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Die Frau ohne Schatten

Oper in drei Akten
Dichtung von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss

in deutscher Sprache (mit Übertiteln)

Aufführungsdauer: 3 Stunden, 40 Minuten (2 Pausen)

Premiere in der Oper Kiel am 9. März 2019
(besuchte Vorstellung: 28. April 2019)

 



Theater Kiel
 (Homepage)

Verletzte Seelen


Von Bernd Stopka / Fotos von Olaf Struck

“Leibhaftige Menschen“ wünscht sich der Theaterdirektor La Roche in Capriccio, dem weisen Alterswerk von Richard Strauss, das Brigitte Fassbaender im letzten Jahr in Frankfurt sehr überzeugend inszeniert hat (unser Bericht). Diesen Wunsch erfüllte sie ihm dort ebenso wie nun in ihrer Sichtweise auf Die Frau ohne Schatten in Kiel, wo sie die Figuren aus den Verschlingungen des Kunstmärchens hebt, ihre Charaktere feinsinnig analysiert und sie als Personen zeigt, die so realistisch wie möglich agieren. Ebenso wie Capriccio verortet sie Die Frau ohne Schatten in ihrer Entstehungszeit (1915 war die Oper fertig, wurde aber erst 1919 uraufgeführt, weil Strauss und Hofmannsthal eine Uraufführung im Krieg ablehnten).

foto folgt
Der Bucklige (Michael Müller-Kasztelan, Der Einäugige (Matteo Maria Ferretti), Der Einarmige (Ivan Scherbatyh), Färberin (Rebecca Nash)

Ein bunkergrauer, schlichter Einheitsraum mit großen Seitenöffnungen bildet den szenischen Rahmen (Bühnenbild: Helfried Lauckner), die Kostüme (Julia Scheeler) weisen in die Zeit des ersten Weltkrieges, deutlich erkennbar durch den Flieger-Lederanzug, den der Geisterbote trägt und die Schwesternkleidung des Damenchores im ersten Akt. Die Amme trinkt Tee aus blauer englischer Keramik, Kaiser und Kaiserin schlafen in einem stoffverhangenen Würfel, der mehr den Eindruck eines Gefängnisses denn eines Liebesnestes macht. Mit gespieltem Interesse hört  sich die Amme die Geschichte des Kaisers an – wahrscheinlich schon zum x-ten Male… Sie ist so unsympathisch, dass niemand ihren Tee möchte, den sie anbietet. Allerdings zeigt sie ehrliches Entsetzen, wenn der Kaiser die Kaiserin als seine „Beute der Beuten“ besingt. Der Kerl ist aber auch zu widerlich eitel und selbstgefällig. Sein Falkner-Haus hat er rundum mit vergoldeten Gazellengeweihen dekorieren lassen, die wie Kleiderhaken in einer Edel-Umkleide aussehen, als die sie Amme und Kaiserin auch benutzen.

Vergrößerung in neuem
                        FensterAmme (Irmgard Vilsmaier), Kaiserin (Agnieszka Hauzer), Färberin (Rebecca Nash)

