Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Salzburger Pfingstfestspiele
07.06.2019 - 10.06.2019

Alcina

Oper in drei Akten (HWV 34)
Libretto von einem unbekannten Autor
nach Antonio Fanzaglias Textbuch zu Riccardo Broschis L'isola di Alcina
nach Ludovico Ariostos Orlando furioso
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h 15' (zwei Pausen)

Premiere im Haus für Mozart am 7. Juni 2019
(rezensierte Aufführung: 09.06.2019)

 

 

Homepage

 

Raum der Illusionen

Von Thomas Molke / Fotos: © SF / Matthias Horn

Händels Zauberoper Alcina zählt zu den größten Opernerfolgen des Hallenser Komponisten und stellt ein letztes Aufbäumen gegen das sinkende Interesse des Londoner Publikums an der Gattung dar, was Händel schließlich dazu veranlasste, mit seinen Oratorien neue Wege zu gehen. Vielleicht lag es an dem großen Konkurrenzdruck durch die Opera of the Nobility, die in der Spielzeit 1734/1735 keinen geringeren als den Starkastraten Farinelli neben den ehemaligen Händel-Stars Francesca Cuzzoni und Senesino aufbieten konnte und damit Händel zu neuen Höchstleistungen antrieb. Jedenfalls konnte Händel nach der erfolgreichen Premiere von Ariodante am 8. Januar 1735 im Covent Garden Theater mit seiner neuen Zauberoper drei Monate später das Londoner Publikum noch einmal so im Sturm erobern, wie es ihm bereits 1711 mit seinem Rinaldo gelungen war. Nicht unbedeutend für diesen großen Erfolg dürfte die Besetzung der Partie des Ruggiero mit dem berühmten Giovanni Carestini gewesen sein, der 1733 nach London gekommen war, um Senesino zu ersetzen und in Konkurrenz zur Opera of the Nobility zu treten. Hinzu kam, dass Händel als Vorlage für Alcina eine Vertonung des Stoffes durch seinen damaligen Widersacher Riccardo Broschi, den Bruder des berühmten Farinelli, verwendete, da dieser es in der Spielzeit zuvor gewagt hatte, Händels Oper Ottone ohne Zustimmung oder Beteiligung Händels mit abgeänderten Arien für seinen Bruder auf den Spielplan zu stellen. Für das Motto der diesjährigen Pfingstfestspiele, "Voci celesti", scheint Händels Alcina folglich prädestiniert zu sein, zumal sie mit der Titelpartie auch eine weitere Paraderolle für die künstlerische Leiterin Cecilia Bartoli enthält.

Bild zum Vergrößern

Ruggiero (Philippe Jaroussky) und Bradamante (Kristina Hammarström, 2. von links) zwischen Alcina (Cecilia Bartoli, rechts) und Morgana (Sandrine Piau, links)

Wie die Oper Ariodante, die vor zwei Jahren bei den Pfingstfestspielen zu erleben war (siehe auch unsere Rezension), greift auch Alcina eine Episode aus Ludovico Ariostos großem Ritterroman Orlando furioso auf, in dem Karl der Große zum Sieger über die ungläubigen Sarazenen hochstilisiert wird. Erzählt wird die Geschichte der Zauberin Alcina, die auf ihrer Insel Männer verführt und sie anschließend in Pflanzen, Tiere oder Steine verwandelt. Auch der Kreuzritter Ruggiero wird auf ihre Insel gelockt und vergisst darüber nicht nur seinen eigentlichen Auftrag, sondern auch seine Verlobte Bradamante, die sich mit seinem Erzieher Melisso daraufhin aufgemacht hat, um den verschollenen Geliebten zu suchen. Als die beiden ebenfalls auf der Zauberinsel stranden, gibt sich Bradamante als ihr eigener Bruder Ricciardo aus. Ruggiero erkennt sie nicht und sieht in ihr zunächst einen Rivalen um die Gunst Alcinas. Als Bradamante ihn an seine Verpflichtung seiner ehemaligen Verlobten gegenüber erinnert, macht er ihr klar, dass er Bradamante vergessen habe und bei Alcina bleiben wolle. Zu allem Unglück verliebt sich auch noch Alcinas Schwester Morgana in die verkleidete Bradamante, was wiederum die Eifersucht Orontes hervorruft, der als Heerführer Alcinas mit Morgana liiert ist. Schließlich erscheint Melisso Ruggiero in der Gestalt seines ehemaligen Erziehers Atlante und überzeugt ihn, die Insel zu verlassen. Alcina versucht verzweifelt, den Geliebten zu halten, muss aber erschrocken feststellen, dass sie mit ihrer Liebe zu Ruggiero zugleich auch ihre Zauberkraft eingebüßt hat. Tatenlos muss sie zusehen, wie Ruggiero bei seiner Abreise die Zauberinsel zerstört und ihr Reich untergeht. Die zurückverwandelten Menschen preisen den Wandel zum Guten.

