Madama Butterfly gerät in die Fänge der Sextouristen

Warum nur werden Schmetterlinge mit Nadeln aufgespiesst? Das Theater Basel gibt mit Puccinis Oper eine eigenwillig zeitgemässe Antwort.

Martina Wohlthat, Basel
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Das Liebesspiel vor dem Rasierspiegel nimmt das Ende vorweg: Die Sopranistin Talise Trevigne als Ciò-Ciò-San und Otar Jorjikia in der Rolle des amerikanischen Marineleutnants Pinkerton. (Bild: Priska Ketterer)

Das Liebesspiel vor dem Rasierspiegel nimmt das Ende vorweg: Die Sopranistin Talise Trevigne als Ciò-Ciò-San und Otar Jorjikia in der Rolle des amerikanischen Marineleutnants Pinkerton. (Bild: Priska Ketterer)

Drachen, Masken und mit Blumen geschmückte Kronen – der russische Regisseur Vasily Barkhatov spart im ersten Akt seiner Inszenierung von Puccinis Oper «Madama Butterfly» am Theater Basel nicht mit Klischees. Kurzerhand werden wir in ein globalisiertes Asien versetzt, die Romanze des Amerikaners Pinkerton mit der Geisha Butterfly wird als flüchtiges Abenteuer in den Gefilden des Sextourismus angerichtet. Um die Geschichte von Butterfly nicht auf einen Ort zu beschränken, zeigt Barkhatov eine Szenerie, die nicht auf das im Libretto vorgestellte Japan am Ende des 19. Jahrhunderts verweist, sondern frei assoziative Bildchiffren aus dem asiatischen Kulturraum verwendet. Die Hochzeitsszene spielt in einer Mischung aus thailändischer und balinesischer Kostümierung. Die Camouflage wird auf der Bühne fortgeführt. Nichts ist hier echt.

Am Ende des ersten Aktes kommt ein wenig Hoffnung auf. Puccinis Kunst besteht darin, dass sie uns wider besseres Wissen hoffen lässt auf einen Umschwung der Gefühle. Aber auch hier ist der verführerisch schön besungene Tod in scheinbar harmlosen Worten und Bildern allgegenwärtig. Die Vorzeichen des Todes durchziehen die Oper sogar in den rauschhaften Melodien des Liebesduetts. «Welch komische Gewohnheit die Menschen im Westen doch haben, gefangene Schmetterlinge auf Holzbrettern aufzuspiessen», wundert sich Butterfly.

Pinkerton antwortet ihr, dass man Schmetterlinge mit Nadeln festmacht, um sie am Fortfliegen zu hindern. Erst wird der Schmetterling Butterfly aufgespiesst, dann geht er elendiglich zugrunde. Zuerst die Liebesnacht, dann Pinkertons Rasiermesser. In seinem Honeymoon filmt sich das Paar vor dem Spiegel. Am Schluss wird sich Butterfly mit dem Messer die Pulsadern aufschneiden. Butterflys Selbstmord ist als Akt der Rache inszeniert. Sie will, dass Pinkerton sieht, was er angerichtet hat.

Drastische Dialoge

Die Titelrolle wird in der Basler Inszenierung von der amerikanischen Sopranistin Talise Trevigne grandios verkörpert. In nichts gleicht sie dem in der Oper besungenen unerfahrenen Mädchen. Sie tritt als lebenslustige, selbstbewusste Frau auf, die an die Ehrlichkeit von Gefühlen glaubt – mit fatalen Folgen. Um sie herum wird das Komplott geschmiedet und mit erstaunlicher Klarheit und Brutalität verhandelt.

Die heute übliche Fassung wird in der Basler Neuinszenierung in den Rezitativen um einige Stellen aus der Erstfassung der Oper ergänzt, um die Drastik in den Dialogen hervorzustreichen und die von Puccini angestrebte Glättung rückgängig zu machen. Dies gilt besonders für den unverblümt zur Schau gestellten Kolonialismus. Pinkerton und der amerikanische Konsul prosten sich mit Whisky aus dem Duty-free-Shop und den Worten «America for ever» zu. Es sind jedoch nicht solche plakativen Darstellungen, sondern die psychologische Aufschlüsselung der Charaktere, die dem zweiten Teil Spannung verleihen.

Dies gelingt allerdings nicht durchweg. Pinkertons Läuterung vom grossspurigen Widerling zum mitfühlenden Verliebten vermag nicht recht zu überzeugen. Auch wenn der georgische Tenor Otar Jorjikia mit viel lyrischem Schmelz stimmlichen Luxus verbreitet, taugt seine Rolle wenig zum Sympathieträger. Er kauft sich ein Stück Glück auf Zeit. Die Komplettlösung, die er vom Heiratsvermittler Goro (Karl-Heinz Brandt) erwirbt, umfasst neben der kleinen Frau Schmetterling ein Glashaus mit elegantem Mobiliar von der Stange.

Die Glaswände indessen erweisen sich als heikle Technik, so dass Intendant Andreas Beck in der Premiere nach der Pause vor das Publikum treten und erklären muss, warum das smarte Glas der Scheiben nicht, wie beabsichtigt, von milchig zu glasklar wechselt. Der Durchblick im Glashaus war darum zwar stellenweise getrübt, die Absicht der Regie indes so überdeutlich, dass das wenig ausmachte. Denn längst haben wir begriffen: Frauen werden im Stück, koste es, was es wolle, an den Mann gebracht.

Wenn Madama Butterfly an die Illusion der Liebe glaubt, hat dies schreckliche Folgen für sie und ihren Sohn. Der Knabe erscheint im zweiten Teil wie eine blonde Trophäe, als Unterpfand einer betrogenen Liebe. Und es ist nicht ganz auszuschliessen, dass Butterfly in ihrer Verzweiflung bis zum Äussersten geht. Einmal beugt sie sich mit einem Kissen über das Kinderbett, und man hält den Atem an. Danach verschwindet das Kind von der Bildfläche. Als Pinkerton und seine neue amerikanische Frau den Knaben abholen wollen, scheint er nur noch als fixe Idee zu existieren.

Leuchtende Klänge

Butterflys Aussichtslosigkeit im Glashaus entwickelt im Zusammenwirken mit Puccinis sehnsuchtsvoller Melodik eine beklemmende Wirkung. Unter der musikalischen Leitung von Antonello Allemandi bringt das Sinfonieorchester Basel die raffinierten Klänge zum Leuchten. Fliessende Tempi und gerundete Übergängen schaffen den perfekten Rahmen für die Gesangslinien. Denn vor allem ist dies ein grossartiger Abend des Gesanges auf ausgebreiteten Flügeln.

Stimmlich stark sind Suzuki (Kristina Stanek) und Sharpless (Domen Krizaj). Im Mittelpunkt aber steht Talise Trevigne als Butterfly, die im zweiten Teil mit ihrer nuancenreichen Stimme für eine Fülle an vokalen Glanzlichtern sorgt. Während Butterfly auf Pinkertons Rückkehr wartet, läuft ihr Leben als Film im Zeitraffertempo auf den blinden Scheiben ab. Ein verwackelter Amateurfilm als Einziges, was vom Lebenstraum übrig bleibt, das ist bitter.

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