Anna Netrebko in Salzburg: Buttercrème und Pathos

Nachdem in Mozarts «Idomeneo» die Probleme der Welt auf der Bühne verhandelt wurden, kehren die Salzburger Festspiele zu Glamour und Star-Spektakel zurück: Anna Netrebko triumphiert als Diva in Francesco Cileas «Adriana Lecouvreur».

Tobias Gerosa, Salzburg
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«Ich bin die bescheidene Magd des schöpferischen Genies»: Anna Netrebko singt die Titelrolle in Cileas «Adriana Lecouvreur» (Bild: Kirk Edwards / Salzburger Festspiele)

«Ich bin die bescheidene Magd des schöpferischen Genies»: Anna Netrebko singt die Titelrolle in Cileas «Adriana Lecouvreur» (Bild: Kirk Edwards / Salzburger Festspiele)

Mythen sind das Thema der diesjährigen Salzburger Festspiele. Francesco Cileas veristische Oper «Adriana Lecouvreur» von 1902 passt nicht recht dazu – es sei denn, man betrachtete sie im Lichte des Mythos um die Diva. Die heisst in Salzburg Anna Netrebko, und damit wäre eigentlich über den Verlauf des Abends wie den der Handlung fast alles gesagt, was man wissen muss.

Nur so viel noch: Ein vergifteter Veilchenstrauss wird in dem Drama um die titelgebende Schauspielerin nach einer Vorlage von Eugène Scribe zum Mordinstrument. Er bietet die dankbare Möglichkeit eines langsamen Sterbens der Protagonistin – und damit Anlass für eine weitere grosse Szene für die Sopranistin. Denn darum geht es in den drei als konzertant angekündigten Vorstellungen im Grossen Festspielhaus: Das Publikum will die Netrebko, wohl die einzige verbliebene «Primadonna assoluta» unserer Zeit, hören und sehen. Und es kommt voll auf seine – nicht unmassgeblichen – Kosten.

Die Diva als Diva

In Salzburg begann 2002 Netrebkos Weltkarriere, die sie wie keine andere Sängerin auch über die eigentliche Opernwelt hinaus bekannt machte. An der Salzach wird sie denn auch nicht bloss von der professionellen Kulturkritik begleitet, sondern auch von zahllosen People-Magazinen und Webportalen – ein Umstand, der ihr durchaus zu gefallen scheint. Und «Anna in Salzburg», das ist auch sängerisch eine Erfolgs- und Fortsetzungsgeschichte – diese «Adriana Lecouvreur» bestätigt das eindrücklich.

Theater-Fiktion und Wirklichkeit überlagern sich dabei: Die Diva der Festspiele, Anna Netrebko, verkörpert die Diva der Comédie française des 18. Jahrhunderts, Adriana Lecouvreur, eine historisch belegte Figur. Sie fürchtet kein Pathos, wenn sie deklamierend auftritt, und kein Regisseur rät ihr von den ganz grossen Gesten ab. Das passt in selten ironischer Weise zum Text ihrer Auftrittsarie, des ersten Bravourstücks der Titelheldin: «Ich bin die bescheidene Magd des schöpferischen Genies».

Netrebko glänzt mit berückendem messa di voce vor einem ganz leise angesetzten Schlusston – da weiss eine Sängerin unüberhörbar, was und wie sie singt. Die Stimmkontrolle ist phänomenal, die grossen Ausbrüche setzt sie gekonnt, ohne dass ihr Sopran die Wärme verlieren würde, expressiv geht sie immer wieder ins Leise zurück, ohne dass die Linien abbrechen. Aus der erstaunlich dunkeln, fast mezzofarbenen Mittellage kann sie die Höhe sanft schimmernd aufblühen oder stählern strahlen lassen. Eine Stimme wie Buttercrème. Das ist eindrücklich und bestätigt ihren Ruf als Ausnahmekünstlerin. In Salzburg assistiert ihr der sonst zum Breitwand-Sound neigende Dirigent Marco Armiliato dabei aufmerksam. Singt sie, ist er mit dem Mozarteum-Orchester nie zu laut, und jedes Rubato nimmt er sofort auf.

Nicht ohne den Gatten

Cileas Oper ist ganz auf die zentrale Titelpartie ausgerichtet. Netrebko macht zum Glück aber nicht den Fehler, sich mit Mittelmass zu umgeben, um noch mehr zu glänzen – jedenfalls nicht immer. Mit Nicola Alaimo als heimlichem Verehrer und väterlichem Freund Michonnet hat sie einen Prachtbariton an ihrer Seite und mit Anita Rachvelishvili als Prinzessin von Bouillon eine äusserst starke, stimmlich beeindruckende Widersacherin. Etwas weniger Hochdruck würde Rachvelishvili allerdings guttun. Treffen die beiden Rivalinnen aufeinander, fliegen die Fetzen und Funken. Bei diesem auf Gesten- und Stimmebene ausgetragenen Divenkampf zeigt die Oper bei aller Intensität freilich auch, wie leicht sie in ihr eigenes Klischee abrutschen kann.

Die Aufführungen sind als konzertant angekündigt. Das bedeutet den Verzicht auf Dekoration und szenische Aktionen. Doch die Solisten singen auswendig und agieren in ihren Rollen durchaus auch szenisch miteinander. Hier scheint eine Regie tatsächlich kaum zu fehlen. Allerdings ist da auch noch der Tenor, um den sich Mezzo und Sopran streiten. Yusif Eyvazov, Netrebkos Ehemann, ohne den die Diva offenbar nirgends mehr zu haben ist, klingt in der Rolle des Maurizio recht einfarbig und häufig angestrengt, da er viel Druck auf seine Stimme geben muss, um nicht im pastosen Orchesterklang unterzugehen. Aber auch als Figur bleibt er blass. Da wird spürbar, wo eine gute Regie eben doch helfen könnte.