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Belcanto-Fest in opulenter Inszenierung Von Thomas Molke / Fotos: © Opéra Royale de Wallonie-Liège Obwohl Gaetano Donizetti 1830 in der Opernszene kein Neuling mehr war und im Süden Italiens bereits große Erfolge verbuchen konnte, stellte die Uraufführung der Anna Bolena in Mailand einen markanten Wendepunkt seiner Karriere dar, da er sich mit diesem Werk endgültig von Rossinis Einfluss löste und ihm nun auch international große Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Bis in die 1870er Jahre erfreute sich diese Oper in ganz Europa großer Beliebtheit, verschwand dann allerdings wie die meisten anderen Werke Donizettis zum Ende des 19. Jahrhunderts von den Spielplänen der europäischen Bühnen. Erst 1957 erlebte die Oper durch eine legendäre Aufnahme mit Maria Callas eine Renaissance, und die Titelpartie entwickelte sich seitdem zu einer Traumrolle für Sopranistinnen wie Edita Gruberova, die bis zu ihrer Abschiedsvorstellung in München vor ein paar Wochen den Ruf als Primadonna assoluta des Belcanto-Gesangs genoss, und Anna Netrebko, die in den vergangenen Jahren in Wien und an der Met mit dieser Partie große Erfolge verbuchen konnte. In Liège hat man nun für die Rolle der Anna die russische Sopranistin Olga Peretyatko verpflichten können, die ebenfalls zu den aufstrebenden Stars der Belcanto-Szene zählt und den Vergleich mit den Ikonen dieser Partie in jeder Hinsicht aufnehmen kann. Anna Bolena (Olga Peretyatko) sorgt sich um ihre Stellung als Königin. Das Stück wird häufig zusammen mit Maria Stuarda und Roberto Devereux als Tudor-Trilogie bezeichnet, da sich Donizetti in diesen drei Opern auf Vorlagen unterschiedlicher Librettisten mit der Geschichte des englischen Königshauses im 16. Jahrhundert auseinandersetzt. In Anna Bolena beschäftigt er sich mit dem Ende der zweiten Frau von Heinrich VIII. (Enrico VIII.), die auch gleichzeitig die Mutter der späteren Königin Elisabeth I. war. Schon zu Beginn der Oper will Enrico seine Frau loswerden, da er sich leidenschaftlich in ihre Hofdame Jane Seymour (Giovanna Seymour) verliebt hat. Er plant, Anna der Untreue zu überführen, indem er ihren ehemaligen Verehrer Lord Riccardo Percy aus der Verbannung zurückholt. Doch Anna wehrt sich standhaft gegen Percys Avancen. Dennoch gelingt es Enrico, seine Frau mit Percy und dem Pagen Smeton in ihren Gemächern zu überraschen, und als Smeton, der die Königin ebenfalls verehrt, ein Medaillon von Anna verliert, sieht Enrico den Verdacht des Ehebruchs bestätigt, beschuldigt sie auch noch des Inzests mit ihrem Bruder Lord Rochefort und lässt alle in den Kerker werfen. Während Giovanna Anna anfleht, den Treuebruch zu gestehen, um ihr Leben zu retten, weist Anna dieses Ansinnen empört von sich und ist wie Smeton, Percy und ihr Bruder Rochefort bereit, für ihre Ehre in den Tod zu gehen. Auf ihrem Weg zur Hinrichtung hört sie in der Ferne, wie Enrico Giovanna zum Traualtar führt. König Enrico VIII. (Marko Mimica) liebt Giovanna Seymour (Sofia Soloviy). Intendant Stefano Mazzonis di Pralafera zeichnet höchstpersönlich für die Inszenierung verantwortlich und gestaltet sie in historisch opulenten Bildern, die man allgemein mit der Geschichte verbindet. Als Vorhang fungiert ein riesiger Prospekt mit einem relativ bekannten Gemälde der Titelfigur. Die Partie ab den Augen aufwärts ist allerdings hinter einem roten Vorhang verborgen. Vielleicht sind die Maße dieses Prospektes für ein anderes Haus angepasst, das die Produktion gemeinsam mit Liège herausgebracht hat. Das Bühnenbild von Gary McCann vermittelt mit hohen dunklen Bögen einen prächtigen Eindruck des Königspalastes. Durch einzelne zusätzliche Elemente lässt sich der Raum leicht verändern. So taucht im ersten Akt beispielsweise das Schlafgemach aus dem Hintergrund mit auf beiden Seiten emporführenden Treppen auf. Enrico kann folglich Anna beim vermeintlichen Ehebruch mit Percy und Smeton im Schlafgemach von oben beobachten. Für die Kerkerszene wird eine Wand aus dem Schnürboden herabgelassen, die an eine alte Gefängnismauer erinnert und sehr