„Ist's ein Traum?“ Der kleine blau geschminkte Mohr (in trefflich tänzerischer Hosenrolle) aus dem Gefolge der Marschallin malt es kunstvoll noch vor dem Heben des Bühnenparavants auf Blätter und heftet sie an den Vorhangstoff, lacht und winkt zum Vergnügen des Publikums. Alles nicht so schlimm! Ist die Geschichte am Ende wirklich nur eine „Weaner Maskerad“, oder eine Metamorphose, die auf die Umbrüche in der Gesellschaft hinweist?

Richard Strauss' Rosenkavalier wurde nach seinem Erscheinen 1911 als Rückschritt im Vergleich zu Elektra oder Salome bezeichnet, ein aus der Zeit gefallenes Relikt. Er selbst hatte eine Art Mozart-Oper vor Augen, wollte auch in tragischen Konflikten die Musik nicht vom Anspruch entbinden, schön zu sein. Hugo von Hofmannthals Libretto verlegte die Handlung in eine „behauptete“ Realität der Zeit Maria Theresias. Sehnsüchte nach der guten alten Zeit waren da, wenn in der Gegenwart die Ständeordnung zerbröckelte, arrangierte Ehen aus der Mode kamen und Neureiche den Charme alter Palais herunterkommen ließen. Zu seelischen Umbrüchen führt solch neues Rollenverständnis allemal, und auch musikalisch hat Strauss die Charaktere mit Ironie und Doppelbödigkeit ausgestattet und wirbelnde Walzer zu Valses brisées brechen lassen.

Alfred Kirchner war freier Opernregisseur mit durchaus kritischen Werkinszenierungen, etwa an der Wiener und Hamburger Staatsoper. Seine Neuinszenierung von Wagners Ring in Bayreuth hinterließ 1994 im kahlen Kunstwelt-Ambiente eines abstrakt geschichtslosen Raums mehr Ratlosigkeit als Rausch. Eher behutsam modellierte Kirchner in Leipzig 1998 Strauss' Beziehungsspiel in die Umgebung des beginnenden 20. Jahrhunderts, lässt komödiantisch und bodenständisch agieren, erlaubt Wohlgefühl von warmtöniger Ausstrahlung. Kein süßlicher Rosenkavalier also, erst recht keiner mit politisierenden Blicken auf den drohenden Ersten Weltkrieg. In den zerschlissenen Rokoko-Polstern des Gemachs der Feldmarschallin fühlt man sich ebenso wohl wie in Marcel Kellers diagonal angeschnittener Beisl-Spelunke; die nüchtern und lieblos türkis angestrichenen Wände in Faninals Palais unterstreichen nur dessen Geschäftstüchtigkeit. Detailgetreu gestaltete Joachim Herzog die Rokoko-Reifröcke mit Panier sowie Kostüme und Livrée der Bediensteten aus der Jahrhundertwende.

Strauss weist der Musik in der Komödie den herausragenden Platz zu, spielt wie Wagner mit musikalischer Motivik als Vorahnung oder Wiedererkennung von Charakteren und Situationen. Mitunter können Worte völlig untergehen, im Klangkosmos grell leuchtende und polytonal überscharfe Akkorde seelischen Zusammenbruch bedeuten. Daneben nimmt „unerhört“ moderne Tonfärbung von Flöten, Harfe, Celesta und Violinen gefangen, spiegelt schimmernde Glätte einer silbernen Rose wie Augenblicke liebenden Erkennens.

Ulf Schirmer, Generalmusikdirektor des Opernhauses, hat seit Jahren die Opern von Wagner und Strauss als tragende Säulen des Spielplans aufgebaut. Dies gelingt auch dank der bewundernswerten Kompetenz des Gewandhausorchesters, das mühelos neben dem Kraftakt der Strauss-Oper ein personalintensives Symphoniekonzert gegenüber im Gewandhaus gestalten kann. Schirmers schwungvolles Dirigat zeigte alle Facetten der anspruchsvollen Partitur auf, modellierte zarten Schmelz im Separée, seliges Sinnen im Walzertakt ebenso wie dissonantes Prügelgetöse der angetrunkenen Lerchenauer. Im ersten Akt bestachen vor allem die leise verhaltenen Stellen, neben denen in turbulentem Forte kleine Wackler des Blechs auftraten; in den weiteren Akten spielte sich das mit Großsymphonik erfahrene Orchester durchgängig in einen lebhaft schillernden polychromen Klangrausch.

Im bewundernswert hohen Niveau des aus dem Leipziger Ensemble bewählten Damen-Terzetts ragte Kathrin Göring (vor Jahren offenbar schon als hitzsporniger Octavian dort ideal besetzt) nun als Feldmarschallin deutlich heraus; bei ihrer jugendlich-warmherzigen Ausstrahlung musste man schmunzeln, sie klagen zu hören, dass der Friseur sie alt gemacht habe. Ihre Monologe gestaltete sie außergewöhnlich zart, vibratoarm und mit fein fokussiertem Ton, der Strauss' komponierte Melodielinie umso leuchtender freigab. Eine absolut überzeugende Fürstin der leisen Art, deren Weisung und Wort im Palais umso nachdrücklicher Bedeutung gewannen: ihre Regentschaft im Durcheinander der Domestiken, Händler und Bittsteller, die ihr Gemach im ersten Akt fast sprengten, war ebenso überzeugend wie ihr innig-vertrauter Liebesdialog mit dem jugendlich ungestümen Octavian.

Dass im Geflecht der Beziehungen diesem „Sehen und Hören vergehen kann“, machte Wallis Giunta als ebenbürtiges Gegenüber glaubhaft: sie bewegte sich verführerisch wie herrlich androgyn in der Haut des jungen Octavian, und als Zofe Mariandl gleichermaßen quicklebendig und komödiantisch. Trotz und jugendliche Leidenschaft verkörperte sie ausdrucksvoll genauso intensiv wie sie in ihrem kraftvollen Mezzo zum Ausdruck kamen. Bei ihrem ersten Treffen mit Sophie (mit leuchtend schöner und reiner Sopranlage: Olena Tokar), der Tochter Faninals, für die sie als Brautwerber bei der arrangierten Liaison mit dem Grafen Ochs fungieren soll, funkte es bereits kräftig; in Sophies sanfte Spitzentöne musste sich auch das Publikum verlieben!

Im Österreichischen geboren, hatte Karl-Heinz Lehner keine Probleme mit dem Wiener Idiom, parlierte ebenso schnell und wendig wie er den Ochs spielte; ein derb-sinnlicher wie intrigant-schmeichelnder Baron, dessen Bassfülle begeisterte. Stimmgewaltig besetzt auch die weiteren Rollen durch das Leipziger Ensemble ebenso wie der brillante Opernchor.

Zum Traum wurde schließlich das Schluss-Terzett der Damen, als nach dem Beisl-Fiasko des Ochs alle Kulissen in den Theaterhimmel verschwanden. Octavian bleibt zwischen Feldmarschallin und Sophie zurück, darf sie nach dem Verzicht der Fürstin umarmen. Fast paradox, wie die Präsenz der Liebenden im leeren Bühnenrund allein die Spannung verstärkte, zum traumhaften Moment zwischen Wunsch und Wirklichkeit wurde, den Rausch des glücklichen Paares im Zentrum wie durch ein Brennglas verstärkte.

****1