Von Irene Constantin

Aufregend musizierte Kontraste vom ersten Ton an. In diesem Ritt über die Schaumkronen der Weltmeere und in die Tiefen armer Menschenseelen setzen Wagner und mit ihm Alexander Merzyn schmerzlichste oboenglatte Sehnsuchtsmelodie gegen dumpfblecherne Hoffnungslosigkeit, gegen aufbrausenden vollen Orchestersound. Merzyn spielte richtig Oper im Orchestergraben und hob seine Solisten unten, ganz besonders das dunkle Blech, mindestens genauso heraus wie die Sänger oben auf der Bühne.

Auch dort war die Gemeinschaft ebenso wichtig wie die Einzelkönner. Der Chor kam gleich einer Urgewalt über die Zuhörer im Saal wie die Protagonisten auf der Bühne. Sozusagen in voller Breitseite tönten Chor und Extrachor, besonders das von zwanghafter Ausgelassenheit in den puren Albtraum abkippende Matrosenfest war schiere Überwältigung und schaurige Glanzleistung in Gesang und Darstellung.

Was ist es mit dem „Fliegenden Holländer“, dem gleich zwei hochbegabte deutsche Flüchtlinge in Paris um die Mitte des 19. Jahrhunderts, Heine und Wagner, ihre Aufmerksamkeit widmeten? Ein kühner Seemann aus der Zeit des großen holländischen Gewürzhandels ist dazu verbannt, ewig über die Meere zu segeln. Nur die unbedingte Treue einer Frau kann ihn zu Tode erlösen. Alle sieben Jahre darf er an Land nach ihr zu suchen.

Das Schiff des Kaufmanns Daland musste nahe seines Heimathafens vor einem Sturm flüchten. Der Steuermann hält Nachtwache und singt sein Sehnsuchtslied vom Südwind – Hardy Brachmann glänzte helltönend und ohne Höhenangst. Gut aufgepasst hat er nicht; unbemerkt kommt auch der Holländer dort an Land. Sein Auftrittslied „Die Frist ist um“ ist die Nagelprobe für jeden Sänger in dieser Rolle. Er hat noch einiges vor sich an diesem Abend, wenn er aber an der Stimme spart, hat er gleich am Anfang versungen und vertan.

Andreas Jäpel ging klug vor, er singt seinen Abscheu vor dem jahrhundertelangweiligen Nicht-Sterben-Können auf ewiger Seefahrt so leise und öde hervor, wie es einen in seiner Lage ankommen muss. Erst am Schluss in einer urgewaltigen Weltuntergangsphantasie gibt er alles an tönender Kraft. Dabei bleibt die Stimme immer klanggesättigt, übersteigert sich niemals zu purem Gepolter. Großartig.

Die mädchenhafte Tanja Christine Kuhn ist ein idealer Senta-Typ, die etwas scharfe Stimme passt vor allem auf die ausgreifenden Teile ihrer Partie. Singt sie leise, ist auch genügend inniger Lyrismus vorhanden.

Regisseurin Jasmina Had­žiahmetovič und ihre Ausstatterin Natascha Maraval konzentrierten Bild und Spiel ganz auf die Gefühle und Bestrebungen der beiden Hauptfiguren. Beide sind einsam – sie in der Spinnrädchenwelt der wartenden Seemannsfrauen, er auf dem Meer. Sie sehen einander und es geschieht das irrtumschwangere Wunder der Liebe auf den ersten Blick. Er hofft auf eine ominöse Erlösung durch das ewig treue Weib, sie hofft auf ein gemeinsames Leben, gern in unbedingter Treue.

Hadžiahmetovič hat die beiden musikalischen Kunstfiguren endlich genau beobachtet und die Darsteller ungemein detailreich geführt; eine Könnerin in Sachen Psychologie und Personenbeziehungen, als hätte Harry Kupfer als Meister dieser Kunst sie unterrichtet. Jeder Blick, jede Geste, jedes Requisitenspiel, alles stimmt.

Maraval hat einen verwirrend klaren Kunstraum aus materialisierten Seelen-Gemälden geschaffen, der die Figuren wie ein Kleid umgibt. Das Ende ist unwagnerisch. Er hat nicht den Mut, zum Leben erlöst zu werden, zum Untergang ist sie nicht bereit.

Ovationen. Jubel für alle.