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Derek Welton als Klingsor im Parsifal. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Derek Welton als Klingsor im Parsifal. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
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Zerbrochener Speer als Kreuz – „Parsifal“ bei den Bayreuther Festspielen

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Ein insgesamt großer Abend und ein musikalisches fesselndes Ergebnis des „Parsifal“ unter Semyon Bychkov, in einer nicht unproblematischen Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg, an welcher der Regisseur auch in diesem Jahr merklich weitergearbeitet und Modifikationen gesetzt hat. Peter P. Pachl hat für uns die Premiere der Neuinszenierung besucht.

Wenig an Kraft gewonnen hat der erste Aufzug des „Parsifal“, mit dessen Neuinszenierung – vor nunmehr vier Jahren – der Regisseur Uwe Eric Laufenberg an die Situation der Flüchtlingsströme angeknüpft hatte mit dem Ins-Bild-Rücken eines unvermittelten Zusammentreffens von Ordensmitgliedern, Flüchtlingen und einer Soldateska im nahen Osten. In der vergitterten Kuppel des Doms (Bühne: Gisbert Jäkel) saß ursprünglich nur eine Puppe, die von manchen als Gott – im Sinne von Nietzsches „Gott ist tot“ – rezipiert worden war; diese wurde zwischenzeitlich ergänzt durch einen Knaben mit einem Hirtenstab, was die Deutung als Gottvater und seinem Stellvertreter auf Erden weiter zu stützen schien. In diesem Jahr ist eine dritte Figur hinzugekommen, nunmehr also ein Elternpaar mit Kind. Das deutet dann in Richtung der Schlusswendung von der hier mehrfach alludierten Vorgänger-Inszenierung von Stefan Herheim, der seine epochale „Parsifal“-Deutung mit der Familienaufstellung Kundry und Gurnemanz als Eltern und Parsifal als Kind geendet hatte.

Weitere Parallelen zu dessen Inszenierung sind das parallel zum Schwan erschossene Kind im ersten Aufzug und dann, bei der Verwandlungsmusik im dritten Aufzug, die Projektion der Totenmaske von Richard Wagner, hier ergänzt um die Gesichter von Winifred Wagner und Wolfgang Wagner, ebenfalls zu Totenmasken gerinnend; gleichwohl fehlen in dieser Bilderfolge die Gesichter von Cosima, Siegfried und Wieland Wagner. So erscheint diese Bebilderung als ein arg beliebiges Füllsel, dem sich – wie in Max Reinhardts „Mirakel“-Verfilmung – die Projektion einer läutenden Glocke überlange anschließt, als eine noch fragwürdigere Tautologie von Bild und Ton (zu den Klängen der Gralsglocken auf der Bühne). 

Stimmgewaltig: Derek Welton

Positiv ins Gewicht fällt Laufenbergs Personenführung, insbesondere im zweiten Aufzug. Stimmgewaltig Derek Welton als ein mit Phalluskreuzen, Gebetsteppich und Flagellationspeitsche agierender Klingsor. Wie stark die Regiearbeit an einer Rolle die stimmliche Gestaltung der Protagonisten positiv zu beeinflussen vermag, ist – insbesondere gemessen an deren Leistung als Ortrud – an Elena Pankratovas Kundry-Gestaltung zu ersehen: mit sinnlichen Piani und einer stimmlich fesselnden Intensität, überzeugend in zärtlichen Momenten wie in dramatischen Ausbrüchen. Selbst wenn ihre Stimme einmal den erforderlichen Sprung nicht ganz schafft („Gott-heit erlangen“), drückt sie im letzten Moment kunstvoll nach und erreicht die vorgeschriebene Tonhöhe. Nur dass in diesem Akt der Souffleur (Luciano Golino) lauter zu hören ist als sonst in Bayreuth üblich, stört den Gesamteindruck. 

