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Pelléas et Mélisande

Drame lyrique in fünf Akten
Text von Maurice Maeterlinck
Musik von Claude Debussy

In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Dauer: ca 3 ½  Stunden – eine Pause

Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin

Premiere im Nationaltheater Mannheim am 26. Mai 2019


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Nationaltheater Mannheim
(Homepage)
Marionetten des eigenen Schicksals

Von Christoph Wurzel / Fotos von Hans Jörg Michel

Dass es eine sehr eingeengte Welt ist, in der diese Handlung spielen wird, lässt sich bereits vor deren Beginn erahnen. Auf die offene, sehr breite Bühne des Mannheimer Nationaltheaters ist eine weitere, etwa nur halb so große kleine Bühne gebaut. Darüber wellt sich in barockem Faltenwurf zu den Seiten hin abfallend ein Plüschvorhang. Unwillkürlich denkt man an ein Puppentheater, nur ist hier alles pechschwarz und der nach hinten mehrfach verschachtelte und sich noch weiter verjüngende Raum vermittelt mit seinen sterilen schwarz-grauen Rasterpunkten eine intensive Trauerstimmung.

Absolut passend  hat Klaus Grünberg diese klaustrophobische Bühne für die zutiefst traurige Geschichte von Pelléas und Mélisande entworfen, jenes junge Paar, deren Liebe in derart bedrückender Enge und trostloser Düsterkeit nicht blühen kann. Und auch nicht darf, denn Mélisande ist die Frau des gefühlskalten Golaud, in dessen Umgebung die schüchterne Mélisande nicht glücklich ist. Erst die Begegnung mit Golauds Halbbruder Pelléas erschließt ihr Gefühle, die sie mehr erspürt, als bewusst artikulieren kann. Wie auch alle anderen Personen in  Maeterlincks unmittelbar vor der Rezeption der Psychologie Freuds entstandenem symbolistischen Drama ist sie  Getriebene, nicht aus eigenem Entschluss Handelnde. Alle sind sie Marionetten ihres eigenen Schicksals, unfähig es zu benennen, geschweige denn es selbstwirksam zu gestalten; allenfalls nur durch Aggression, wie Golaud, der nach der Entdeckung der gegenseitigen Zuneigung des Paares in einem Ausbruch von Eifersucht seinen Halbbruder erwürgt und Mélisande misshandelt. Konsequent lässt die Regie die Figuren in diesem engen Guckkasten nicht selbsttätig auftreten, sondern mittels der Drehbühne werden sie gleichsam in ihr Schicksal hineingeschoben.

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Suchen Halt in der Finsternis: Pelléas (Raymond Ayers) und Mélisande (Astrid Kessler)

Barrie Kosky hat der Oper kein Konzept übergestülpt, er belässt die Symbolik der Motive im Vagen, verdeutlicht aber durch eine subtile Personenführung umso mehr die Psychologie der Figuren. Wie durch den Sucher einer Kamera focussiert sich der Blick des Zuschauers auf die perspektivisch verengte Bühne. Die Protagonisten spielen wie von äußeren Impulsen gesteuert, nur in wenigen Momenten scheinen sie ganz bei sich. Das ist vor allem, wenn Mélisande durch Pelléas' Anwesenheit aus ihrer Gefühlsstarre erwacht.  In jugendlicher Verliebtheit rollen sie ausgelassen über den Boden und als Mélisande leichtsinnig mit ihrem Ehering spielt, verschluckt sie ihn in echter Fehlleistung, nicht wie im originalen Libretto, wo er ihr versehentlich in den Brunnen fällt. Lediglich ein Augenblick beginnender Leidenschaft ist beiden gegönnt, als sie sich in einer letzten Begegnung ihre Liebe gestehen.

Astrid Kessler spielt diese Mélisande berührend präsent. Mit klarem Sopran gibt sie allen Facetten dieses Charakters zwischen geheimnisvoller Befangenheit und erwachendem Selbstbewusstsein intensiv Ausdruck. Im letzten Akt nach der offensichtlichen Fehlgeburt durch Golauds Misshandlungen nimmt ihr Spiel  im Todesdilirium surrealen Charakter an. Merkwürdig abwesend und grotesk förmlich verabschiedet sie sich von allen Anwesenden und so still und geheimnisvoll wie sie anfangs fast unmerklich ins Geschehen hineingeraten war, wird ihr geschundener Körper nun wieder von der Drehbühne hinweg gezogen. Der Bariton Raymond Ayers gibt Pelléas anfangs als verschüchterten Jüngling, der sich aber von der auf ihn intensiv erotisch wirkenden Mélisande heftig entflammen lässt und über das feine Parlando Debussys hinaus lyrisch emphatische Ausbrüche wagt.

