Mit Im weißen Rössl und Axel an der Himmelstür hat die Volksoper gleich zwei höchst erfolgreiche Benatzky-Stücke in ihrem Operettenrepertoire, was sich in erster Linie der blühenden Phantasie ihrer Regisseure verdankt (Josef E. Köpplinger bzw. Peter Lund). Aller guten Dinge sind drei, hat man sich daher wohl gedacht, als man auf die Suche nach einer dispositionstechnisch unkomplizierten (also chor- und ballettlosen Operette) ging. Man stieß auf Meine Schwester und ich, das im selben Jahr (1930) wie das Weiße Rössl entstand, und eine Kehrtwende in Benatzkys Schaffene markierte: weg von grandiosen Ausstattungsrevuen, hin zur Kammeroperette.

Damit sind wir beim Wort „Unterhaltung“ gelandet, und dafür braucht man sich nicht zu genieren: Späßchen hier und dort, ein paar Überraschungsmomente, viel Chaos, darin zwei junge Leute, die, gestört von einem alten Dummkopf und einem aufgeblasenen Adligen, nett singen und laut Textbuch „die Figur schwenken“. Das klingt nach einem bekannten Operettenmuster, bei dem die Handlung fast nebensächlich ist, allerdings ist letztere in diesem Fall nicht uninteressant gestrickt.

Ohne Ouvertüre werden wir in einen Gerichtssaal geworfen, in dem die Scheidung des Musikwissenschaftlers Dr. Roger Fleuriot von Dolly, Prinzessin Saint-Labiche verhandelt werden soll. Als Scheidungsgrund wird „gegenseitige unüberwindliche Abneigung“ geltend gemacht, doch wahrscheinlicher ist, dass Fleuriot mit seinem erheirateten Status nicht zurechtkommt. Um der Sache auf den Grund zu gehen, begibt man sich zwei Akte lang auf Lokalaugenschein in die Vergangenheit der beiden.

Im ersten Akt erlebt man das Schwärmen der Prinzessin für den abweisenden Bücherwurm Fleuriot, der die Bibliothek in ihrem mondänen Pariser Wohnsitz ordnen soll, dieses Projekt aber zugunsten einer Professur in Nancy beendet. Er reist spontan ab, doch zwingt die verliebte Prinzessin ihr Glück mit einer List. Sie überredet Fleuriot (mit Geld und Alkohol), ihrer Schwester in Nancy ein Päckchen zu überbringen. Letztere soll dort – nach einer gescheiterten unstandesgemäßen Beziehung – als Schuhverkäuferin arbeiten.

Diese Schwester gibt es natürlich nicht, denn die Prinzessin hat vor, den Angebeteten als einfaches Mädel von sich zu überzeugen. Hals über Kopf lässt sie sich nach Nancy chauffieren, um in einem abgehalfterten Schuhsalon höchstpersönlich Verkäuferin zu spielen, während ihre Vorgängerin Karriere bei der Revue macht und vielleicht sogar den ungarischen Prinzessinnen-Onkel zum Mann bekommt. Wie von Dolly geplant, verliebt sich der Herr Professor in sie, und alles ist gut.

Oder doch nicht? Muss ein Mann sich einer Frau überlegen fühlen, damit sein Blut in Wallung kommt? Derlei Klischees gehen heutzutage wohl, wenn überhaupt, nur mehr in der Operette durch… Immerhin werden wir zum Schluss noch einmal daran erinnert, dass diese Ehe ohnehin am Scheitern ist, das Gericht aber gerne ein Happy End sähe: Es vertagt die Scheidungssache Fleuriot und ermahnt den jammernden Ehemann, sich beim Reichsein doch nicht so anzustellen.

Das Ganze wird von Volksopern-Hausherr Robert Meyer offenbar werkgetreu inszeniert, in zwei wunderschönen Bühnenbildern von Christof Cremer: eine elegante zweistöckige Bibliothek mit Geländern aus Messing und ein Schuhsalon in vielen Grünschattierungen. Darin wird von den Protagonisten vornehmlich Tango und Walzer getanzt (kompetent unterstützt vom Jugendchor, insofern ist man doch wieder bei Chor und Ballett gelandet). Alle Gesangsnummern entwickeln sich organisch aus dem Gesprochenen, wobei die einzig wirklich bekannte „Ich lade Sie ein, Fräulein“ ist (neben einem Verschnitt von Cole Porters „Let’s Do It“).

Musikalisch eingerichtet wurde der Abend von Guido Mancusi, der auch lebhaft dirigierte, unter anderem Saxophone und ein echtes Schlagzeug. Instrumental hatte die Schwester, die keine ist, genug Pep, aber trotzdem kam die Chose in der ersten Hälfte nicht so recht voran. Das änderte sich allerdings im zweiten, und liegt wohl am Neuigkeitswert einer Operette im Schuhsalon.

In diesem Rahmen bekommt eine sachunkundige Schuhverkäuferin wie die Prinzessin von Lisa Habermann auch reichlich Gelegenheit für Situationskomik – vielleicht färbte auch das komische Talent von Johanna Arrouas ab, die als echte (und unterbeschäftigte) Schuhverkäuferin Irma einmal mehr ein Genuss war. Beide Damen sind hohe Soprane, wobei man Habermann anhört, dass sie vom Musical kommt, aber das ist in diesem Stück kein Schaden – hier ist eine leichte Soubrette schon richtig. Ebenfalls vom Musical kommt Lukas Perman (Fleuriot), weshalb das Liebespaar jugendlich frisch klingt, auch wenn man Perman den Intellektuellen nicht unbedingt abnimmt.

Carsten Süss genoss seinen ungarischen Akzent als Prinzessinnen- Onkel (oder doch ‑Verehrer?), und Herbert Steinböck glühte die Rolle des vertrottelten Schuhhändlers Filosel bereits für Robert Meyer vor, der diese zu einem späteren Zeitpunkt übernehmen wird. Beide Herren haben viele Fans, aber der Effekt der ständigen Wortverdrehungen, die Filosel von sich gibt, nutzt sich leider ab – daran sowie an der (sinnvollen) elektronischen Verstärkung der Stimmen könnte man noch Feineinstellungen vornehmen. Die Lautstärke, die beim Singen aus dem Bühnenhintergrund im Publikum ankommt, würde für das Singen an der Rampe ausreichen. Wie dem auch sei: einer freudigen Aufnahme durch das Publikum stand das nicht im Weg.

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