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Händels „Agrippina“ in München: Frauen, die nicht aufgeben

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Agrippina, Alice Coote, zieht die Fäden. Narciso, Eric Jurenas, gibt dazu den Clown.
Agrippina, Alice Coote, zieht die Fäden. Narciso, Eric Jurenas, gibt dazu den Clown. © Wildfried Hösl

Und Männer, die an Fäden tanzen: Barrie Kosky und Ivor Bolton präsentieren Händels „Agrippina“ bei den Münchner Opernfestspielen.

Georg Friedrich Händels „Agrippina“ ist eine Prequel zu Monteverdis „Krönung der Poppea“. Der Begriff aus der Welt des Films und der TV-Serie ist in diesem Fall allzu berechtigt: Um Neros Mutter Agrippina und die künftige Kaiserin Poppea entwickeln sich Intrigen und Schandtaten, wie sie sonst aus „Der Denver-Clan“ und „House of Cards“ bekannt sind. Bei Händel erzwingt, erschleicht, erreicht Agrippina mit allen Mitteln, dass ihr unfähiger Sohn Kaiser wird. Soll Poppea doch ihren Ottone haben. Bei Monteverdi schafft es Poppea an Neros Seite, er selbst ist es nun, der alle Hindernisse (seine Frau und jenen glücklosen Ottone) beseitigt. Faszinierend, wie die Liebe zwischen Nero und Poppea, an die Kenner des Films „Quo vadis“ zudem nicht glauben können, alle Untaten relativiert. Faszinierend, wie auch Händel auf eine Verurteilung seines Personals verzichtet, ohne übrigens auf den Gedanken zu kommen, Mutterliebe könnte hierbei eine Rolle spielen. Alles scheint vielmehr unter Realpolitik verbucht zu werden, und ob Nero ein schlechterer Kaiser ist als die anderen Kandidaten, steht zu diesem Zeitpunkt dahin („Quo vadis“-Kenner sind im Bilde).

Moralisch eisig und menschlich quicklebendig gestaltet sich also „Agrippina“ in der Inszenierung für die Münchner Opernfestspiele von Barrie Kosky (dem rasend Beschäftigten, der im August in Salzburg „Orpheus in der Unterwelt“ herausbringt). In die Schmuckschatulle des Prinzregententheaters hat Bühnenbildnerin Rebecca Ringst einen Quader mit metallenen Rahmen stellen lassen, die kassettierten Seitenwände sind mit schwarzen und weißen Jalousien verschlossen, die sich nachher gelegentlich öffnen.

Der Quader rotiert und kann später zur Seite aufgeklappt und in drei Scheiben zerlegt werden. Er ist im Großen und Ganzen ein unwirtlicher, aber moderner Arbeits- oder Wohnort, vor dem und, seltener, in dem die Handlung stattfindet – für die Barrie Kosky außer seiner Personenregie aber im Grunde genommen nichts braucht. Menschen stehen und denken sich was (selten etwas Gutes), dann tritt wieder jemand hinzu und führt gewiss ebenfalls etwas im Schilde. Die Handlung besteht darin, dass Agrippina und Poppea abwechselnd den ihnen zu gleichen Teilen verfallenen Männern sagen, was sie tun sollen. Dafür heulen und lügen sie, dass sich die Balken biegen (nein, sie biegen sich eben nicht), sind lustig, kokett, verletzlich und flexibel. Die Oper nimmt es ihnen nicht übel.

Kosky sieht das Komische, das Schematische und das Grausige darin, Witzfiguren scharwenzeln herbei, herum und hinfort oder werfen sich den Frauen direkt zu Füßen, die ihrerseits Krokodilstränen heulen, aber sich das Lachen nicht immer verbeißen. Die Männer hauen sich gegenseitig zusammen, Blut fließt auf ordentliche Anzüge, aber die Fäden ziehen Agrippina und Poppea, die ihre Garderoben – von Klaus Bruns nach und nach gesteigert – so oft wechseln wie ihre Taktik (auch greift Alice Cootes Agrippina lässig zum echten Mikro, wenn sie den Eindruck noch ein bisschen verschärfen muss). Hinter dem Reinlichen und Possierlichen steckt die Härte, die über Leichen geht. Etwas nicht zu verurteilen, heißt nicht, es zu verharmlosen. „Agrippina“ wird in München nicht zu einer Komödie, oder nur gelegentlich. Nerone, Franco Fagioli, der ein verzwirbeltes, aber auch schlaues Söhnchen spielt und seinen Countertenor mit Pomp zur Geltung bringt, steigt ins Publikum, um die Armen Roms zu trösten. In der ersten Reihe bei den Münchner Opernfestspielen hat das schon eine besondere Ironie.

Dabei hört es sich auch noch kernig und schwungvoll an. Ivor Bolton dirigiert das exzellente Staatsorchester, das sich problemlos auf die Mischung aus Finesse und Geduld einlässt, die der hartnäckig ausgestellte Wechsel von Rezitativ und Arie erfordert. Ein vorzügliches Ensemble steht zur Verfügung – und wird sich alsbald wieder auflösen, wenn die Inszenierung kommenden Herbst an Londons Covent Garden geht. Weitere Kooperationspartner sind Amsterdam und Hamburg.

In München aber ist Coote als reife, große Agrippina zu hören, deren Stimme sich der blanken Kühle und Nüchternheit der Inszenierung anzupassen scheint. Der Bass Gianluco Buratto ist als Claudio der Mann (Agrippinas Mann, Roms Kaiser), der offiziell sagt, wie es gemacht wird. Elsa Benoit ist die jüngere Konkurrentin, übrigens nicht was die Männer, sondern was die Lebensplanung betrifft. Poppea liebt Ottone, aber anders als bei den anwesenden Herren schaltet sich dadurch nicht ihr Gehirn aus. In der Serie wäre sie die, die sich nicht unterkriegen lässt. Benoits leicht klingender, aber überraschend durchsetzungsfähiger Sopran glitzert in allen Farben der Hoffnung.

Fagiolis markanter kraftvoller Counter wird wiederum abwechslungsreich flankiert von Iestyn Davies mit einer sanfteren Ottone-Stimme und Eric Jurenas als buffoeskem Narciso. Narciso und Pallante, der Bass Andrea Mastroni, sind ein veritables, auch körperlich höchst einsetzbares Clownspaar. Kosky, Meister der Bewegung, übertreibt es aber nicht. Dass szenisch trotz allem eher eine Untertreibung herrscht, aber eine freche Untertreibung, trägt zur besonderen Qualität der Inszenierung bei. Poppea, die erfolgreiche, bleibt in München alleine zurück. Das ist kein moralisches Urteil, schon rauscht die Geschichte aber weiter.

Termine

Münchner Opernfestspiele , Prinzregententheater: 30. Juli. www.staatsoper.de

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