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Alexandros Stavrakakis (Oberpriester des Baal), Saioa Hernández (Abigaille), Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Sinfoniechor Dresden – Extrachor der Semperoper, Komparserie. Foto: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah
Alexandros Stavrakakis (Oberpriester des Baal), Saioa Hernández (Abigaille), Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Sinfoniechor Dresden – Extrachor der Semperoper, Komparserie. Foto: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah
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Theater statt Opium! Giuseppe Verdis „Nabucco“ an Dresdens Semperoper

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Theater bildet die Welt ab. Und macht sie so zu einem besseren Ort? Im Idealfall vielleicht. Der sollte allerdings immer wieder als Ziel genommen werden, um für eine bessere Welt einzutreten. Exakt diesen Anspruch eines politischen Theaters will Intendant Peter Theiler auch an der Semperoper in Dresden umsetzen. Michael Ernst überprüft!

Folgerichtig gelangen also auch die eher unangenehmen und die sehr unangenehmen Bilder der Gegenwart auf die Bühne. So geschehen am Wochenende zur Premiere von Giuseppe Verdis „Nabucco", der ersten Neuinszenierung dieses Bühnenklassikers seit der zeitkritischen Produktion von Peter Konwitschny aus dem Jahr 1996. Jetzt hat David Bösch inszeniert, der in Dresden zuletzt „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold herausgebracht hat, auch dies geradezu ein Beleg für die erst noch zu entwickelnde Gattung Opéra noir.

Denn kein Schmuckvorhang, wie sonst üblich, trennt das Publikum vom Spielbeginn, sondern eine pechschwarze Kurtine. Zu Beginn eines jeden Aktes werden Bibelzitate darauf eingeblendet, die von Allmachtsanspruch, Blut- und Rachedurst künden. Und was steckt dahinter? Black Box, die Düsternis eines urzeitlichen Babylon, mit Nachwehen bis in die heutige Zeit und darüber hinaus?

Die von Patrick Bannwart gestaltete Bühne zeigt die Ruinenlandschaft einer zerschossenen Stadt, die für Aleppo ebenso stehen könnte wie für den unvollendeten Turmbau zu Babel. Hier sehen wir von Menschen gemachtes Unheil, fortgesetztes Leiden im Namen vermeintlich einziger Wahrheiten. In diesem Chaos leben Menschen, nein, sie hausen darin. Das Theater hat die Nachrichtenbilder aus dem Fernsehen auf die Bühne geholt. Mit dem Unterschied, dass die Begleitmusik von der Sächsischen Staatskapelle geschmettert wird, als säße da eine italienische Banda im Graben. Sich ihr zu entziehen ist schlicht unmöglich. Anders ergreifend, gleich in den ersten Minuten, die von der Regie erdachte Szene mit einem Kleinstkind, das von seiner Mutter in einen Brettersarg gelegt wird. Eine vielleicht zehnjährige Schwester, die das Grauen dieser Welt nicht fassen kann, ringt erschütternd mit ihrer Verzweiflung.

Kein vergnüglicher Ausflug für Freunde der italienischen Oper

Nach diesem „Auftakt“ ist klar, Bösch und sein Team haben keinen vergnüglichen Ausflug für Freunde der italienischen Oper geplant. Er nimmt sein Handwerk so ernst wie die Vorlage und macht an Verdis Jugendwerk Zustände deutlich, die auf religiösen Wahn und dem Machtmissbrauch Einzelner zurückzuführen sind. Unter beidem haben stets die Massen zu leiden, mögen sie auch noch so fromm und folgsam sein.

Dramatisch zupackend wie die Geschichte von Babylons König Nebukadnezar (it. Nabucco), der Jerusalem belagert, in seinem Machtrausch größenwahnsinnig wird und sich zur Gottheit erklärt, Intrigen zum Opfer fällt und schließlich, o Wunder, vor dem Gott der Hebräer auch auf die Knie – ist auch die Musik. Wie Omer Meir Wellber, seit dieser Saison Erster Gastdirigent der Semperoper, die Partitur mit straff angezogenen Zügeln durchpflügt, dennoch das feine Cellosolo des zweiten Akts auskostet, alles Schmettern der Bläser stets feurig klar scheinen und das Flirren Streicher nie unmotiviert wirken lässt, das ist überwältigend. Nicht minder der von Jörn Hinnerk Andresen exzellent einstudierte Chor, der spielerisch (gemeinsam mit der Komparserie) und sängerisch enorm gefordert ist, doch nie an seine Grenzen stößt.