Bild zum Vergrößern

Alcina (Cecilia Bartoli) gebietet über ihr Reich.

Das Regie-Team um Damiano Michieletto siedelt die Geschichte in einer Art Hotel an, aus dem es für die Gäste, die dort angekommen sind, kein Entrinnen mehr gibt. Mit einer weiteren Trennwand in der Mitte des Raumes werden beeindruckende Illusionen ermöglicht, die den Zauber dieses Ortes betonen. Zum einen gibt diese Wand den Blick auf einen dahinter liegenden Raum frei, der den vorderen Raum entweder mit einem Tisch oder einem Bett kopiert oder eine ganz andere Welt zeigt. Zum anderen fungiert diese Wand als eine Art Spiegel, in dem das Geschehen vor der Wand gewissermaßen gedoppelt wird. Dann wird die Wand auch noch für beeindruckende Projektionen genutzt, die mal die aufgetürmten Körper der Gefangenen in Alcinas Reich zeigen, mal mit beeindruckenden abstrakten Formen die Magie des Ortes unterstreichen. Auf der linken Seite der Bühne befindet sich ein magischer Spiegel, durch den Alcina auftritt und abgeht. Schon während der Ouvertüre erscheint Cecilia Bartoli als Alcina und führt mit betonten Gesten ihre Zauberkraft vor. So lässt sie das Licht im Zuschauerraum angehen oder manipuliert die acht Tänzer, die verzweifelt nach einem Ausweg aus diesem Raum suchen.

Bild zum Vergrößern

Ruggiero (Philippe Jaroussky) und Bradamante (Kristina Hammarström) wollen dem Zauberreich entfliehen (links hinten: die alte Alcina (Angelika Nieder)).

Anders als im Libretto sieht Michieletto die verwandelten Gefangenen auf der Insel nur als Bäume und Steine, um so den Stillstand zu betonen. Im zweiten Akt verschwindet der Raum hinter der Wand und ein riesiger Baumstamm wird auf die Bühne geschoben. Durch Einsatz der Drehbühne befindet sich dieser Stamm schließlich vor der Wand. Als Melisso einen Zweig abbricht, fängt der Baum an zu bluten, so dass Melisso die Wunde mit seinem Hemd verbinden muss. Auch Astolfo, der als Nebenhandlung von seinem verzweifelten Sohn Oberto gesucht wird, ist in Michielettos Inszenierung kein Löwe, sondern ein Baum, den Oberto auf Alcinas Anraten fällen soll. So wie sich Oberto im Libretto allerdings weigert, den Löwen zu töten, da ihn seine friedlichen Züge bewegen, ist Oberto bei Michieletto nicht bereit, das Beil gegen den verwandelten Vater zu erheben. Zur Seite stehen Alcina in Michielettos Inszenierung eine alte Frau und ein junges Mädchen, die wohl verschiedene Lebensstationen der Zauberin zeigen sollen. Die Funktion des Mädchens wird dabei eigentlich nicht klar, da das Kind nur mit dem Beil in der Hand über die Bühne laufen muss. Die alte Frau soll wohl Alcinas wahres Ich zeigen. Nachdem Ruggiero den Spiegel auf der linken Bühnenseite mit dem Beil zerstört hat, verwandelt sich Alcina nämlich allmählich in eine alte gebrechliche Frau, bevor sie schließlich tot auf der Bühne zusammenbricht. Die Wand scheint in einer Projektion in 1000 Scherben zu zerspringen, die anschließend aus dem Schnürboden herabgelassen werden, während der Chor und die Tänzer die Befreiung feiern.

