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Don Giovanni lässt die Puppen tanzen
Von Joachim Lange
/ Fotos von Michele Crosera Mozarts Don Giovanni passt gut nach Venedig. Auch wenn sie eigentlich in Spanien spielt. Als Ort der Handlung kann man sich für die letzte Nacht des sprichwörtlichen Verführers die Lagunenstadt genauso gut vorstellen wie die nächtlichen Gassen von Sevilla. Die verschlungenen Pfade zwischen Markusplatz und Ponte Rialto wirken in der Dunkelheit wie eine Kulisse dafür. Aber warum um alles in der Welt Regisseur Damiano Michieletto und seine Kostümbildnerin Carla Teti in einer Stadt, die für ihren Karneval berühmt ist und in der es fast an jeder Ecke die wunderbarsten Masken zu kaufen gibt, ausgerechnet auf die drei Exemplare verzichten, die für den Auftritt von Don Ottavio, Donna Anna und Donna Elvira auf dem Fest von Don Giovanni ausdrücklich vorgesehen sind, und sie stattdessen dazu verdonnern, sich nur verschämt die Hand vors Gesicht zu halten, statt mit venezianischen Masken anzurücken, das bleibt ihr Geheimnis. Dabei hätten die Masken in diesem eher historischen Ambiente nun wirklich nicht gestört. Weder auf der Bühne, im Labyrinth der stattlichen Palazzowände in Dauerbewegung, noch im prunkvoll goldfunkelnden Saal des Teatro La Fenice. Damiano Michieletto ist eh kein Bilderstürmer, der die Geschichten, die er inszeniert, mit Deutungsehrgeiz vehement überschreibt oder sonst wohin verlegt. Ein paar pfiffige Ideen bietet die in Italien im Jahr nach ihrer Premiere von 2010 mit dem dortzulande renommierten Abatti-Preis hochdekorierte Inszenierung allerdings tatsächlich. Etwa, wenn Zerlina eigentlich die Versöhnung mit ihrem Masetto sucht, auf der Bühne aber den (für uns sichtbaren und von ihr offensichtlich als Traummann imaginierten) Don Giovanni ansingt. Oder, wenn er wiederum als imaginierte, für uns sichtbare und für die anderen nur erahnbare Figur des Don Giovanni alle ab und an wie Marionetten führt. Und dann am Ende, wenn er zum lieto fine plötzlich putzmunter wieder auftaucht und alle gleichsam zu Boden gehen lässt. Diese Momente der eigentlich nicht vorgesehenen Anwesenheit der zentralen Figur, die einer dominierenden Präsenz von deren Geist gleichkommt, und eine Art Don-Giovanni-Prinzip für die, die mit ihm in Berührung kommen, ist, machen Sinn und verleihen der Inszenierung Momente von intelligentem szenischen Witz. Was ebenfalls für diese jetzt wiederaufgenommene Inszenierung spricht, ist das Bühnenbild von Paolo Fantin. Er hat ein System von Wänden gebaut, die einen Gang aus leicht aus dem Bild drehenden Parallelen bilden, aber auch zu einem schmalen intimen Raum an der Rampe werden können. Auch wenn es manchmal rumpelt, werden die Schauplatzwechsel mühelos bewältigt. Den Friedhof ersetzt ein Raum, in dem ein Sarg aufgebahrt ist. Nebst ein paar Zimmerpalmen. Wenn Don Giovanni seine berühmte Kanzone zum Fenster einer Angebeteten hin singt, dann wird das hier zu einem Ansingen einer Wand, hinter der die Betreffende lauscht. Diese selbst freilich gehört eher auf die Seite der Ärgerlichkeiten der Inszenierung. Deren Manko liegt nämlich nicht nur in einer erstaunlich dürftige Personenregie - die man ja aus Anlass der Wiederaufnahme nochmal hätte aufpolieren können. Nachvollziehbar ist noch, dass das Fest fast im Dunkeln, in dem ja bekanntlich gut munkeln ist, stattfindet. Das Ende des ersten Aktes, wenn sich Don Giovanni durch Flucht aus der Affäre zieht, wird dann aber geradezu verläppert, in dem einfach die anderen "gehen". Das Festmahl, zu dem der Komtur