Barak ist kein Färber, sondern ein Tapezierer (was hoffentlich keine Anspielung sein soll), der mit seinem Musterbuch hausieren geht und in einem kleinbürgerlichen Zimmer lebt. Über einem großen Ehebett hängt ein idyllisch kitschiges Bild einer Rubens-Mutter mit Kindern – ein enormer vermehrungsorientierter Leistungsdruck für das unglückliche Paar. Die Amme ist eine intrigante Drahtzieherin, aber keine Zauberin, sie hat etwas Perfides, aber nichts Dämonisches. Die Fische-Beschwörung ist allenfalls Show, denn die Pfanne holt sie dann ganz realistisch von der Seitenbühne. Nebenbei scheint sie eine erfahrene Köchin zu sein, denn sie widersteht der Versuchung, das brennende Fett mit Wasser zu löschen.  Der Jüngling ist ihr Statist, er seilt sich vom Dach ab und macht der Amme mehr Lust als der Färberin, der das, was er dann später mit seinem Kopf zwischen ihren Beinen macht, eher unangenehm fremd als behaglich ist (er sollte es auch im Hinblick auf das Gesamtniveau der Inszenierung lieber lassen). Darum geht es der Färberin ja auch nicht und sie ist ihrem Barak auch gar nicht so abgeneigt wie es meistens klingt. Wenn er sich bei seinem ersten Auftritt vor ihr umzieht, schaut sie nicht abschätzig, sondern durchaus angetan auf seine nackte Brust, als ob sie denken würde „warum kann ich denn nur nicht…?“. Doch die Unterhose macht ihr Angst. Sie hasst ihn nicht, sie ist durchaus besorgt, kann sich ihm aber nicht hingeben. Sie wird von seinen Brüdern verspottet und Barak weist diese nicht wirklich zurecht. Als Tochter von Bettlern müsste sie doch froh sein, dass es ihr jetzt besser geht. Barak versteht das nicht. Er ist ein ordnungsgemäßer Mensch, ein sachlich kühler Mann, der einfach an seiner Frau vorbeilebt, der ihr nicht geben kann, was sie sich wünscht, denn auch als Tochter von Bettlern kann sie doch Ambitionen haben, mehr zu fühlen, mehr zu erfahren, geliebt zu werden, als die, die sie ist, nicht, weil sie es nicht besser treffen konnte. Sie führt sich auf wie ein in die Enge getriebener tollwütiger Hund und beißt mit Gemeinheiten nur so um sich, die sie aber gar nicht wirklich so böse meint. In ihr steckt die Liebe zu Barak, die ihr aber erst bewusst wird, als er seine Liebe zu ihr zu verfluchen droht.  Mit „Dritthalb Jahr bin ich dein Weib“ wird die ganze Tragik der Figur deutlich – mehr durch die Musik als durch den Text. Sie schmiegt kurz ihre Wange an Baraks Hand, wollend, aber nicht könnend. Verzweifelt.  Das Teilen des Bettes findet nicht statt, die Färberin zieht einfach ein Sofa in den Vordergrund, das Barak zu kurz und zu eng ist, der sich aber seinem Schicksal ergibt. Wohlsorgend, aber nicht liebevoll deckt sie ihn dann richtig zu (nicht einmal das macht er richtig) und legt sich dann allein quer ins Ehebett, was sie aber auch nicht glücklich macht. Diese Färberin ist eine höchst tragische Figur, von der Regie vielschichtig gezeichnet und von Rebecca Nash ganz großartig eindringlich gespielt und gesungen.

Foto folgt Färberin (Rebecca Nash), Geisterbote (Ks. Tomohiro Takada), Barak (Thomas Hall), Zwei Dienerinnen (Carola Bock, Jutta Jensen)

Neben den Charakterisierungen der Personen überzeugen auch viele Details in der Personenregie. Feinheiten, die menschlich, zuweilen sympathisch allzu menschlich sind. So schreibt die Kaiserin dem Kaiser eine Nachricht, bevor sie zur Färberin geht, die Nachricht, die der Kaiser dann liest und aus der er den Schwindel über den Aufenthaltsort der Kaiserin entdeckt. In der Szene hat dies aber etwas so Natürliches, dass sie auch schreiben könnte „Sind im Falknerhaus, Abendessen steht im Herd“.  Während die Kaiserin im  dann offenen, mit einem Sternenhimmel ausgekleideten Würfel träumt, legt die Amme eine Patience und erschrickt entsetzt über die Zukunft, die sie da sieht.  Dem Kaiser wird zur Versteinerung eine Falkenhaube aufgesetzt, die ihm, dem sehend Gewordenen, nach der Menschwerdung der Kaiserin wieder abgenommen wird. Die Dienerin, die die Haube halten soll, setzt sie sich selbst auf und wird vom Geisterboten dafür kräftig ausgeschimpft. Färberin und Färber sind zu Beginn des 3. Aktes wie zwei Kriegsverschüttete hinter Sandsäcken zu sehen und von einer fast bühnenbreiten, dicken Steinmauer getrennt.  Drahtzieher im dritten Akt ist der Geisterbote, der die Dinge lenkt und steuert und auch den Kahn zieht, in dem die Amme dann zu den von ihr so gehassten Menschen verstoßen wird. Ein grandioses Bild, zu dem lange, gefährlich scharf aussehende Lanzetten über der Bühne hängen. Der Hüter der Schwelle bietet der Kaiserin tänzelnd das Wasser des Lebens in der Livree eines First-Class-Hotel-Pagen der damaligen Zeit an und schaut ungläubig immer wieder nochmal nach, ob das Glas vielleicht nicht sauber sei, nachdem die Kaiserin gesungen hat „Blut ist in dem Wasser, ich trinke nicht!“. Nach Bestehen ihrer Prüfung betrachtet die Kaiserin ihren überdimensional an der Wand stehenden Schatten mit ehrfürchtiger Freude – beim ersten Besuch im Färberhaus hatte sie sich im Schatten der Färberin geradezu badend auf den Boden gelegt. Am Ende erscheint sie in lebensfrohes Rot gekleidet und Barak jubelt nicht nur „wie keiner gejubelt“, er tanzt auch und kommt ganz aus sich heraus. Das wäre ein schönes Ende, aber…

