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Roméo et Juliette

Drame lyrique in einem Prolog und fünf Akten
Text von Jules Barbier und Michel Carré nach der Tragödie Romeo and Juliet von William Shakespeare
Musik von
Charles Gounod

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln 

Aufführungsdauer: ca. 3h 5' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Düsseldorf am 30. März 2019


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Rheinoper
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Kritischer Blick auf eine tragische Liebesgeschichte

Von Thomas Molke / Fotos von Hans Jörg Michel

Charles Gounods Vertonung Roméo et Juliette gehört in Deutschland zwar nicht gerade zum Standardrepertoire, folgt in der Struktur allerdings wesentlich näher Shakespeares berühmter Tragödie als beispielsweise Bellinis 1830 uraufgeführte Oper I Capuleti e i Montecchi. Und wie es bei Klassikern heutzutage so üblich ist, sucht ein Regie-Team gerne die Herausforderung, die Geschichte in eine andere Zeit zu verlegen und dadurch für ein heutiges Publikum aktueller und relevanter zu machen. Auch Philipp Westerbarkei, der im Rahmen der Plattform "Young Directors" vor drei Spielzeiten in Duisburg recht erfolgreich Bernsteins Trouble in Tahiti in Szene gesetzt hat (siehe auch unsere Rezension), interessiert sich laut eigenem Bekunden im Programmheft für eine moderne und kritische Sicht auf die Figuren, die frei von einer Jahrhunderte alten idealisierenden Überlieferung ist. Ein Aspekt dabei ist, dass die beiden Titelpartien stimmlich derart anspruchsvoll sind, dass die beiden Solisten keinesfalls das Alter und die kindliche Unbeschwertheit der Protagonisten im Stück besitzen können. Deshalb doppelt Westerbarkei das Liebespaar und lässt zwischen den Akten bis zur Pause immer wieder ein junges verliebtes Paar auftreten. Das Mädchen (Maria Sauckel-Plock) trägt das gleiche silberne Glitzerkleid wie Luiza Fatyol als Juliette und kommt im Gegensatz zu dem Jungen (Egor Reider) ihrem Alter Ego dabei optisch relativ nah. Die eingefügten Szenen erschließen sich allerdings nicht wirklich, führen zwischen den Akten im ersten Teil lediglich zu einem retardierenden Moment, der vielleicht die Möglichkeit gibt, das Bühnenbild hinter dem Vorhang umzugestalten. Auch dass die Herren des Chors über die junge Frau herfallen und der junge Mann sich bemüht, seine Geliebte vor der Gesellschaft zu schützen, liefert kein tieferes Verständnis für die eigentliche Erzählung.

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Roméo (Oviciu Purcel, Mitte) soll auf dem Maskenball der Capulets auf andere Gedanken kommen (2. von rechts: Mercutio (Bogdan Baciu), hinten Mitte: Stéphano (Maria Boiko) mit Mitgliedern des Opernchors).

Das erste Treffen zwischen Roméo und Juliette findet bei Westerbarkei nicht auf einem Maskenball statt, auf dem sich Roméo mit seinen Freunden inkognito einschleicht, sondern auf einem großen italienischen Volksfest, Ferragosto. In dieser Woche rund um Mariae Himmelfahrt am 15. August machen fast alle Italiener Urlaub und feiern die ganze Nacht hindurch. Tatjana Ivschina hat den Chor und die Solisten dafür mit buntem Party-Outfit ausgestattet. Mercutio (Bogdan Baciu) wirft als eine Art Entertainer glitzerndes Konfetti hinter sich. Eine weiße Marienstatue im Hintergrund deutet den Anlass der Feierlichkeiten an. Ein großer Felsen auf der Bühne erschließt sich genauso wenig wie die im zweiten Akt übereinander gestapelten Stühle, die Juliettes Balkon darstellen. Es ist schon eine sehr wackelige Angelegenheit, wenn Ovidiu Purcel als Roméo Luiza Fatyol als Juliette helfen muss, in ihrem engen silbern glitzernden Kleid den Berg aus Stühlen hinabzusteigen. Für das traumhafte Duett, das die beiden singen, hätte man ihnen eine innigere Personenregie gewünscht. Doch schwülstige Romantik ist in Westerbarkeis Inszenierung noch nicht einmal den jungen Verliebten vergönnt. Irritierender ist, dass Westerbarkei die zahlreichen Nebenfiguren immer wieder als Strippenzieher in der sich anbahnenden Tragödie betrachtet. So ist es beispielsweise Mercutio, der Roméo regelrecht auf Juliette ansetzt, und mit Tybalt (Ibrahim Yeşilay) ein undurchsichtiges Spiel spielt. In dem tödlichen Duell im dritten Akt nimmt Mercutio Tybalt zunächst in den Arm, bevor er von diesem mit einem Messer niedergestochen wird. Tybalt kniet anschließend trauernd über Mercutios Leiche, so dass es für Roméo ein Leichtes ist, an ihm Rache zu nehmen.

