Joseph Calleja hat sich rar gemacht im Haus am Ring: Sieht man von seinem Solistenkonzert im Jänner dieses Jahres an der Wiener Staatsoper ab, war er das letzte Mal 2013 als Gabriele Adorno in Simon Boccanegra zu erleben. Umso erfreulicher, wenn ein Sänger wie dieser einen Repertoire-Rigoletto veredelt und die übrige Besetzung den Star-Tenor mehr als nur herausfordert.

Insbesondere Christopher Maltman gelang in der Titelpartie ein glanzvolles Rollendebüt: Am Ende der Szene, in denen er die „Signori” um „pietà” für sich selbst und Tochter Gilda bittet, bekam er sogar den größten Zwischenapplaus des Abends (zu dem das Publikum des Öfteren guten Grund hatte). Das liegt auch daran, dass die viel gescholtene Inszenierung von Pierre Audi aus 2014 hier ihren stärksten Moment hat: Wenn Rigoletto zur fallenden Abwärtsbewegung in der Musik die Treppe im Haus Herzogs hinuntersaust, und die Höflinge seinen anschließenden emotionalen Zusammenbruch regungslos ignorieren, ist das einer jener dramatischen Höhepunkte, die den Reiz von Oper ausmachen. Zudem ist Maltman einer jener Begnadeten, die mit ihrem Instrument eins sind. Nichts wirkt angestrengt oder gekünstelt, und diese Sicherheit befähigt ihn, jede Emotion mit seiner Stimme zu transportieren. Da hört und sieht man in jeder Sekunde einen echten Rigoletto, auch wenn der hässlich-bucklige Außenseiter bei Audi eher ein Alleinerzieher mit Motivationsproblemen im Hofnarr-Job ist.

Hervorragend auch das zweite Rollendebüt, nämlich jenes von Andrea Carroll, und das beschränkte sich nicht nur auf ein wunderbares „Caro nome“. Gilda ist nicht zuletzt deshalb eine heikle Partie, weil das Schwärmerisch-Naive im digitalen Zeitalter schwer vermittelbar geworden ist – jedes Vibrato, das Lebenserfahrung verrät, ist fehl am Platz, denn sonst kauft man ihr den Opfertod für den treulosen Herzog nicht ab. Aber genau diesen unschuldigen Ausdruck traf Carroll exakt. Mit ihrem jugendlich-reinen Sopran klang sie tatsächlich wie der Engel, als der sie im Stück bezeichnet wird. Darüber hinaus beeindruckte sie als intonationssichere Duett-Partnerin, deren Stimme ausgezeichnet mit Papa Rigoletto und dem schneidigen Herzog harmonierte.

Als der Letztere stellte sich Joseph Calleja bereits vor 15 Jahren vor, und es ist ein Vergnügen, diesen Tenor mit seiner schmelzenden Italianità und ausgewogenem Klang in allen Registern wieder zu erleben. Für den Duca die Mantova braucht man auch die erste Sänger-Riege, denn bis zu „La donna è mobile“ im dritten Akt kann der Weg steinig sein: Einige Stellen in „È il sol dell'anima“, der großen Verführungsszene mit Gilda, gehören zum Unangenehmsten (aber auch Schönsten), das Verdi seinen Tenören in die Kehlen gelegt hat. Leidenschaftlich, aber nicht zu schnell, muss sich die Stimme immer höher schrauben, und das gelang Calleja an diesem Abend ebenso tadellos wie der Rest, wobei er seine besten Momente in „Ella mi fu rapita“ hatte. Darstellerisch wirkte sein Herzog nicht raffiniert-verführerisch, sondern schmierig und selbstherrlich, aber das passte zur Inszenierung und lässt Gilda besonders wirken.

Besonders, aber eher befremdlich, wirkt auch der Graf von Monterone, adäquat emotional gesungen von Alexandru Moisiuc: Dieser verzweifelte Vater einer vom Herzog verführten Tochter setzt bekanntlich einen fatalen Fluch in die Welt, aber eine Exekution per Lanzenstoß in beiläufiger Anwesenheit von Rigoletto und Gilda braucht er im Original-Libretto dafür nicht zu befürchten. Doch das ist die einzige Regieidee, an die man sich nicht gewöhnt, denn mit den eleganten Kostümen von Ausstatter Christof Hetzer kann man sehr gut leben. Denkt man sich die schwarze Müllsackwolke über Gildas hölzernem Verschlag weg, gilt dasselbe für das zweckmäßige und interessant beleuchtete Bühnenbild.

Jongmin Park als Sparafucile und Nadia Krasteva bildeten ein Duo infernale auf hohem gesanglichem Niveau und mit mörderischer Geschäftstüchtigkeit. Gerade in den Sparafucile-Szenen zeigte sich auch die Klasse des Staatsopernorchesters unter Giampaolo Bisanti, etwa in der ersten Begegnung zwischen Rigoletto, die von besonders aufregenden, unheilvollen Kontrabässen und Celli grundiert wurde – das ist aber auch darin begründet, dass Rigoletto interessanter als die meisten Verdi-Opern orchestriert ist – beispielsweise fungiert in der berühmten Sturmszene im dritten Akt der Männerchor als Instrument hinter der Bühne. Das macht immer Eindruck, zumal die bogenförmigen Figuren auch das Hin- und Herüberlegen von Sparafucile und Maddalena (Wen jetzt töten oder nicht, was ist mit dem Geld?) musikalisch spiegeln.

Die Antwort darauf ist bekannt: Wie so oft in der Oper zieht das junge mutterlose Mädel den schwarzen Peter. Bei Rigoletto tut das Gilda sogar freiwillig und endet in einem Leichensack, über dem ihr Vater noch einen höhnischen, befriedigten Abgesang auf den totgeglaubten Herzog anstimmt, bevor er die niederschmetternde Wahrheit entdeckt. Für diesen Schluss holte sich Christopher Maltman einen triumphalen Schlussapplaus ab, der aber alle Beteiligten einschloss – einen Abend wie diesen gibt es nicht alle Tage.

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