solide wirkt. Für die Schlussszene werden wieder die beiden Treppen hineingeschoben, auf denen sich in der Mitte nun das Schafott befindet. Der Hintergrund zeigt einen wolkenbehangenen grauen Himmel, der Annas auswegslose Situation beschreibt. Auch die Kostüme von Fernand Ruiz sind absolut opulent und historisierend gehalten und lassen den Zuschauer in das 16. Jahrhundert eintauchen. Anna trägt in jeder Szene eine andere aufwendig gestaltete Robe. Enrico (Marko Mimica, links) beschuldigt Anna (Olga Peretyatko) und ihre Jugendliebe Lord Pery (Celso Albelo, rechts) des Ehebruchs. Doch die Aufführung bietet nicht nur etwas für die Augen. Auch musikalisch ist die Produktion hochkarätig besetzt. Olga Peretyatko darf als Idealbesetzung für die Titelpartie bezeichnet werden. Mit großartigem dramatischen Sopran, der in den Tiefen enorme Durchschlagskraft besitzt, stattet sie die Königin mit einer Grandezza aus und bewältigt auch scheinbar spielerisch die koloraturgespickten Höhen. In der großen Schlussszene reißt sie mit ihrer intensiven Darstellung das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Mazzonis di Pralafera lässt als Statistin ihre Tochter, die zukünftige Königin Elisabeth I., auftreten und schenkt damit Peretyatko zusätzliche bewegende Momente. Unter die Haut geht auch das große Duett mit Celso Albelo als Lord Percy im ersten Akt, in dem sie seine leidenschaftlichen Liebesbekundungen schweren Herzens zurückweist. Albelos kräftiger, höhensicherer Tenor und Peretyatkos strahlender Sopran finden hier zu einer betörenden Innigkeit. Auch ansonsten meistert Albelo die anspruchsvolle Partie ohne Abstriche. Francesca Ascioti glänzt mit warmem Timbre in der Hosenrolle des Smeton und spielt die Gefühle des jungen Mannes für die Königin überzeugend aus. Vor allem ihre große Kavatine im ersten Akt, mit der Smeton die traurige Königin aufzuheitern versucht, bleibt in Erinnerung. Aussprache zwischen zwei Rivalinnen: Anna Bolena (Olga Peretyatko, rechts) und Giovanna Seymour (Sofia Soloviy) Marko Mimica stattet die Partie des Königs Enrico VIII. mit dunklem, kräftigem Bass aus. Dabei wird auch stimmlich deutlich, dass er das Interesse an Anna verloren hat und sein Herz jetzt für Giovanna schlägt. Zu Beginn der Aufführung sieht man ihn mit einer unbekleideten Frau im Bett. Diese Frau soll wahrscheinlich Giovanna sein, wird aber nicht von Sofia Soloviy, die die Partie übernommen hat, gespielt. Soloviy gestaltet die Partie der Rivalin mit dunkel gefärbtem Sopran, der einen guten Kontrast zu Peretyatkos Stimme bildet. In ihrem Duett mit Mimica im ersten Akt wird stimmlich bereits klar, dass diese beiden Figuren nun zusammengehören. Ein weiterer Höhepunkt ist Soloviys Duett mit Peretyatko im zweiten Akt, in der Giovanna der Königin gesteht, selbst die verhasste Rivalin zu sein. Hier finden Peretyatkos und Soloviys Stimmen am Ende wunderbar zusammen und zeigen, dass Anna bei aller Enttäuschung dennoch Verständnis für ihre Rivalin aufbringt. Luciano Montanaro und Maxime Melnik runden als Annas Bruder Lord Rochefort und Sir Hervey die Leistung des Ensembles musikalisch überzeugend ab. Der von Pierre Iodice einstudierte Chor der Opéra Royal de Wallonie lässt als Hofdamen und Gefolge des Königs ebenfalls stimmlich und darstellerisch keine Wünsche offen. Giampaolo Bisanti arbeitet mit dem Orchester der Opéra Royal de Wallonie die unterschiedlichen Klangfarben der Partitur differenziert heraus und achtet stets darauf, die Solisten nicht zu überdecken. So gibt es am Ende für alle Beteiligten großen und verdienten Jubel. FAZIT Anhängern des modernen Regie-Theaters mag die Inszenierung vielleicht altbacken erscheinen. Musikalisch dürften aber auch sie auf ihre Kosten kommen. Wer konventionelle Produktionen mag, dürfte absolut begeistert sein.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühnenbild Kostüme Licht Chorleitung
Orchester und Chor Statisterie
Solisten*Premierenbesetzung Anna Bolena Giovanna Seymour Lord Riccardo
Percy Enrico VIII. Smeton Lord Rochefort Sir Hervey Elisabeth I.
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