Günter Groissböck vermag in der detailliert ausgearbeiteten Partie des Gurnemanz voll zu überzeugen. Als Amfortas, der als gefesselter Gast immer wieder an den Ort seiner Verführung durch Kundry zurückkehrt, ist Ryan Mckinny stumm zu erleben und läuft im Schlussakt auch vokal zu großen Format auf. Aber Richard Wagners Bühnenweihfestspiel steht und fällt mit der Titelpartie. Andreas Schager ist ein hinreißender Parsifal, in seiner suchenden Verspieltheit des Toren im ersten Akt, seiner Empathie mit dem Gralskönig bis hin zur körperlichen Übelkeit bei Amfortas‘ Blutfluss, den die Gralsritter in ihren Gläsern konsumieren. Leider bekommt der Parsifal in dieser Inszenierung – aufgrund eines Abgangs zum Kostümumzug (des Wechselns der nassen Unterwäsche beim Bad mit den Blumenmädchen) – entscheidende Aussagen Kundrys, auf die er später konkret Bezug nimmt, nicht mit; aber in jenen Momenten, in welchen ihm die Regie auf der Szene zu sein erlaubt, ist er zum echten Helden gereift, voll im Einsatz seiner strömenden stimmlichen Mittel. Seine kluge Disposition und Durchschlagskraft machen Lust darauf, diesen jugendlichen Heldentenor in Bayreuth bald schon als Siegfried zu erleben. 

Klingsors sechs Solo-Zaubermädchen, zunächst in Burkas, dann in Nacht- und Badekleidung, tauchen in verändertem Kostüm auch im dritten Aufzug beim Karfreitagszauber auf, von Parsifal in den Arm genommen und zärtlich behandelt; doch erst beim Applaus wird klar, dass diese sechs Damen – im Gegensatz zu den nackten Darstellern beim tropischen Regen und einigen weiteren Begleitfiguren (und auch hier einem Elternpaar mit Kind!) – Solistinnen sind.

Semyon Bychkov hat mit dem Orchester sehr detailliert gearbeitet. Er versteht es, im langen ersten Aufzug immer neue Spannungsbögen aufzubauen. Das vom Altartisch als Flug ins All und zurück gedeutete Zwischenspiel der Verwandlungsmusik wird vom Dirigenten analog dieser Lesart mitvollzogen. Der zweite Akt ist erotisch spannungsgeladen. Mit breitem Tempo unterstreicht der Dirigent eine einsame, aber sinnfällige Parallele zur Grals-Erzählung im „Lohengrin“, Parsifals „Mit diesem Zeichen bann‘ ich deinen Zauber“, und betont so, dass Parsifals Zielsetzung nicht auf die Zerstörung des Klingsor-Reiches zielt (wie man es andernorts bisweilen erleben kann), sondern auf die Zerstörung des um die Gralsgüter errichteten Brimboriums. Deshalb zerbricht er in Laufenbergs Inszenierung an dieser Stelle bereits den Speer; diesen formt er dann zum Kreuz, um die beiden Stücken schließlich, am Ende der Handlung, auch in den Sarg mit der Asche von Titurel zu entsorgen.

Weniger stark gelingt Bychkov der Karfreitagszauber – aber auch dies in Analogie zur Szene, die etwas zerfahren wirkt. So erweist sich dieser Dirigent tatsächlich als ein die Szene musikalisch vermittelnder Interpret in jenem Sinne, in dem Richard Wagner den Orchesterleiter verstanden wissen wollte. Wie auch am Ende, als es in dieser Inszenierung darum geht, die Heils- und Hoheitszeichen der Religionen abzulegen und zu Grabe zu tragen – eine ganz andere Art der Grals-Enthüllung, als ein das Licht ins Denken rückender Vorgang. 

Dieses Licht erhellt dann von der Bühne aus schon sehr früh in der Schlussszene den gesamten Zuschauerraum. Und da es keinen Schlussvorhang oder szenischen Endpunkt gibt, geht die Handlung nahtlos in die Applausordnung über, und das Publikum im Parkett bleibt bis zum Ende des gemeinsamen Beifalls auf seinen Plätzen sitzen.

Berechtigter Jubel für alle Sängerleistungen, inbegriffen den von Eberhard Friedrich einstudierten. wieder großartig differenziert singenden Festspielchor. Auch das Regieteam durfte diesen Applaus am Premiereabend der Reprise ohne Widerspruch entgegennehmen.


  • Weitere Aufführungen: 2., 5., 15., 19., 22. und 25. August 2019.

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