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Missbraucht seinen Sohn als Spion: Golaud (Joachim Goltz) und Yniold (Fridolin Bosse)

Eine prägnante Charakterstudie gibt auch Joachim Goltz als Golaud. Anfangs versucht er noch der vermuteten Anziehung zwischen Pelléas und Mélisande kontrolliert zu begegnen, aber seine Eifersucht bricht sich heftig Bahn, wenn er auf seinen Schultern seinen Sohn Yniold Mélisande durch das Fenster ihres Schlafgemachs ausspionieren lässt. In packender Drastik wird diese Szene zu einem beklemmenden Höhepunkt der Oper. Fridolin Bosse, Mitglied des Kinderchors, spielt und singt diese Knabensopran-Rolle bewundernswert souverän,  so dass auch die in manchen Produktionen gestrichene Solo-Szene in Mannheim gespielt wird, in der Yniold verängstigt zusehen muss, wie eine Schafherde abends nicht in den Stall, sondern offensichtlich zur Schlachtbank geführt wird. Nur ein Kind ist offensichtlich in dieser Welt noch zu ursprünglicher Empathie fähig.

Dem gegenüber nimmt der alte Arkel (im Libretto König von Allemonde) eine zwiespältige Rolle ein. Opportunistisch schwankt er zwischen anfänglicher Ablehnung Mélisandes und schlussendlich weinerlicher Trauer über ihr Schicksal, selbst zum Versuch eines Übergriffs auf die wehrlose junge Frau lässt er sich hinreißen. Patrick Zielke gibt dieser Rolle mit seinem starkem Bass eindringlich Kontur.

Was vor allem diesen Opernabend zu einem ganz außergewöhnlichen macht, ist das Orchester unter der Leitung des Mannheimer GMD Alexander Soddy, die sich als exzellente Sachwalter dieser ganz besonderen Musik erweisen. Am Premierabend gelang eine ebenso zwingende wie klanglich berückende Interpretation. Filigran ließ Soddy  die impressionistischen Farben der Partitur bis hin zu pointillistischer Nuancierung schillern. Auch kleinste Details wurden hörbar, am Becken im pianissimo angetupft die Gischt des Meeres oder die flatternden Tauben in der volatilen Dynamik der exzellent abgestuften Streicher. Es war die Sprache der Musik, die in diesem Drama der  verhängnisvollen Sprachlosigkeit den Figuren doch Ausdruck verlieh. Das schließt die Stille mit ein, wie sie am Schluss nach Golauds viel zu später Bitte um Verzeihung für einen Moment eintrat, als er fassungslos auf seine Mörderhände starrte.

FAZIT

Mit dieser bereits an der Komischen Oper Berlin gezeigten Inszenierung hat Mannheim eine in allen Teilen überzeugende Produktion dieser Ausnahme-Oper erarbeitet, die diese nicht im mystischen Ungefähr belässt, sondern zu einem packenden Stück zeitgenössischen Musiktheaters werden lässt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Soddy

Inszenierung
Barrie Kosky

Bühne und Licht
Klaus Grünberg

Ko-Bühnenbild
Anne Kuhn

Kostüme
Dinah Ehm

Chordirektor
Dani Juris

Szenische Neueinstudierung
Julia Huebner

Dramaturgie
Johanna Wall
Julia Warnemünde



Chor und Statisterie
des Nationaltheaters Mannheim

Nationaltheater Orchester

Solisten

Pelléas
Raymond Ayers

Mélisande
Astrid Kessler

Golaud
Joachim Goltz

Arkel, König von Allemonde
Patrick Zielke

Geneviève, Mutter von
Golaud und Pelléas

Kathrin Koch

Yiniold, Golauds Sohn
Fridolin Bosse*

Ein Arzt / Stimme des Hirten
Mathias Tönges

* Knabensopran /
Mitglied des Kinderchors





Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Nationaltheater Mannheim
(Homepage)



Da capo al Fine

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