Es gibt Opernabende, an deren Ende man sich einfach freut, etwas Nettes gesehen und gehört zu haben, nach Hause geht und friedlich einschläft. Und dann gibt es Vorstellungen mit Ermonela Jaho. Nach diesen Abenden sitzt man nicht selten tränenüberströmt im Saal, hätte gerne ein Kriseninterventionsteam zur Bewältigung des Gesehenen an seiner Seite und ist selbst Stunden danach immer noch völlig aufgewühlt. Diese Frau ist ein emotionales Großereignis und ihrer Interpretation von Giacomo Puccinis Madama Butterfly sollte eigentlich ein Warnhinweis vorangestellt werden.

Um im Publikum gemeinschaftliches Schluchzen auszulösen, ist die albanische Sopranistin nun an die Bayerische Staatsoper gekommen und erfüllte die vorab in sie gesetzten Erwartungen in jeglicher Hinsicht. Stimme und Darstellung sind bei Jaho untrennbar miteinander verbunden und so klingt die Stimme im ersten Akt ebenso jugendlich und lieblich wie diese Butterfly schüchtern auf der Bühne erscheint. Tief ergreifend ist sie dann im verzweifelten Hoffen des zweiten Akts und wenn die Stimme am Beginn des „Un bel dì“ wie aus dem Nichts erklingt, ist Gänsehaut garantiert. Wie die großen Meister der Zuckerbäckerkunst feinste Karamellfäden spinnen, so spinnt Jaho mit ihrem Sopran berückende Piani, in denen stets ihre ganze Seele mitschwingt. Als Cio-Cio-San erkennen muss, dass Pinkerton nicht mehr zu ihr zurückkehren wird, schien Ermonela Jaho regelrecht in sich zusammen zu sinken und auch aus ihrer vokalen Gestaltung wichen von diesem Moment an die warmen, verliebten Klangfarben der puren Verzweiflung. Zutiefst erschütternd gestaltete sie dann mit dramatischen, vokalen Ausbrüchen den Abschied Butterflys von ihrem Sohn und die finale Selbsttötung; diese gesamte letzte Szene brachte sie so erschreckend real auf die Bühne, dass es eine große Erleichterung war, als sie bei ihrem Solovorhang danach doch wieder lebendig war.

In die Verzweiflung gestürzt wurde sie von Riccardo Massis Pinkerton, der rollenbedingt nicht den leichtesten Stand beim Publikum hatte, denn als unsensiblem Idioten fliegen einem die Sympathien nun mal nicht zu. Massi ließ aber mit seinen strahlenden Höhen, dem ebenmäßigen Timbre und kluger Phrasierung zumindest stimmlich keine Wünsche offen. Mit einigen Schluchzern garniert sang er ein sehr schönes „Addio fiorito asil“, das ehrliche Reue anklingen ließ. Seine Darstellung war den gesamten Abend über hingegen relativ steif und distanziert, was zu diesem Charakter jedoch zugegebenermaßen nicht schlecht passte.

Den amerikanischen Konsul Sharpless stattete Boris Pinkhasovich mit profundem Bariton aus und positionierte sich vom ersten Ton an als herzensguter Mann, der Pinkertons Absichten durchschaut und ablehnt; das ebenso elegante wie warme Timbre seiner Stimme ergänzte diese Interpretation ideal. An Cio-Cio-Sans Seite litt Annalisa Stroppa als treue Dienerin Suzuki, die von vornherein zu ahnen scheint, wie diese Ehe enden wird. Das Timbre der Italienerin erinnert an fruchtigen Merlot; ihren in allen Lagen herrlich ansprechenden Mezzo und ihre starke Bühnenpräsenz setzte sie herzergreifend ein, um (Zweck-)Optimismus an den Tag zu legen. Aus der Fülle an kleinen Rollen stachen besonders die Opernstudiomitglieder Niamh O’Sullivan als weich und voll klingende Kate Pinkerton hervor, ebenso Boris Prýgl in der Rolle des reichen Yamadori, der mit üppig strömendem Bariton um Cio-Cio-San warb.

Am Pult stand anstelle des erkrankten Karel Mark Chichon Daniele Callegari, der das Bayerische Staatsorchester im ersten Akt noch passagenweise etwas zu hektisch, aber bereits mit viel Italianità in den Abend starten ließ. Nach der Pause nahm er sich dann hörbar mehr Zeit und Ruhe für herrliche Puccini-Bögen und kostete so die großen Emotionen des Werks wunderbar aus. Die Musiker bewiesen nicht nur ihren Sinn für breites Farbspektrum in vielfältigen Facetten, sondern auch für das gerade richtige Maß an überbordender Theatralik; etwa in den seufzenden Streichern, die im Intermezzo mit den Figuren regelrecht mitweinten. Selbst in den dramatischeren Momenten ging weder mit dem Dirigenten noch mit dem Orchester die Dynamik durch; eine bestechende Balance zwischen Stimmen und Instrumenten zeichnete den Abend aus.

Die seit 1973 bestehende Inszenierung von Wolf Busse ist nach wie vor praktikabel und unaufgeregt und bietet zuweilen klischeehafte Japonaiserie für die Geschichte der armen Butterfly. Besteht bei jahrzehntelang existierenden Inszenierungen oft die Gefahr, dass die Personenregie verloren geht und sie psychologisch nur an der Oberfläche kratzen, beweist diese Aufführungsserie, dass die richtigen Singschauspieler jede noch so verstaubte Inszenierung mit neuem Leben füllen können. Bei dieser Madama Butterfly war es allen voran Ermonela Jaho, die den rundum hochklassigen Abend sowohl vokal als auch emotional nochmals auf ein ganz anderes, außergewöhnlich hohes, Level hob. Das Tragen von wasserfester Wimperntusche und/oder das Mitführen von Taschentüchern sei an dieser Stelle ausdrücklich empfohlen!

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