„Street Scene“ an der Kölner OperHinreißender amerikanischer Weill im Staatenhaus

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Jack Swanson als Sam und Emily Hindrichs als Rose vor Manhattan-Kulisse 

  • Kurt Weills „Street Scene“ erlebt im Staatenhaus eine tempo- und ideenreiche Inszenierung.
  • Europäische Opern- und Operettentradition verschmelzen mit klassischer amerikanischer Musik.
  • Das Gürzenich-Orchester und das vielköpfige Ensemble begeistern das Publikum.

Köln  – Im Zentrum steht ein simpler Plot, der indes mit der Wucht einer naturalistischen Tragödie vom Schlage Zolas oder Hauptmanns abbrennt: Der Bühnenarbeiter Frank Maurrant kommt zu früh von einer Dienstreise zurück, erwischt seine Frau Anna mit dem Eisverkäufer Sankey im Bett und erschießt, ohne lange zu fackeln, beide. Warum Gewalt in Kurt Weills „Street Scene“ – der Komponist selbst nannte sein Werk „An American Opera“ – derart destruktiv explodiert?

Es sind Armut, Würdeverlust, Ausbeutung und die Unfähigkeit, darüber angemessen zu kommunizieren, die den Betroffenen keinen anderen Ausweg zu lassen scheinen.

Oder doch? Der jüdische Marxist Abraham Kaplan empfiehlt immerhin die proletarische Revolution, aber im Kontext der Bühnenhandlung kommen seine Einlassungen derart lächerlich-sprechblasenhaft einher, dass sie als Deutungsperspektive für sie ausfallen – sie repräsentieren halt nur die unmaßgebliche Meinung eines Beteiligten.

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Das verdient vermerkt zu werden, denn angesichts seiner Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht in der Weimarer Zeit – deren zeitenüberdauerndes Resultat die ja durchaus klassenkämpferische „Dreigroschenoper“ war – könnte man für die nach einem Drama von Elmer Rice verfasste und 1947 in New York uraufgeführte „Street Scene“ einen ähnlichen Ideologie-Standort vermuten.

Konfliktreiche Lebenswelt im Einwandererviertel

Aber das ist eben nicht der Fall. Sicher wird hier die konfliktreiche Lebenswelt eines depravierten Einwandererviertels auf der Lower East Side in der Wirtschaftskrise der 30er Jahre entworfen, aber um das Zentrum der Sozialtragödie kreisen viele Szenen, in denen unbändige Lebenslust zum Ausdruck kommt, in denen die Leute Spaß haben, in denen der Amerikanische Traum geträumt wird. Tragik und Komik, Burleske und Groteske liegen da ohne saubere Genretrennung nahe beieinander.

Kurzum: Hier ist die Gesellschaftskritik broadway-fähig geworden – wie Weill selbst es seit seiner Emigration aus Europa mit einer Mischung aus Überlebenswillen und Anpassungsbereitschaft geworden war. Die Kölner (als Kooperation mit Teatro Real Madrid und Opéra de Monte-Carlo produzierte) Erstaufführung von „Street Scene“ im Saal 2 des Staatenhauses macht jetzt – und das ist nicht ihr geringster Verdienst – nachdrücklich mit dem kaum bekannten amerikanischen Weill bekannt.

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Hinreißendes Jitterbug-Tanzduett in Kurt Weills „Street Scene“

Musikalisch lieferte der, US-Staatsbürger seit 1943, ein Amalgam, einen Hybrid, in dem sich europäische Opern- und Operettentraditionen (Puccini ist diesbezüglich die entscheidende Referenzgröße) mit genuin amerikanischen Einflüssen (Gershwins „Porgy and Bess“ standen unabweisbar Modell) kreuzen. Hinzu kommen die für das Musical typischen Revue-Elemente, etwa das jitterbuggeprägte (und in Köln hinreißend präsentierte) Tanzduett im ersten Akt. 

Weill lässt es bei all dem triefen und schmalzen (immer mit der omnipräsenten „Sixte ajoutée“), komponiert den Beifall sozusagen ein, aber das geschieht auf einem nicht bloß respektablen Niveau; es gibt da Leit- und Erinnerungsmotive, es waltet ein untrügliches Gespür für den charakterisierenden Einsatz der Instrumentalfarben.

Das Gürzenich-Orchester unter Tim Murray entwickelt übrigens – und das war so kaum zu erwarten – für den lasziven Schlenderstil dieser Musik in allen Belangen bis hin zu den schönen Einzelleistungen (Klarinette, Trompete) ein erstaunliches Metier.

Verdienstvolle realistische Inszenierung 

Auch die realistische Inszenierung von John Fulljames tut viel Gutes: Ein kleinteiliges Szenengewimmel wie auf einem Brueghel-Bild setzt das Geschehen permanent unter Strom und Druck, immerzu passiert etwas. Dabei wird das Ganze erkennbar (an Accessoires und Kostümen) im New York der 30er Jahre belassen.

Ist das nicht doch ein wenig zu harmlos, pittoresk, traditionell, stromlinienförmig? Vielleicht, aber man spürt zugleich, dass eine ambitionierte Arbeit mit Subtexten hier unangemessen und der Wirkung abträglich wäre. 

Die Bühne (Dick Bird) wird beherrscht von der Anmutung eines bienenwabenartigen Mehrebenenhauses, dessen Treppen und Geländer allerdings durchlässig sind – hier gedeiht unweigerlich der giftige Tratsch, weil es Privatsphären nicht gibt. Wenn die Flügel zu den Seiten fahren, wird jenseits des Orchesters die den Akteuren einstweilen unzugängliche Glitzerwelt Manhattans sichtbar.

„Street Scene“ ist außerordentlich personalreich, zum Einsatz kommen in Köln nicht nur eine gigantische Solistenschar, der Opernchor sowie sechs Tänzer, sondern auch die Mädchen und Knaben des Domchores und der Mittelstufenchor des Brühler Max-Ernst-Gymnasiums. Mit von der Partie ist auch ein sehr netter (nicht-bellender) Hund.

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Auch die Jungen und Mädchen zweier Kinderchöre treten in dem Stück auf.

Darunter geht es indes nicht, Opulenz wird hier unweigerlich zu einem Bestandteil von Qualität. Was die Unmöglichkeit mit sich bringt, die einzelnen und zumeist ausgezeichneten Leistungen im Rahmen einer Standardrezension zu würdigen. Unter den (teils mit Verstärkung sprechenden und tönenden) Gesangssolisten seien die Protagonisten der Familie Maurrant hervorgehoben: Kyle Albertson gibt den Familientyrannen Frank mit großartiger Verdi-Schwärze, während Allison Oakes als frustrierte Ehefrau Anna ihrem Sopran den Schmelz und die Sehnsucht mitgibt, den man von einer guten „Figaro“-Gräfin erwartet.

Jung, agil, schwellend, üppig Emily Hindrichs in der Rolle der Tochter Rose. Das Premierenpublikum feierte gebührend eine der besten Produktionen der Saison.

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