Groß war die Erleichterung, als die Premiere der aktuellen Macbeth-Inszenierung an der Wiener Staatsoper im Oktober 2015 glatt über die Bühne ging; nach der zum Skandal erklärten Vorgänger-Inszenierung war man froh über Solides, und das betraf die Regiearbeit von Christian Räth wie die Gesangsleistungen gleichermaßen. In der aktuellen Aufführungsserie stellt sich ein Gutteil der damaligen Besetzung erneut dem Publikum – Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Das Spannendste an diesem Werk ist immer die Lady Macbeth, und diese hat Tatiana Serjan in fast allen bisherigen Aufführungen dieser Inszenierungen verkörpert. Sie ist in dieser Partie absolut angekommen, weiß genau, wie sie die böse Machtgierige mit dem eisernen Willen anlegt: Im ersten Akt ist sie freudig erregt über die von den Hexen prophezeiten Karriereaussichten ihres Mannes, und die günstige Gelegenheit, diesen mit der Ermordung von König Duncan nachzuhelfen, versetzt sie in eine furchteinflößende Ekstase – da war Serjan mit ihrem deftig großen und metallischen Sopran ganz bei sich, und jeder Widerstand zwecklos. Neben so einer Lady kann kaum ein Mann bestehen, da müssen auch harte Kerle klein beigeben, und den Chor zu übertönen gelang ihr mühelos. Bei einer so intensiven Gestalterin akzeptiert man auch, dass in musikalischer Hinsicht manches eigenwillig und rau gerät, aber wie man weiß, stand für den Komponisten der Ausdruck in dieser Partie an erster Stelle.

In der Öffentlichkeit des Banketts – die in dieser Inszenierung eine eher langweilige Versammlung ist – kontrastierte Serjan das böse Sein mit schönem, verlogenem Schein und vokalem Glanz, wobei sie Macbeths psychischer Labilität mit Geistesgegenwart begegnete. Bekannterweise ändert sich das in der Schlafwandelszene, wobei die äußeren Rahmenbedingungen nicht die besten sind – in der Ausstattung von Gary McCann ist das jene Szene, die am wenigsten überzeugt: Die plötzlich aufflammenden rosa und roten Lichtbalken an den Konturen der bunkerartigen Diktatorenburg wirken fast so, als hätten sich ein paar Neonreklamen auf einen Plattenbau am Stadtrand verirrt.

Wesentlich besser gelingen ist die zweite Hexenszene, in der die Damen in Grau Macbeth im Schlaf „überfallen“ – was Verdi hier komponiert hat, passt sehr gut zu der Schlaflosigkeit, mit der sich George Petean als Macbeth auf seinem Boxspringbett hin und her wälzt, und die Königsknaben in Unterwäsche, die ein blutiges Laken nach dem anderen aus dem Bett ziehen, sind ein schönes Traum-Symbol für die Sorgen, die dem Kurzzeit-Schottenkönig Schlaf und Verstand rauben.

Petean hatte in der Premiere dieser Inszenierung sein Rollendebüt gegeben; allerdings blieb die Premierenserie bislang sein einziger Macbeth am Haus, und zwischenzeitlich nahm er die Partie nur einmal in Salerno in Angriff. Aktuell zeichnet er keinen konventionellen Macbeth, eher einen Zauderer, der von seiner Lady ferngesteuert wird. Das wirkt in dieser Inszenierung und mit dieser dominanten Partnerin glaubwürdig, allerdings schwächelte am besprochenen Abend auch die Stimme – die Höhe gehörte nicht zu seiner Komfortzone. Viel davon ist aber ohnehin nicht gefragt, und das berühmte „Pietà, rispetto, amore“ machte einiges an dem zuvor Versäumten gut.

Ferruccio Furlanetto als Banquo ist ein Erlebnis; in der Höhe strömt die Stimme zwar nicht mehr ganz so üppig, aber auf sein Qualitätsniveau kommen andere, jüngere Kollegen trotzdem nie; dass „Come dal ciel precipito“ weniger Spannung als sonst hatte, lag daran, dass James Conlon am Pult ein eher zähes Tempo vorgab.

Der vierte Hauptprotagonist in Verdis Macbeth ist der Chor, wobei die bereits erwähnten Hexen das, was sie an Bewegungschoreographie ordentlich absolvierten, zu harmlos und wenig akzentuiert sangen. Die zwei berühmten „Patria“-Chöre im vierten Akt, Klagen über das „unterdrückte“ bzw. „verratene“ Vaterland, erinnerten stimmungsmäßig eher an die Mannen der Götterdämmerung – da darf man sich nicht nur auf den Dirigenten ausreden, der zumindest mit dem Orchester in gutem Einvernehmen war; jedenfalls war im Graben mehr Verdi als auf der Bühne zu hören.

Jinxu Xiahou berührte als Macduff, aber das liegt eher an der traurigen Geschichte desjenigen, dessen Familie den Machenschaften der Macbeths zum Opfer fiel (und Verdis Kunst), als an einer herausragenden Leistung; bei Verdi sollten auch die unglücklichsten Tenöre mehr Legato haben. Xiahou war bei der Premiere noch Malcolm, der in dieser Serie von Lukhanyo Moyake gesungen wird, und in dieser kurzen Partie ein paar Glanzlichter setzen konnte.

In Summe kam der Abend über das Prädikat „solide“ nicht hinaus, insofern hat man sich seit der Premiere kaum vom Fleck wegbewegt. Allerdings ist das Kritik auf hohem Niveau, und Qualität zu halten, eine Leistung per se. Insofern kann man das Glas auch halbvoll sehen – weniger sollte es aber nicht mehr werden.

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