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Kritik - "Idomeneo" in Salzburg Blasses Öko-Drama - magische Musik

In Salzburg feierte gestern die Neuinszenierung von Mozarts "Idomeneo" Premiere – mit einem eingespielten Team: Dirigent Teodor Currentzis und der Regie-Altmeister Peter Sellars. Die Inszenierung dieser dramatischen Story versprach spannend zu werden, brandaktuell und hochpolititsch. Doch die Erwartungen wurden enttäuscht. Musikalisch war der Abend dafür umso mitreißender.

Mozarts "Idomeneo" bei den Salzburger Festspielen | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Ruth Walz

Bildquelle: Salzburger Festspiele / Ruth Walz

Wenn einer sagt, dass er was tun will, hat er's noch lange nicht gemacht. Regisseur Peter Sellars hat für das Programmheft seiner "Idomeneo"-Inszenierung eine Zusammenfassung der Handlung verfasst. Es ist fast ein kleiner Roman geworden. Darin steht nicht unbedingt, was Mozart und sein Librettist in die Partitur geschrieben haben. Aber auch keineswegs das, was man in der Salzburger Felsenreitschule auf der Bühne sieht. Sondern das, was Sellars inszenieren wollte. Und das ist – oder wäre – hochpolitisch und hochaktuell.

Flüchtlingskrise und Fridays for future-Bewegung

Schiffbrüchige Flüchtlinge, heißt es da, kommen vor eine Einwanderungsbehörde, eine Umweltkatastrophe führt zum Ende der uns bekannten Zivilisation, aber am Schluss, da finden "Ökosysteme ein neues Gleichgewicht" und alles wird gut in einem "noch nie dagewesenen Ritual" der jungen Generation. Daneben Zitate von Greta Thunberg und den Aktivisten von Fridays for future. Interessant! Aber was sieht man auf der Bühne?

Peter Sellars Regie enttäuscht

Im Schlussbild stellen sich einfach mal alle Figuren frontal zum Publikum auf – fertig. Vorher gibt es polynesische Tänze. Warum polynesisch? Wegen Einklang mit der Schöpfung und so. Außerdem würden die Inseln im Pazifik wohl unter einer Erhöhung des Meeresspiegels besonders leiden. Aber auch das erschließt sich allenfalls aus dem Programmheft. Zu sehen ist davon wie auch von der planetarischen Umweltkatastrophe nur dann etwas, wenn man weiß, was gemeint ist. Gut, es liegt eine Menge malerisches Meeresgetier und ästhetisch geformter riesiger Flaschen aus durchsichtigem Plastik auf der Bühne. Das wird irgendwann an Schnüren in die Höhe gezogen und mit farbigem Licht angestrahlt, was vor allem sehr, sehr hübsch aussieht.

Esoterisch angehauchte Öko-Pax-Allgemeinplätze

Dekorativ sind auch die Choreographien. Fast pausenlos sind die Figuren in Bewegung. Beschwörende Gesten, betende Hände, symmetrisch und synchron. Wenn der Chor kollektiv die Arme hebt, hat das durchaus was von der guten alten Chorus Line am Broadway. Das ist recht angenehm anzuschauen, erschöpft sich aber viel zu oft genau darin und läuft deshalb ins Leere. Wenn irgendwann einzelne Aktionen psychologische Kraft gewinnen, etwa wenn zwei Gegenspieler einander heftig angehen, dann wird das durch permanente Wiederholung gleich wieder entkräftet. Alle erzählerischen Momente lösen sich in abstrakte Stilisierung auf, alle Dramatik verliert sich in abgezirkelten Bewegungsritualen. Doch selbst wenn die im Programmheft behauptete, aber auf der Bühne nur angedeutete Gesellschaftskritik wirklich sichtbar würde, bliebe es bei esoterisch angehauchten Öko-Pax-Allgemeinplätzen.

Star des Abends: Dirigent Teodor Currentzis

Trotzdem gab es an diesem Abend fast keine Momente der Langeweile. Das spricht für die außergewöhnliche, noch immer unterschätzte Kraft dieser Musik des 24-jährigen Mozart. Und natürlich für den eigentlichen Star des Abends: Teodor Currentzis. Der hat ein Ensemble aus relativ wenig bekannten Sängern zusammengestellt – nicht alle erfüllen die Weltklasse-Erwartungen, die man an eine Salzburger Eröffnungspremiere stellt. Russell Thomas in der Titelrolle etwa klingt oft recht angestrengt, was er nur teilweise durch gestalterische Verve ausgleichen kann.

Bilder von der Inszenierung finden Sie hier.

Mozarts "Idomeneo" bei den Salzburger Festspielen | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Ruth Walz Paula Murrihy als Idamante mit Nicole Chevalier als Elettra | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Ruth Walz Paula Murrihy singt den Idamante sehr zuverlässig mit warmem Mezzo und feinem Piano. Wirklich großartig sind die zwei Frauen, die um seine Gunst rivalisieren: Die chinesische Sopranistin Ying Fang gibt ein gelungenes Salzburg-Debut als Ilia. Die eindrucksvollste Leistung kommt von der Amerikanerin Nicole Chevalier als Elettra. Was für eine dynamische Spannweite! Großartig, wie gut ihr pianissimo in der riesigen Felsenreitschule trägt – und wieviel erotisches Charisma ihr Zornausbruch in der finalen Verzweiflungsarie transportiert!

"Klassikrebell" Currentzis überrascht mit Natürlichkeit

Gewohnt lustvoll reizt Dirigent Teodor Currentzis die Extreme aus. Mit bohrender Intensität und rockenden Akzenten, aber auch mit einem unglaublichen Gespür für feinste Temposchwankungen und berührende Momente sorgt Currentzis für Hochspannung und große Gefühle. Und man erlebt beglückt, wie der angebliche Klassikrebell zu einer Stärke findet, die ihm bislang eher fremd schien: Natürlichkeit.

Dirigent Teodor Currentzis. | Bildquelle: BR/Alexander Hellbrügge Teodor Currentzis | Bildquelle: BR/Alexander Hellbrügge Currentzis, der Macher und Extremist, der sonst die Zügel fast allzu streng in der Hand hält und dessen sprühende Ideen manchmal ins Manieristische zu kippen drohen, hat an Gelassenheit gewonnen. Er muss nicht mehr pausenlos an der Schraube drehen, kann die Musik auch mal einfach nur fließen lassen. Dann kommen die nächsten dramatischen Impulse umso mehr zur Geltung. Dabei sind ihm das Freiburger Barockorchester und der hinreißende MusicaEterna-Chor exzellente Partner. So schenkt Currentzis, was die Regie schuldig bleibt, den Musikern und dem Publikum mit beglückender Großzügigkeit: magische Augenblicke.

Sendung: "Allegro" am 29. Juli ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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