Das Finale des zweiten Aktes ist so komplex und hochdramatisch, dass es keines zusätzlichen optischen Statements bedarf. Explodierende Bomben des ersten Weltkrieges mögen eine Assoziation der Regisseurin sein – der äußere Krieg als Pendant zum häuslichen Krieg. Aber wirklich überzeugen kann das genauso wenig wie die Projektionen sich bewegender Maschinenteile zu den Zwischenmusiken.
Die Einordnung in die Entstehungszeit wird am Ende dann aber noch weiter auf die Spitze getrieben, auf eine harte, bitterböse Spitze – zu grandioser, jubelnder Musik. Zu den beiden Paaren gesellen sich alle Beteiligten und bringen 5 Kinderwagen verschiedener Zeiten mit. Mit Sekt wird auf die allgemeine Verbrüderung/Verschwesterung angestoßen. Selbst der Kaiser wirkt herzlich und menschlich. Nachdem alle die Bühne verlassen haben, erscheint die Amme, die Ausgestoßene, mit einem Kinderwagen. Ihre Verdammnis unter den Menschen zu leben, hat offensichtlich auch ihr das wahre Glück gebracht, das Glück der Mutterschaft. Vom Typ würde sie zwar eher wieder einmal „gewaltige Namen anrufen“ als sich einem Mann hinzugeben, aber das Schicksal der armen bösen Amme noch weiter zu betrachten, wird der Figur gerecht, ohne die die ganze Menschwerdung der Kaiserin ja nicht in Gang gekommen  wäre, deren Wege und Machenschaften aber zu gesetzlos und unehrenhaft waren. Dann erscheinen Projektionen von Aufmärschen mit Hakenkreuzfahnen aus den 1930er-Jahren. Die so hoch besungenen Kinder der Zukunft nach dem 1. Weltkrieg werden als Pimpfe und Hitler-Jugend gezeigt. Die Amme nimmt ihr Baby schützend auf den Arm und läuft entsetzt davon. Man möchte mitlaufen. Geschichtlich ist dies zwar relativ konsequent gedacht und auch logisch nachvollziehbar. Aber dass sich ein Regieteam mit diesem so bedeutsam- und politisch-sein-wollendenden Statement so viel Wasser in den zuvor wunderbar kredenzten, edlen Wein schüttet, hinterlässt einiges Kopfschütteln und hörbares, genervtes Aufstöhnen im Publikum.

Foto folgtHüter der Schwelle des Tempels (Caroline Nkwe), Geisterbote (Ks. Tomohiro Takada), Kaiserin (Agnieszka Hauzer), Kaiser (Bradley Daley), Falke (Vigdis Bergitte Unsgård)

Yura Yang, Kapellmeisterin, Solorepetitorin und musikalische Assistentin des Kieler GMD leitete die hier besprochene Aufführung mit viel Leidenschaft, legt und verschmilzt immer wieder große Bögen zu einer höchst intensiven Gesamtheit, die keine Wünsche offenlässt. Das Orchester folgt ihr mit Engagement und Konzentration und deckt die Sänger auch bei höchster Klangintensität nie zu. Und das ist bei dieser Partitur eine besondere Herausforderung.

