy-Zeitalter, das Geburtstagsfest soll in einem reinweißen Privat-Konzertsaal stattfinden. Infantin Clara ist ein junges Girlie im Glitzerkleid, die nur Party im Kopf hat. Mit ihrem strahlenden Sopran weiß Elena Tsallagova dieser oberflächlichen Figur überraschend viele Facetten zwischen Häme, Zugewandtheit und eisiger Kälte zu geben. Der ihr geschenkte Zwerg habe noch nie in seinem Leben in einen Spiegel geschaut, weiß das ganze Partyvolk (wunderbar: der Frauenchor des Hauses), und sei ahnungslos über seine Hässlichkeit. Das verspricht abgründigen Spaß.

In jedem Künstler steckt ein großer und ein kleiner Mann. Der Zwerg erscheint in der Inszenierung in doppelter Gestalt: Tenor David Butt Philip singt mit aufbrausend zweifelnder Attitüde und ohne jedes Schmachten, er ist der Künstler, das Innere, das Selbstverständnis. Der kleinwüchsige Schauspieler Mick Morris Mehnert stellt das Sichtbare, den der Welt ausgelieferten Außenseiter dar. Irgendwann schaut er in den Spiegel und zerstört sich selbst. Die Personenführung ist grandios. Emily Magee als Lieblingszofe Ghita steuert berührende Empathie bei. Das von Donald Runnicles geleitete Orchester setzt in seinem Breitwandsound vor allem auf Sehnsucht und Aufbegehren.

Deutsche Oper Berlin, Bismarckstr. 35, Charlottenburg. Kartentel. 343 84 343. Termine: 27. und 30. März, 7. und 12. April 2019