Königsmord im schwedischen Möbelhaus – Saison-Finale und Ende einer Ära in Genf

Die Genfer Neuinszenierung von Verdis «Maskenball» bietet wenig politische Deutung, aber ein gutes Sängerensemble. Die letzte Neuproduktion der Ära Tobias Richter wirkt routiniert – dabei steht dem Grand Théâtre ein grundlegender ästhetischer Wandel ins Haus.

Thomas Schacher, Genf
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Alles Politische hinter Masken verborgen: Szene aus der Neuproduktion von Verdis «Un ballo in maschera». (Bild: Oper Genf)

Alles Politische hinter Masken verborgen: Szene aus der Neuproduktion von Verdis «Un ballo in maschera». (Bild: Oper Genf)

So, wie Giuseppe Verdi diese Oper ursprünglich komponiert hat, ist sie zu seinen Lebzeiten nie aufgeführt worden. Antonio Sommas Libretto handelt nämlich von der historisch verbürgten Ermordung des schwedischen Königs Gustav III. anlässlich eines Maskenballs im Jahr 1792. Ein Königsmord auf der Bühne – das hatte vorher bereits die bourbonische Zensur in Neapel abgelehnt, auch die päpstliche Zensur fand den konkreten Bezug auf dieses historische Ereignis viel zu gefährlich. Also wurde die Fassung, die 1859 am Teatro Apollo in Rom über die Bühne ging, von der Zensurbehörde inhaltlich massiv umgebogen.

Die Handlung spielte fortan sicherheitshalber in Amerika, und aus dem schwedischen König wurde Graf Richard von Warwick, der Gouverneur von Boston. Erst 1934 war «Un ballo in maschera» in Kopenhagen mit den originalen Namen und Schauplätzen zu sehen. Und nach der bahnbrechenden Stockholmer Inszenierung von Göran Gentele im Jahr 1967 hat sich die Originalfassung weitgehend durchgesetzt. Damit verbunden sind oft Inszenierungen, die am politischen Sprengstoff des Werks interessiert sind. Nicht so die Neuproduktion am Grand Théâtre de Genève – obwohl man auch hier die Originalfassung auf die Bühne bringt.

Amouröse Dreiecksgeschichte

Altmeister Giancarlo del Monaco, der immerhin einmal Assistent von Walter Felsenstein war, kann allerdings mit der politischen Dimension des Stückes nichts anfangen. Oder er will nicht. So handeln denn bei ihm die beiden Verschwörer Ribbing (Günes Gürle) und Horn (Grigory Shkarupa) aus rein persönlichen Motiven. Und Anckarström, der Sekretär und beste Freund Gustavs, bringt den König schliesslich aus purer Eifersucht um. Beim historischen Mord am schwedischen Monarchen aber gab die Tatsache den Ausschlag, dass Gustav die aristokratische Ständeherrschaft abgeschafft hatte.

Del Monacos Interesse gilt der amourösen Dreiecksgeschichte, die er aber enttäuschend phantasielos erzählt. Gustav liebt Amelia, die Frau Anckarströms. Als Anckarström den König und Amelia bei einem nächtlichen Stelldichein entdeckt, glaubt er fälschlicherweise an Ehebruch und schwört Rache. Musikalisch sind die drei Hauptrollen in Genf gut besetzt. Der Mexikaner Ramón Vargas als Gustav brilliert mit einem strahlenden Heldentenor und gibt den König als Sonnyboy, der alle Warnungen vor einer Verschwörung in den Wind schlägt.

Die Amelia der Russin Irina Churilova verfügt über einen dramatischen Sopran mit etwas viel Vibrato, vermag aber die Zerrissenheit der Figur ungenügend wiederzugeben. Starken Eindruck macht der Bariton Franco Vassallo als Anckarström, dessen Wandel vom treuen Freund zum erbitterten Feind des Königs er einleuchtend darstellt. Ein Kränzchen gebührt den beiden mittleren Rollen: Judit Kutasi stellt die Wahrsagerin Ulrica mit einer kellertiefen Altstimme dar. Und Kerstin Avemo verleiht der Hosenrolle des Pagen Oskar einen erfrischend buffonesken Charakter. Wo aber spielen sich die Ereignisse nun eigentlich ab?