Hebräer wie Babylonier sind in dieser Oper verführte, geschundene Massen, denen die Regie aber jede Menge Individualität verliehen hat. Im Bühnenbild des Schreckens hat Kostümbildnerin Meentje Nielsen Volk und Soldaten zeitlos heutig gekleidet, teils auch martialisch, wie um das seit Jahrtausenden nicht endende Leiden des Menschen am Menschen zu verorten. Der berühmte Gefangenenchor „Va, pensiero“ wird im Liegen angestimmt, nach und nach erheben sich die Geschundenen und halten plötzlich weißen Mohn in Händen. Gedanken ans Opium fürs Volk sind da natürlich nicht fern.

Orchester, Chor und Ensemble: Überwältigend

Geradezu entlarvend singt auch der Hohepriester „Wer ging je zugrunde, der in Todesgefahr auf Gott vertraute?“ – angesichts des täglichen Tötens ein geradezu hohler Trostversuch. Vitalij Kowaljow hat diesem Zaccaria einen kraftvollen Bass verliehen, mit Verve ist Massimo Giordano als Ismaele präsent, zeigt aber auch Gefühle der Liebe und des Leidens in seinem farbreichen Tenor. Er liebt Nabuccos Tochter Fenena und gilt damit unter den Seinen als Verräter, ist verflucht und „hat keine Brüder …“ Christa Mayer stattet diese Fenena mit Wärme und Wohlklang aus, mit lyrischem Zauber und glaubhafter Menschlichkeit. Ihr Gegenpart, die vermeintlich erstgeborene Tochter Abigaille, strebt machtgeil zerstörerisch nach der Krone – und entpuppt sich als einstige Sklavin. Die Spanierin Saioa Hernández gab mit diesem Part ihr Deutschland- und Rollendebüt und überzeugte mit messerscharfem Sopran in einer Intensität, die im Bedarfsfall selbst Chor- und Orchestertutti zu überlagern wusste. Als augenfälliges Detail der Regie wird mit ihrer Machtübernahme auch das bisher muskelbepackte Wachpersonal eine weibliche Garde – und kein Stück humaner.

Den Oberpriester des Baal zelebrierte der griechische Bass Alexandros Stavrakakis als blutrünstigen Rächer mit respektforderndem Organ. Auch Simeon Esper, beim Einsatz verletzter Wachmann Abdallo, überzeugte mit sensiblem Tenor. Und nun Zaccarias Schwesterchen Anna ist mit der rumänischen Sopranistin Iulia Maria Dan vortrefflich besetzt.

Donner und Demut

Den Titelpart des Nabucco jedoch hat der polnische Bariton Andrzej Dobber mit einem stimmlichen Spektrum von Donner und Demut ausgefüllt, in seinem Auftreten geschmeidig bis gewaltig, als „Entrückter“ vielleicht nicht ganz die mimischen Möglichkeiten ausgeschöpft, doch selbst in seiner Gefangenschaft als verzweifelt ans Stahlbett gefesseltes Opfer ganz und gar Zentrum der Bühne. Im Juni gibt es drei (bereits ausverkaufte) Vorstellungen dieser Neuinszenierung mit Plácido Domingo als „Zweitbesetzung“ – man darf gespannt sein, wie er in diesem „Nabucco“ gewinnt.

Theater bildet die Welt ab. Ob dies auch die Welt bildet, ist eine andere Frage. Zur Premiere gab es jedenfalls rauschenden Applaus für alle Beteiligten – sowie einsam ein trotziges Buh für die Regie.

  • Termine: 25., 28., 30. Mai, 5., 9., 15., 21. Juni

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