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Graf Capulet (Michael Kraus) will, dass seine Tochter Juliette (Luiza Fatyol) den Grafen Pâris heiratet (schräg links hinter Juliette: Gértrude (Marta Marquez)).

Noch freier geht Westerbarkei in den letzten beiden Akten nach der Pause mit der Geschichte um. Tybalt erscheint mit blutüberströmtem Hemd als eine Art Geist, um die Katastrophe herbeizuführen. Da bedarf es gar nicht des Schlaftrunks, der Juliette in einen todesähnlichen Zustand versetzen soll. Juliette leert das Fläschchen, das ihr Bruder Laurent gibt, nicht, sondern wirft es weg. Ihr Hochzeitskleid wird wie eine Leiche in den Saal getragen. Als ihr Vater sie zum Altar führen will, taucht Roméo plötzlich Roméo unter den Anwesenden auf und erhebt Einspruch gegen die zu schließende Ehe. Das hat Gounod natürlich so nicht komponiert. Folglich muss Roméo die Worte sprechen, die zum Eklat bei der Hochzeit führen. Während gemäß Libretto Juliette nun zusammenbrechen müsste, erklärt Graf Capulet in seiner Ehre gekränkt, dass seine Tochter für ihn nun gestorben sei. Juliette ist also im letzten Akt auch nicht in der Gruft aufgebahrt, sondern sitzt im Hintergrund und beobachtet Roméo, wie er verzweifelt vor ihrem Hochzeitskleid kniet und das Gift trinkt. Wieso sie ihn nicht daran hindert, erschließt sich nicht. Noch undurchsichtiger wird der Schluss. Juliette überlegt, sich mit einem Dolch zu töten, nachdem ihr Geliebter Roméo tot zu ihren Füßen liegt. Doch plötzlich wird die schwarze Rückwand der Gruft in den Schnürboden gezogen und zeigt erneut die Hochzeitsgesellschaft. Graf Capulet schleift seine Tochter zum Altar, so dass sie am Ende nicht stirbt, sondern doch Pâris' Frau wird. Soll der gemeinsame Liebestod mit Roméo nur eine Vision gewesen sein, dem Juliette dann schlussendlich doch eine unglückliche Ehe mit einem ungeliebten Mann vorzieht? Ist im "fortgeschrittenen Alter" die romantische Illusion eines gemeinsamen Liebestodes vorbei?

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Der tote Tybalt (Ybrahim Yeşilay) erscheint Juliette (Luiza Fatyol) als Geist.

Während die Regie sicherlich einige Fragen aufwirft, begeistert die musikalische Umsetzung mit einer Fülle an bezaubernden Melodien. Da ist zunächst einmal der von Gerhard Michalski einstudierte Chor der Deutschen Oper am Rhein zu nennen, der die Oper nach der Ouvertüre mit einem großartigen Prolog eröffnet, in dem die nachfolgende Handlung wie bei Shakespeare kommentiert und das tragische Ende bereits vorweggenommen wird. Darstellerisch überzeugen die Choristen beim Fest im ersten Akt und den großen Tableaus im dritten und vierten Akt. Unter die Haut geht auch der große Klagegesang "O  jour de deuil" am Ende des dritten Aktes, wenn Tybalts und Mercutios Tod betrauert wird. Auch die kleineren Partien sind von Gounod mit wunderbaren Arien bedacht worden. Zu nennen ist hier beispielsweise Mercutio, der sich direkt im ersten Akt auf dem Maskenball über seinen Freund Roméo lustig macht, weil dieser aufgrund eines unguten Gefühls den Ball wieder verlassen möchte. Bogdan Baciu begeistert in der Arie "Mab, la reine des mensonges" mit markantem Bariton, während er mit lebhaftem Spiel die Unberechenbarkeit der "Königin der Träume und Illusionen" vor Augen führt. Maria Boiko präsentiert mit jugendlich frischem Mezzo Roméos Pagen Stéphano in der Arie "Que fais-tu, blanche tourterelle", in der sie die Capulets provoziert und sie mit Geiern vergleicht, in deren Nest sich eine Turteltaube (Juliette?) verirrt hat. Wieso sie in dieser Szene direkt zu Beginn schon in der Gewalt der Capulets ist, erschließt sich allerdings nicht. Ibrahim Yeşilay verfügt als Tybalt über eine kräftige Mittellage. In den Höhen ist sein Tenor allerdings noch ein bisschen ausbaufähig. Hier forciert Yeşilay an einigen Stellen etwas zu stark. Bogdan Taloş begeistert als Bruder Laurent mit profundem Bass.