eingeladen ist, avanciert hier zu einer ziemlich primitiven Orgie. Der steinerne Gast kommt einfach wieder durch die Tür, und die Höllenfahrt wird zu einem simplen Herzinfarkt, nach dem der Titelheld einfach auf dem Boden liegen bleibt. Kaspar in der Wolfsschlucht Eigentlich ist er das Problem. Und das nicht etwa, weil Alessio Arduini keine überzeugende Don Giovanni-Figur abgeben würde. Ganz im Gegenteil. Der 32jährige Italiener entspricht so ziemlich jedem Verführerklischee. Und packt das auch stimmlich. Die Fotos im Programm verraten allerdings eine Differenz zur Premiere, über die man sich dann doch wundert. Da sieht man auch einen Don Giovanni, der mal ohne Oberhemd mit dem Degen rumfuchtelt. Und so (überdeutlich) deftig und handgreiflich wie es hier im Allgemeinen zur Sache geht, wäre das auch logisch - zumindest die hinzugefügte 1004. Dame seines Herzens (na ja, wohl doch eher eines anderen Körperteils) hätte da wohl zugegriffen. In Venedig ist Don Giovanni als Person mehr ein pathologischer Fall von Sexsucht als ein Libertin, der vermeintliche moralische Gewissheiten von Don Ottavio & Co in Frage stellen würde. Und damit ist er per se ein paar Nummern kleiner als bei Mozart und Da Ponte. Vielleicht war das das Motiv, um Leporello, den man ja auch schon auf Beinahe-Augenhöhe mit Don Giovanni erlebt hat (wie etwa in Claus Guths Salzburger Inszenierung), metaphorisch einen Kopf kürzer zu machen und ihm ein schnell nervendes Stottern zu verpassen. Omar Montanari kann einem da regelrecht leid tun und man freut sich mit ihm, wenn er die rezitativische Stotterstrecke hinter sich gelassen hat und ungestört die Frauen Don Giovannis durchzählen darf. Als Donna Anna geht Gioia Crepaldi mit Vehemenz zur Sache, im Ausbruch der Gefühle mitunter leicht angeschärft, aber immer raumfüllend. Carmela Remigio setzt als Donna Elvira ihre reichliche Mozart-Erfahrung ein, um kleine stimmliche Mängel auszugleichen. Am rundum überzeugendsten freilich ist Giulia Semenzato mit ihrer kultivierten Eloquenz als Zerlina. William Corrò ist der dazu passende Masetto. Juan Francisco Gatell komplettiert das Ensemble um einen respektablen Don Ottavio. Während Attila Jun doch schon alle Kräfte für seinen Commendatore zu mobilisieren scheint. (Da in der kurzen Serie bis zum 30. Juni nahe zu täglich gespielt wird, sind außer der des Komturs alle Rollen doppelt besetzt. Man kann also alternierend auch als Don Giovanni Simon Schnorr, als Donna Anna Francesca Dotto, als Donna Elvira Cristina Baggio oder Claudia Pavone, als Don Ottavio Anicio Zorzi Giustiniani als Leporello Andrea Vincenzo Bonsignore, als Zerlina Lucrezia Drei und als Masetto Matteo Ferrara in Venedig erleben.)Jonathan Webb leitet das Orchester des La Fenice beherzt und zupackend. Claudio Marino Moretti hat den Chor präzise einstudiert. Dem etwas triste historisierenden Einheitslook der Kostüme hätte freilich ein wenig mehr Differenzierung zwischen den Don und Donnas und dem einfachen Volk gut zu Gesicht gestanden.
Ein Besuch des La Fenice lohnt allemal wegen des in alter, neuer Schönheit prunkenden Hauses und des Weges dorthin. Wenn Michielettos und Webbs Don Giovanni auf dem Programm steht liegt man auch musikalisch und vokal nicht daneben. Der große Aufritt wird in Venedig auch außerhalb der Mauern des berühmten Opernhauses dauernd und an jeder Ecke inszeniert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Solisten
Don Giovanni
Donna Anna
Donna Elvira
Don Ottavio
Leporello
Zerlina
Masetto
Commendatore
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