Wenig Erhellendes

Im ersten Bild und im dritten Akt, die gemäss Libretto den Salon beziehungsweise den Ballsaal im königlichen Palast in Stockholm darstellen, lässt uns der Bühnenbildner Richard Peduzzi in das Innere eines Holzbaus blicken. Die schlichten Wände aus hellem Holz wecken aber eher Assoziationen an Materialien aus dem allbekannten schwedischen Möbelhaus als an einen königlichen Repräsentationsraum. Vielleicht sind indes die klassizistischen Fensterrahmen ein Hinweis auf eine höhere gesellschaftliche Sphäre.

Als starker Kontrast zu diesem Rahmen sind die beiden mittleren Bilder angelegt: Sowohl die Szenen bei der Wahrsagerin Ulrica, die dem König seine unmittelbar bevorstehende Ermordung prophezeit, als auch die schicksalhafte Begegnung der drei Protagonisten auf dem Galgenberg spielen sich rund um einen Felsbrocken in der wilden Natur ab. Es herrscht dabei eine derartige Dunkelheit, dass die Gesichter der Figuren kaum zu erkennen sind. Und dass die Lieblingsfarbe des Kostümbildners Gian Maurizio Fercioni ausgerechnet Schwarz ist, trägt auch nichts zur Erhellung bei.

Bei der finalen Ballszene dürfen die Damen dann immerhin in Weiss erscheinen. Alle Gäste tragen zusätzlich zu den obligaten Masken Lockenperücken, was wohl eine Anspielung auf die spätabsolutistischen Zustände am schwedischen Königshof sein soll. Zu einem szenischen Höhepunkt wird indes auch diese Ermordungsszene nicht: Wie in der ganzen Oper «glänzt» die Personenführung des Regisseurs durch konventionellen und sehr statischen Duktus. Auf einen tänzerischen Wirbel des Chors des Genfer Opernhauses wartet man vergeblich, ja beim braven Schreittanz bewegen sich nicht einmal alle Tänzer zum Takt der Musik.

Ästhetische Neuausrichtung

Bei der musikalischen Leitung gibt es eine Wiederbegegnung mit Pinchas Steinberg, der von 2002 bis 2005 Chefdirigent des Orchestre de la Suisse Romande war. Er erweist sich als Routinier der alten Schule, das heisst, er führt Solisten, Chor und Orchester sicher durch alle Klippen, aber er reisst das Publikum nicht gerade vom Stuhl. Die verschiedenen musikalischen Stilschichten von französischer Grand Opéra, italienischem Belcanto oder folkloristischen Gruppenszenen könnten noch schärfer herausgearbeitet werden. Und im rhythmischen Gefüge wackelt an der Premiere einiges.

Dieser «Ballo in maschera» ist nicht nur die letzte Eigenproduktion der Saison, sondern auch die letzte unter der Intendanz von Tobias Richter. Nach zehnjähriger Amtszeit in Genf übernimmt dieser das Präsidium der Géza-Anda-Stiftung. Richters Nachfolger am Grand Théâtre wird der Zürcher Aviel Cahn, der von der Flämischen Oper kommt.

Mit dem Intendantenwechsel ist voraussichtlich auch ein Wechsel in der künstlerischen Ausrichtung des Genfer Opernhauses verbunden. Während Richter einer eher konservativen Ästhetik verbunden war, ist zu erwarten, dass Cahn frischen Wind in das Traditionshaus der Rhonestadt bringen wird. Sein Motto für die Saison 2019/20 lautet «Die Hoffnung wagen». Als erste Neuproduktion wird «Einstein on the Beach» von Philip Glass gegeben.

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