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Roméo (Ovidiu Purcel) und Juliette (Luiza Fatyol) in der Gruft

Eine Aufführung dieser Oper steht und fällt natürlich mit der Besetzung der beiden Titelpartien, und auch hier verfügt die Deutsche Oper am Rhein über eine ideale Besetzung aus dem Ensemble. Sowohl Luiza Fatyol als auch Ovidiu Purcel, die in Düsseldorf als Mitglieder des Opernstudios begonnen haben, stellen erneut ihre stimmlichen Qualitäten unter Beweis und präsentieren sich nach Verdis Violetta und Alfredo erneut als Traumpaar. Fatyols großer Sopran ist zwar für die Partie der Juliette stellenweise schon ein bisschen zu schwer, verfügt aber dennoch über enorme Beweglichkeit und ist zu großen dramatischen Ausbrüchen fähig. Ihre große Arie im ersten Akt "Je veux vivre", in der Juliette ihre Lebensfreude auf dem Maskenball besingt, gestaltet Fatyol mit sauber angesetzten Koloraturen und großer Strahlkraft. Großartig gestaltet sie Juliettes innere Zerrissenheit im vierten Akt, wenn sie Graf Pâris heiraten soll und weiß, dass sie damit ein Sakrileg begeht. Purcel begeistert als Roméo mit traumhaft schönem tenoralen Schmelz. Einer der zahlreichen musikalischen Höhepunkte des Abends ist seine Kavatine im zweiten Akt "Ah! Lève-toi, soleil", in der er sich Juliettes Erscheinen auf dem Balkon herbeisehnt. Beim "parais" schwingt er sich mit scheinbarer Leichtigkeit in grandiose Höhen empor, ohne dabei zu forcieren. Auch die vier großen Duette mit Fatyol sind an musikalischer Innigkeit kaum zu überbieten. Besonders unter die Haut geht das große Liebesduett "Nuit d'hyménée", in der die beiden ihre Hochzeitsnacht feiern, bevor Roméo ins Exil gehen muss. Auch das Abschiedsduett in der Gruft "Viens! Fuyons au bout du monde!" rührt zu Tränen, bevor Roméo an den Folgen des Giftes stirbt.

Michael Kraus, Marta Márquez, Joseph Lim und Richard Šveda runden als Graf Capulet, Amme Gértrude, Grégorio und Pâris das Solisten-Ensemble hervorragend ab. Die Düsseldorfer Symphoniker schwelgen unter der Leitung von David Crescenzi in den süffigen Klängen der Partitur und reißen das Publikum mit dem hohen Emotionsgehalt der Musik regelrecht mit, so dass es am Ende verdienten Beifall für alle Beteiligten gibt. Auch das Regie-Team reiht sich ohne Unmutsbekundungen in den Jubel ein.

FAZIT

Nicht alles ist szenisch nachvollziehbar, aber das kann den musikalischen Genuss dieser Produktion nicht stören.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
David Crescenzi

Inszenierung
Philipp Westerbarkei

Bühne und Kostüme
Tatjana Ivschina

Mitarbeit Choreographie
Victoria Wohlleber

Chor
Gerhard Michalski

Licht
Volker Weinhart

Dramaturgie
Anne de Paço

 

Düsseldorfer Symphoniker

Chor der Deutschen Oper am Rhein

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Juliette
Luiza Fatyol 

Roméo
Ovidiu Purcel

Mercutio
*Bogdan Baciu /
Dmitri Vargin

Graf Capulet
Michael Kraus

Tybalt
Ibrahim Yeşilay

Gértrude
Marta Márquez

Stéphano
Maria Boiko

Grégorio
Joseph Lim

Bruder Laurent
Bogdan Taloş

Pâris
Richard Šveda

Herzog von Verona
*Sargis Bazhbeuk-Melikyan /
James Martin

Junge Verliebte
*Maria Sauckel-Plock /
Teresa Zschernig
*Egor Reider

Manuela
Maria Carla Pino Cury

Pepita
Karina Repova

Angelo
Luis Fernando Piedra

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Deutschen Oper am Rhein
(Homepage)



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