Bild zum Vergrößern

Alcina (Cecilia Bartoli) und ihr Alter Ego (Angelika Nieder, rechts hinter der Wand)

Musikalisch ist die Produktion ein absoluter Hochgenuss. Da ist zunächst einmal Cecilia Bartoli in der Titelpartie zu nennen, die jede einzelne Arie mit einer großartigen Personenregie zu einer Bravournummer macht. Während das Publikum bei der ersten Arie, in der sie glücklich ihre Liebe zu Ruggiero besingt, an der die ganze Welt teilhaben soll, noch zurückhaltend reagiert, gibt es bei der zweiten Arie kurz vor Ende des ersten Aktes schon kein Halten mehr. Mit bewegender Stimmführung und großer Melancholie erkennt sie, dass sie allmählich ihre Schönheit für den Geliebten einbüßt. Gespiegelt wird diese Szene hinter der Wand durch die alte Alcina (Angelika Nieder). In einer großen Projektion versucht sie mit Lippenstift ihre Attraktivität zu erhalten. Bartoli findet dazu betörend sanfte Töne voller Traurigkeit und entschwindet am Ende hinter ihrem Spiegel auf der linken Bühnenseite. Nahezu unheimlich interpretiert sie die große Arie "Ah, mio cor". Die schmerzerfüllte Klage geht durch das ergreifende Staccato-Spiel der Musiciens du Prince unter der Leitung von Gianluca Capuano unter die Haut. Bartolis eindringliche Interpretation reißt das Publikum regelrecht von den Sitzen. Furios gelingt auch das Ende des zweiten Aktes mit "Ombre pallide", wenn Bartoli mit Angst einflößender Besessenheit die Dämonen ihres Reichs beschwört. Im dritten Akt darf sie dann mit stupenden Koloraturen in ihrer großen Rachearie "Ma quando tornerai" punkten und zieht noch einmal alle Register ihres Könnens. Die letzte Arie "Mi restano le lagrime", die Alcina als gebrochene Frau zeigt, ist in der Produktion ans Ende des dritten Aktes vor den Jubelchor gesetzt. Hier vollzieht Bartoli eine unter die Haut gehende Verwandlung zu einer alten Frau und bewegt stimmlich durch große Melancholie.

Philippe Jaroussky glänzt als Ruggiero mit leuchtendem Countertenor, der in den Höhen über eine grandiose Strahlkraft verfügt und die Koloraturen mit scheinbarer Leichtigkeit perlen lässt. Da lässt es sich gut nachvollziehen, dass Alcina an ihn ihr Herz verloren hat und Bradamante alles daran setzt, diesen Geliebten zurückzugewinnen. Dabei changiert Jaroussky gekonnt zwischen feurigen Koloraturen, die ihn als leidenschaftlichen und eifersüchtigen Liebhaber zeigen, und weichen, lyrischen Bögen, wenn er den Irrtum in seinem Liebeswahn erkennt. Mit unglaublicher Virtuosität begeistert Jaroussky gleich im ersten Akt, wenn er in der aufgewühlten Arie "Di te mi rido" Bradamante und Melisso verspottet, weil er aus dem Reich Alcinas nicht gerettet werden will, oder wenn er in der Arie "La bocca vaga" in der verkleideten Bradamante einen Nebenbuhler um die Gunst Alcinas fürchtet. Mit sehr weichen Tönen präsentiert er die lyrisch anmutende Arie "Verdi prati", in der er wehmütig noch einmal die Schönheit der Natur auf der Zauberinsel preist und Bedauern darüber empfindet, dass dies alles dem Untergang geweiht sein soll. Wenn er Alcina anschließend in "Sta nell'ircana" mit einer wilden Tigerin vergleicht, punktet Jaroussky mit stupenden Koloraturen und atemberaubenden Läufen. Kristina Hammarström begeistert als Bradamante mit sattem Mezzo, der unterstreicht, dass man sie auch für ihren Zwillingsbruder Ricciardo halten kann. Auch ihre intensive Darstellung lassen nachvollziehen, dass Morgana sich in sie verliebt. In der großen Rachearie "Vorrei vendicarmi" im zweiten Akt glänzt Hammarström durch bewegliche Koloraturen und flexible Stimmführung.

