Die Französische Revolution als cineastischer Historienschinken – bei der Münchner Inszenierung von Umberto Giordanos Andrea Chénier hatte man als Zuschauer immer Angst, dass man dank der überwältigenden Bilderflut, auch bloß kein Detail verpasste. Philipp Stölzlz Inszenierung ist erst zwei Jahre alt und war 2017 in Starbesetzung mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros die erste Inszenierung des Verismo-Juwels an der Bayerischen Staatsoper überhaupt. Vielleicht ist es also eine kleine Entschuldigung des Hauses an das Werk, dass man sich bei Ausstattung und Bühnenbild nicht lumpen ließ.

Im ersten Bild darf der Adel in einer zuckerwattigen Welt aus Rosa- und Cremefarben den Untergang des Ancien Régime in einer rauschenden Ballgesellschaft verdrängen – dem Zuschauer wird allerdings in der Gesamtansicht sofort klar, wie instabil die Situation bei allem Überfluss ist. Denn Adel und Kirche bewohnen in der Inszenierung nur eine Etage im großen gesellschaftlichen Haus, das versucht, das Elend im Keller zu verstecken. Recht bald ziehen in die oberen Etagen die Jakobiner ein und trotz aller Versprechungen will das Elend nicht aus dem Keller verschwinden. Zwischendurch ruft der mit „Joker-Fratze“ geschminkte und mit blutig-zerrissener Trikolore ausgestattete Mathieu die Grauen der Zeit ins Bewusstsein zurück – und bis zum Schluss mag kein Batman erscheinen, der der Geschichte eine gute Wendung hätte geben können. Leittragende der sozialen Umstände sind Dichter Andrea Chénier und Maddalena di Coigny, die beide von der Revolution gejagt schlussendlich erst im Tot vereint auf ewig verbunden bleiben.

In der Rolle der Maddalena brillierte wieder Anja Harteros. Mit erstaunlicher Reife schaffte sie es auch ihrer etwas klischeehaft angelegten Rolle der naiven Adeligen, die für ihre Liebe zu sterben bereit ist, Tiefgang zu verleihen. Als sie ihre große Arie „La mamma morta“ anstimmte, war jeglicher Pomp vergessen. In einer kleinen Kammer im ersten Stock, erhellt in silbrigem Licht, fesselte Harteros erst mit ihrer verstörend gefassten Erzählung vom Tod ihrer Familie, anschließend mit dem Strom an Emotionen und der Dramatik mit der sie die Arie beschloss. Mit ihrem glasklaren Timbre, ewig schwebenden Tönen und ihrem subtilen schauspielerischen Können festigte sie ihre Position an der Spitze der aktuellen Verismo-Sängerinnen.

An ihrer Seite agierte Stefano La Colla in der Titelpartie leider etwas ungelenk. Sein lyrischer Ansatz passte wunderbar zur vollen Mittellage, stand aber in schiefem Gegensatz zu dramatisierten Spitzentönen, die La Colla doch recht steif hinauskatapultierte. Im Ergebnis wirkte der Italiener selbst in den Zimmerchen des Bühnenpuppenhauses ziemlich verloren und die ungeheure Leidenschaft, die die Starkstromrolle bietet, wurde zur Aneinanderreihung von Arien anstatt einer schlüssigen Charakterbildung.

Stark agierte hingegen Željko Lučić als Gérard, der vom Diener im Adelshaus zu einem der führenden Rebellen wird und dabei am Versuch zerbricht, sich seine Menschlichkeit zu bewahren. Herrlich temperiert ließ Lučić seinen Bariton fließen und zeichnete sehr eindringlich den vielschichtigen Charakter des Gérard nach.

Das Münchner Staatsorchester unter der Leitung von Asher Fisch lieferte zum Bilderspektakel der Bühne mitreißende Musik, die in den herrlichen Melodien schwelgen durfte, ohne dabei die Rücksicht auf die Sänger zu vergessen. Auch der Chor der Staatsoper fügte sich in den Bilderreigen ein. Da trifft der feenhafte Frauenchor auf einen Männerchor, der zum grimmigen Arbeiterlied anstimmte. Mehr Oper geht da wohl wirklich nicht.

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