Oper contra Politik: Donald Trump im Doppelpack

Mit «Nixon in China» und «Girls of the Golden West» hat der Amerikaner John Adams zwei Bühnenwerke mit dezidiert politischen Bezügen zur Gegenwart geschaffen. Das bedeutet nicht nur in ästhetischer Hinsicht eine immense Herausforderung.

Marco Frei, Stuttgart/Amsterdam
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Goldige Demagogen: Shigeo Ishino als Henry Kissinger und Michael Mayes als Richard Nixon in John Adams’ «Nixon in China» an der Oper Stuttgart. (Bild: Matthias Baus / Staatsoper Stuttgart)

Goldige Demagogen: Shigeo Ishino als Henry Kissinger und Michael Mayes als Richard Nixon in John Adams’ «Nixon in China» an der Oper Stuttgart. (Bild: Matthias Baus / Staatsoper Stuttgart)

Er umarmt die US-amerikanische Flagge – sie ist ganz in Gold gefasst. Sein breites Grinsen lässt ihn noch naiver erscheinen. Alles ist auf Showeffekt getrimmt. Dieser Richard Nixon wirkt wie Donald Trump, und seine Frau Pat könnte genauso gut Melania heissen. Es sind frappierende Parallelen, die Marco Štorman in seiner pointierten Neuinszenierung des Dreiakters «Nixon in China» von John Adams an der Staatsoper Stuttgart schonungslos offenlegt – zum Glück allerdings mit viel ironischer Distanz.

Alice Goodmans Libretto zu der 1987 entstandenen Oper greift den Besuch von Richard Nixon in der Volksrepublik China im Februar 1972 auf. Es war der erste Staatsbesuch eines US-Präsidenten im Reich der Mitte überhaupt, zudem das erste direkte, mehrtägige Treffen eines westlichen Regierungschefs mit Mao Zedong. Dieser Staatsbesuch verkommt zusehends zu einer Inszenierung, in der Sein und Schein, Trug und Wirklichkeit gefährlich ineinanderfliessen.

Fake und Fakt

In diesem Machtspiel zählt einzig, starke, aussagekräftige Bilder zu erschaffen, die grösstmögliche mediale Wirkung erzeugen. Deswegen studieren Michael Mayes als Nixon, Shigeo Ishino als Henry Kissinger und Matthias Klink als Mao eifrig die Titelbilder internationaler Zeitungen. Sonst aber wirkt Mao in Štormans Regie und den Kostümen von Sara Schwartz wie der Anführer einer Sekte, der seine eigene Wahrheit definiert und rigoros durchsetzt – auch mithilfe jener blutigen «Kulturrevolution», der Abermillionen zum Opfer fallen.

Die Worte des «Erleuchters» sind Gesetz, festgeschrieben in roten Mao-Bibeln, die die Szene von Frauke Löffel beherrschen. Chiang Ch’ing, die Frau Maos, verwaltet und wacht streng über sie. Die amerikanische Sopranistin Gan-ya Ben-gur Akselrod zeichnet sie als diabolisch-schaurige, geradezu besessene «Muse» eines Massenmörders. In seiner Inszenierung jongliert Štorman gekonnt mit Bildern und Gesten, die sich tief in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben – politische Ikonen eben, Inszenierungen der Macht.

Mit dem Nixon-Porträt gelingt Štorman ein besonderer Coup, weil sich hier das Gestern und Heute vermischen – ganz subtil und dennoch eindeutig. Von dem Trickser und Täuscher Nixon, der sich seine eigene Wirklichkeit konstruiert, bis er über die «Watergate»-Affäre stürzt, ist es nur ein Katzensprung zu Donald Trump. Deswegen umarmt Štormans Nixon die amerikanische Flagge – eine Geste von Trump, die unlängst um die Welt gegangen ist. Für Gold hegt dieser bekanntermassen eine besondere Vorliebe.

Selbst in der Aussenpolitik sieht Štorman deutliche Parallelen, obwohl beide auf diesem Gebiet diametral unterschiedlich agieren – auf den ersten Blick jedenfalls. So führt sich Nixon, ein Rassist und hemmungsloser Demagoge, als Friedensstifter auf, dem es um Entspannung und Aussöhnung geht. Dieses Bild von sich möchte er in der Welt verbreitet wissen, auch deshalb der China-Besuch von 1972. Mit diesem will Nixon die diplomatischen Beziehungen normalisieren. Trump hingegen setzt auf Konfrontationen – das Ergebnis aber ist das gleiche.

Die Entspannungspolitik von Nixon ermöglicht zugleich den Aufstieg Chinas zur Weltmacht, und von dem Konfrontationskurs, den Trump allseits fährt, profitiert heute erneut vor allem China. In der Stuttgarter Lesart von Štorman werden es Nixon und Trump sein, die aus China eine Supermacht gemacht haben. Sein Nixon merkt nicht im Geringsten, wie sehr er mitten in einem Kampf der Systeme steckt und gezielt instrumentalisiert wird. Nur seine Frau Pat, dargestellt von Katherine Manley, ahnt zusehends, in welcher abgründigen Propagandaschlacht sie sich befinden. Auch in der Abgeklärtheit, die Jarrett Ott als chinesischer Premierminister Zhou Enlai an den Tag legt, wird eine Distanz wahrnehmbar.

Inszenierungen der Macht

John Adams war ohne Frage nie ein Anhänger von Nixon. Mit dieser Oper hat er denn auch lange gehadert und gerungen. Ihm ging es vorrangig um politische und mediale Inszenierungen, für die auch vermeintlich unantastbare Werte kurzerhand geopfert werden. Dabei konnte Adams 1987 nicht ahnen, wie hochbrisant und gegenwärtig seine erste Oper einmal wirken würde, eingeholt, ja überholt von der Realität – 32 Jahre später. In der Zwischenzeit hat Adams weitere Bühnenwerke geschaffen, zuletzt 2017 seine «Girls of the Golden West». Darin schreibt Adams seine spezifische Form einer zeitkritischen Polit-Oper fort – diesmal ganz unmittelbar vor dem Hintergrund der derzeitigen Politik in den Vereinigten Staaten.

Beim diesjährigen «Opera Forward Festival» in Amsterdam wurde nicht einfach die europäische Erstaufführung des Zweiakters realisiert, sondern faktisch die Uraufführung einer revidierten Fassung der «Girls». Tatsächlich ist das Finale komplett neu entstanden; obendrein wurden ein Drittel des zweiten sowie Teile des ersten Aktes abgeändert, vor allem in der Orchestrierung und in der Ausgestaltung der Übergänge. Die Handlung nach einem Libretto von Peter Sellars, zugleich Regisseur der Produktion, ist jedoch unverändert geblieben.

Der Titel erinnert natürlich überdeutlich an Giacomo Puccinis «La fanciulla del West» von 1910 (die Puccini selbst gern schlicht als sein «Girl» bezeichnete); umso mehr, als auch die Oper von Adams zur Zeit des Goldrauschs um 1850 in Kalifornien spielt. In einem Goldminen-Lager an einem Fluss begegnen sich Menschen, die unterschiedlichen sozialen Hintergründen entstammen. Dame Shirley, dargestellt von Julia Bullock, kommt aus dem Osten der USA, gut ausgebildet und aus gehobenen Verhältnissen. Sie reist mit dem schwarzen Cowboy Ned Peters (Davóne Tines) an. Ah Sing hingegen ist eine Prostituierte aus China (Hye Jung Lee), mit der sich die weissen Goldgräber vergnügen – allen voran Joe Cannon (Paul Appleby).

Bald rückt Joe in den Mittelpunkt der Handlung, neben Josefa (J’Nai Bridges) und Ramón (Eliot Madore). Die beiden sind Latinos aus Mexiko und müssen ihre Liebe geheim halten. Im Verlauf der Oper werden die weissen Minenarbeiter immer gewaltbereiter und rassistischer. Als sich Joe an Josefa vergehen will, wehrt sich diese und ersticht ihn. Was folgt, ist ein Ausbruch roher, offen rassistischer Gewalt gegen alle, die anders sind – gegen Chinesen, Afroamerikaner und Mexikaner.

Inspiriert vom US-Wahlkampf

Der weisse Mob tobt und begeht Lynchjustiz. Schliesslich wird Josefa zum Tode verurteilt und gehängt – der verstörende Höhepunkt der Oper. Kurz vor der Uraufführung im Herbst 2017 in San Francisco bekannte Adams auf Nachfrage, dass die aufgeheizte Stimmung der letzten Präsidentschaftswahlen in den USA die Entstehung des Werks begleitet habe. «Für mich war dies das Indiz dafür, dass es in den USA derzeit eine Bewegung gibt, die dem Geist der 1850er Jahre sehr ähnelt», erklärte Adams im Gespräch.

In seiner Inszenierung möchte Peter Sellars nicht so weit gehen. Auf der Bühne befindet sich ein riesiges Gebilde, das den Stumpf eines uralten Mammutbaums aus Kalifornien darstellen soll – gefällt von Menschenhand. Man kann dieses Bild als Assoziation begreifen, weil sinnbildlich demokratische Werte gefällt werden. Sellars hält sich freilich generell mit Deutungen zurück, überlässt es ganz dem Publikum, was es in dem Stoff dieser Oper sehen möchte. Genau dies wird zum Problem seiner Regie.

Sellars bietet keine Interpretation, und schon gar nicht bezieht er so klar Stellung, wie dies Štorman in Stuttgart tut. Schade! Dafür aber gestalten in Amsterdam die Rotterdamer Philharmoniker unter der Leitung von Grant Gershon die charakteristischen Loops in Adams' minimalistischer Musik sehr viel präziser als das Staatsorchester Stuttgart unter André de Ridder. In Amsterdam wird die Dynamik perfekt ausbalanciert, unerhört farbenreich, mit stupender rhythmischer Prägnanz. «Joe war ein ehrenwerter Mann», wiederholt der Mob im Chor pausenlos und rückt dabei Josefa immer näher. Jäh bricht die Musik ab, und unter fragilen, jenseitigen Klängen der Streicher hebt ein Monolog der Gelynchten an. So brutal kann die Oper die Echtzeit widerspiegeln.

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