Bild zum Vergrößern

Morgana (Sandrine Piau) bittet Oronte (Christoph Strehl) um Verzeihung.

Ungewöhnlich ist die Besetzung des Oberto mit dem Wiener Sängerknaben Sheen Park. Darstellerisch passt er zwar wunderbar in die Rolle. In den Arien und Rezitativen besitzt seine Stimme allerdings natürlich noch nicht die Kraft einer ausgebildeten Sopranistin, von der diese Partie in der Regel gesungen wird, wenn die Rolle nicht komplett gestrichen wird. Park leistet trotzdem Beachtliches und gestaltet den ersten A-Teil der anspruchsvollen Arie "Barbara! Io ben lo so", in der er Alcina Grausamkeit vorwirft, wenn er den Löwen töten, hier den Baum fällen, soll, mit beweglichen Koloraturen, so dass er beim Publikum dafür großen Beifall erntet. Sandrine Piau verfügt in der Partie der Morgana über einen in den Höhen strahlenden Sopran, der für die Partie schon fast ein wenig zu schwer ist, zumindest wenn sie am Ende des ersten Aktes in der Arie "Tornami a vagheggiar" ihre große Liebe zu Bradamente / Ricciardo zum Ausdruck bringt. Sehr liebliche Töne schlägt sie in ihrer Arie "Ama, sospira" im zweiten Akt an, wenn sie Alcina davon abhält, Bradamante / Ricciardo zu verwandeln, und ihr herzergreifendes "Credete al mio dolore" im dritten Akt, mit dem sie Oronte um Vergebung für ihren Treuebruch bittet, lässt nachvollziehen, wieso Oronte bei ihr wieder schwach wird. Christoph Strehl und Alastair Miles runden als Oronte und Melisso das Solisten-Ensemble auf hohem Niveau ab. Gianluca Capuano zaubert aus dem Orchestergraben einen feingliedrigen Händel-Klang, der die Partitur in allen Schattierungen durchleuchtet, so dass es am Ende frenetischen Jubel für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Diese Produktion markiert wieder einen musikalischen und szenischen Höhepunkt unter der künstlerischen Leitung von Cecilia Bartoli.

Weitere Rezensionen zu den Salzburger Pfingstfestspielen 2019

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gianluca Capuano

Regie
Damiano Michieletto

Bühne
Paolo Fantin

Kostüme
Agostino Cavalca

Licht
Alessandro Carletti

Video
rocafilm

Choreographie
Thomas Wilhelm

Choreinstudierung
Markus Obereder

Dramaturgie
Christian Arseni

 

Les Musiciens du Prince - Monaco

Bachchor Salzburg

Statisterie

 

Solisten

Alcina
Cecilia Bartoli

Ruggiero
Philippe Jaroussky

Morgana
Sandrine Piau

Bradamante
Kristina Hammarström

Oronte
Christoph Strehl

Melisso
Alastair Miles

Oberto
Sheen Park (Wiener Sängerknabe)

Tänzer
Rouven Pabst
Hector Buenfil Palacios
Stefano De Luca
Tomaz Simatovic
Robert Söderström
Joan Aguilà Cuevas
Edward Pearce
Erick Odriozola

Alte Alcina
Angelika Nieder

Astolfo
Wolfgang Rauscher

 

 

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Salzburger Pfingstfestspiele
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2019 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -