"Powder Her Face" in der Wiener Volksoper: Die Zigarette danach wird in der Oper eher nicht gern gesehen.

Foto: Barbara Pálffy/ Volksoper Wien

Sie war ein Kind ihrer Zeit und ihrer Klasse, rassistisch und versnobt. Untypisch und klassenübergreifend war ihr sexueller Appetit: In einem Scheidungsprozess wurde Margaret Campbell, Duchess of Argyll, dafür an den Pranger gestellt. 1993 starb die ihrer finanziellen Potenz verlustig Gegangene im Pflegeheim, kaum zwei Jahre später fand sie in der Erfolgsoper Powder Her Face zu neuem Bühnenleben.

Philip Henshers rückblickseliges Libretto ist geschickt gebaut, lässt es aber an Tiefe fehlen. Auf Rosenkavalier-Weisheiten einer Fürstin Werdenberg – wie ihre britische Standesgenossin keine Kostverächterin von Frischfleisch – hofft man bei Hensher vergeblich. Sein Textbuch liebäugelt mit der Groteske, wie auch die Musik des jungen Thomas Adès Schillerndes und Schräges vereint, Exzentrik und Laszivität.

Sexuelles Ringen

Zur Tangomusik zu Beginn und zu Ende der Oper fiel Regisseur Martin G. Berger leider nichts anderes ein, als auf einem langen Laufsteg (Bühne: Sarah-Katharina Karl) Laokoon-Gruppen des sexuellen Ringens zu arrangieren: jeder mit jedem und so. Als die Herzogin in der vierten Szene mit einem Hotelpagen Sex hat, ist man vom vorangegangenen Dauerherumgemache längst übersättigt.

Warnung: Wer Bergers (erst ab 16 Jahren freigegebene) Inszenierung gesehen hat, möchte lange keinen Sex mehr haben. Zudem frisiert die Regie die Herzogin auch noch zur queeren Ikone auf – echt supi, wenn Homosexualität so mit Sexsucht gleichgesetzt wird. Schade auch, dass das uniforme Styling der vier Akteure zu Beginn das Verständnis der ersten Szene verunmöglicht.

Seide und Fetisch

Glücklich, wer sich noch an die famose Powder Her Face-Produktion der Musikwerkstatt erinnern kann. Apropos Styling: Alexander Djurkov Hotter bietet erst schwarze Spitze, pfirsichfarbene Seide und ein bisschen Fetisch und läuft dann beim Stichwort abgetakelte Diva zur Hochform auf. Apropos Hochform: Dies ist ein Begriff, der einem bei Wolfram-Maria Märtig nicht einfällt. Mal erinnert der Deutsche an einen mäßig ambitionierten Verkehrspolizisten, mal an einen jungen Pfarrer, der seine Schäfchen segnet. Immerhin: Märtig gibt dem patenten Ensemble Einsätze. Dass Dirigieren auch etwas mit der Vermittlung von Emotionen zu tun hat, hat ihm leider noch keiner gesagt.

Zum Glück wissen das die vier Sänger aber auch so. Ursula Pfitzner gibt die Divenpartie der Herzogin mit Lust und Intensität, kann raumgreifend und kann schmeichelsanft singen. Vokal energiegeladen und spielfreudig wirken auch Morgane Heyse und David Sitka (in diversen Partien); Bart Driessen hat mit den Endloskantilenen leichte Probleme. Ob die durchgeknallte Unternehmung Erzherzog Ludwig Viktor, dem ehemaligen Hausherren, wohl gefallen hätte? Crazy Premierengekreische im Casino am Schwarzenbergplatz. (Stefan Ender, 14. 4. 2019)