Bradley Daley verleiht dem Kaiser auch gesanglich alle Selbstgefälligkeit und Egozentrik, indem er die Partie kraftvoll in den Saal schmettert. Etwas mehr Stimmkultur und Differenzierung könnte dabei aber nicht schaden. Agnieszka Hauzers individuell timbrierter Sopran hat eine angenehme Mittellage und zeigt in der Höhe Substanz. Sie gibt dort dann aber gern dem Ausdruck den Vorrang vor einer exakten Intonation und lässt die edle Kaiserin von Anfang an sehr menschlich erscheinen.
Mit sauberster Intonation in allen Lagen, sicheren Spitzentönen und intensivster Ausdruckskraft lässt Rebecca Nash die Färberin zu einer besonders beeindruckenden Figur werden. Ihre Färberin ist verletzlich, verletzt, verletzend – und dabei der tragischste Mensch auf der Bühne. Eine Glanzleistung. Als Barak lässt Thomas Hall einen klangvollen Bariton hören und setzt die regieliche Zeichnung vollkommen überzeugend um. Ebenso wie Irmgard Vilsmeier, die sehr eindrucksvoll eine zickige intrigante Gouvernante ohne jegliche Dämonie, ohne Geheimnis oder Zweideutigkeit gibt. Als Geisterbote setzt Tomohiro Takada Akzente. Baraks Brüder sind mit Michael Müller-Kasztelan, Matteo Maria Ferretti und Ivan Scherbatyh bestend besetzt und ein Sonderlob gilt dem Gesang der Wächter, die vom Rang aus gänsehauterregenden Wohlklang verströmen. Die weiteren kleineren Partien sind adäquat besetzt und der Chor bewältigt seine Aufgabe mit Bravour. Natürlich sind Kürzungen immer schmerzlich, aber die in Kiel gesetzten Striche sind nicht unüblich. Doch wer z. B. die glücklich schmausenden Bettelkinder im 2. Akt vermisst, wird sich über das zumindest in Kurzform erhaltene Melodram der Kaiserin freuen.

FAZIT

In stilisierten Bühnenbildern mit realistischen Elementen erlebt man eine höchst intensive Personenregie, die die Charaktere ganz menschlich zeichnet und damit sehr emotionale Eindrücke hinterlässt, in den letzten Minuten aber böser wird als die Amme und die Färberin in ihren giftigsten Momenten zusammen. Rebecca Nash und Thomas Hall sind ein wunderbares Färberpaar.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung    
Georg Fritzsch
Daniel Carlberg
*Yura Yang

Inszenierung   
Brigitte Fassbaender

Bühne    
Helfried Lauckner

Kostüme    
Julia Scheeler

Choreinstudierung    
Lam Tran Dinh

Licht    
Martin Witzel

Video
Julian Jetter
Frank Scheewe


Dramaturgie    
Cordula Engelbert


Opernchor des Theaters Kiel

Kinder- und Jugendchor der
Akademien am Theater Kiel

Philharmonisches Orchester Kiel


Solisten

*Besetzung der besuchten Aufführung

Der Kaiser
Bradley Daley

Die Kaiserin
Agnieszka Hauzer

Die Amme
Irmgard Vilsmaier

Der Geisterbote

Ks. Jürgen Kurth
*Ks. Tomohiro Takada


Die Erscheinung eines Jünglings

Yoonki Baek


Falke

Vigdis Bergitte Unsgård


Der Hüter der Schwelle des Tempels

Caroline Nkwe


Stimme von oben

Tatia Jibladze


Barak, der Färber

Thomas Hall


Die Färberin

Rebecca Nash


Der Bucklige

Michael Müller-Kasztelan


Der Einäugige
Matteo Maria Ferretti

Der Einarmige

Ivan Scherbatyh


Zwei Dienerinnen der Amme
*Carola Bock
*Jutta Jensen
Gabriele Rennert



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