Das Drama, das keines sein darf: Premiere von Verdis «Il trovatore» auf dem Klosterhof St.Gallen

Die 14. St.Galler Festspiele starten vor der eindrucksvollen Kulisse der Kathedrale für einmal nicht mit einer Opern-Rarität, sondern mit Giuseppe Verdis «Il trovatore». Bei allem Lob für die Sänger fällt der Applaus für Aron Stiehls Inszenierung des blutigen Bürgerkriegs-Dramas verhalten aus.

Rolf App
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(Bild: Urs Bucher)
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Für den Dirigenten ist Giuseppe Verdis «Il trovatore» ein dankbares, für den Regisseur aber ein ziemlich vertracktes Stück. Die Musik fliesst ganz wunderbar, immer wieder lässt Verdi unvergessliche Melodien blühen oder treibt den Kampf des Grafen Luna gegen den Troubadour Manrico um die schöne Leonora mit prachtvollen Chorszenen voran. Von seinen Sängerinnen und Sängern verlangt Verdi viel, sehr viel.

Eifersuchtsszenen, Duelle, Kriege

Der Regisseur dagegen sieht sich vor ein Dilemma gestellt. Da ist, einerseits, eine Handlung, wie sie farbiger nicht sein könnte. Spanien im Mittelalter, eine Zigeunerin, die als Hexe verbrannt wird und ihrer Tochter die eine Mahnung mitgibt: Räche mich! Ein Graf, der unrettbar in Leonora verliebt ist, und dessen Bruder spurlos verschwindet – im Feuer verbrannt, wie man glaubt. Das ist schon in seiner Anlage gruseliger Stoff. Es folgen Eifersuchtsszenen, Duelle, Kriege – also jede Menge Drama.

Allerdings: Verdis Librettisten Salvatore Cammarano und Leone Emanuele Bardare blenden in ihrer Anlage des Stücks viel von diesem Drama aus, verlegen es gewissermassen nach innen, in den intimen Raum persönlicher Auseinandersetzungen. Dort entwickelt sich dann die Geschichte bis zu ihrem düsteren Ende in Erzählungen, was von den Darstellern wie vom Regisseur eine grosse Gestaltungskraft erfordert.

Einfach und raffiniert zugleich

Aron Stiel baut in seiner Inszenierung für die St.Galler Festspiele stark auf das Zeichenhafte, wozu ihm Frank Philipp Schlössmann mit seiner Bühne und Mechtild Seipel mit ihren mit viel Schwarz und ganz wenigen farbigen, im Falle Leonoras auch helleren Akzenten arbeitenden Kostümen eine gute Vorlage liefern. Schlössmanns Bühne ist einfach und raffiniert zugleich. Da ist ein in der Mitte geteiltes, riesiges Gräberfeld, über dem ein von Schwertern durchbohrtes Herz und ein riesiger Totenkopf thronen. Von hinten führen zwei Treppen auf diese Bühne, das Herz aber lässt sich öffnen – vor farbig ausgeleuchtetem Hintergrund entfalten sich dann Leonoras intensiv-innige Gefühle.

Die von Michael Vogel einstudierten Chöre – der Chor des Theaters St.Gallen, der Opernchor St.Gallen, der Theaterchor Winterthur und der Prager Philharmonische Chor – sind wichtige Träger von Stimmungen und haben in Bärbel Stenzenbergers Choreografie auch vielfältig gestaltete Auftritte. Etwa, im zweiten Teil, als Schar abgerissener Zigeuner, die vom fröhlichen Zigeunerleben singen, aber dann wie heute die Flüchtlinge weggetrieben werden.

Star des Abends

Das könnte eine politische Andeutung gewesen sein. Doch verfolgt Aron Stiehl diese politische Lesart des «Trovatore», dem ja eine reale Bürgerkriegs-Geschichte aus dem 15.Jahrhundert zugrunde liegt, nicht gross weiter. Stattdessen rückt er seine Hauptdarsteller ins Zentrum – Leonora, den Grafen Luna, den Troubadour Manrico, und seine Mutter, die Zigeunerin Azucena. Sie wären von ihrer darstellerischen und vor allem sängerischen Potenz her durchaus in der Lage, das Stück zu tragen. Alfredo Daza verkörpert den Conte di Luna mit düsterer Verzweiflung. All sein – mehr und mehr ins Drohen übergehende – Werben bringt Hulkar Sabirova als Leonora nicht von ihrer Liebe zu Manrico ab.

Mit grossem stimmlichen Farbenreichtum und einem enormem Sinn für die Nuancen ihrer Rolle wird sie zum Star des Abends, neben dem Timothy Richards als Manrico ein wenig verblasst. Zumal da noch eine andere starke Frau ist, die ihn mit ihrem Ruf nach Rache in den Bann zieht: Okka von der Damerau als bühnen-beherrschende Azucena.

Wenige symbolische Gesten

Die Voraussetzungen wären also durchaus gegeben gewesen, um diesen «Trovatore» auf einem sommerlich milden Klosterhof zum packenden Opernabend werden zu lassen. Leider aber wirft Aron Stiehls Personenführung viele, zu viele Fragen auf. Vor allem in der ersten Hälfte des Abends, die in ihrem erzählerischen Charakter Bewegung besonders dringend bräuchte, rückt Stiehl die Personen oft weit auseinander und begnügt sich mit wenigen symbolischen Gesten. So aber werden die psychischen Abgründe, die den «Trovatore» trotz seiner mittelalterlichen Schauplätze modern erscheinen lassen, mehr überspielt als deutlich gemacht.

Das Premierenpublikum hat denn auch mit zwar langem, in seiner Intensität aber doch eher gedämpftem Applaus reagiert. Man spürte: Das Drama hatte die Menschen nicht gepackt – weil es gar kein Drama sein darf.