Poledance, ein Brautkleid-Fitting, Filmzuspielungen, Sprachnachrichten und herzhafte Buhrufe bereits zur Pause: Es war definitiv viel los im Großen Festspielhaus in Salzburg an diesem Abend. Und das nicht nur, weil die Geschichte der Medea, die ihre eigenen Kinder ermordet, schon von sich aus viel Action bietet, sondern auch, weil die Inszenierung auf ebenso zeitgemäße wie multimediale Dauerbeschallung setzte. Das Praktische an Mythen ist, dass sie beinahe zeitlos sind, da sie archetypische Figuren zeigen und ebenso allgemeingültige Emotionen, Taten und Verhaltensmuster behandeln. Regisseur Simon Stone macht sich genau diesen Umstand zu Nutze und verlegt Luigi Cherubinis Médée ins Jahr 2019; WhatsApp, Fortnite und Hoverboard inklusive.

Bereits während der Ouvertüre bekommt das Publikum in einigen in schwarz-weiß gehaltenen Szenen, die als Videoprojektionen gezeigt werden, die Vorgeschichte erzählt; zumindest einen Teil davon. Ländliche Familienidylle bei Jason, Médée und den zwei Kindern; dann der Seitensprung Jasons mit Dircé, Unterzeichnung der Scheidungspapiere, Konfrontation zwischen Dircé und Médée und schließlich deren Abschiebung per Flugzeug. Sämtliche noch weiter zurückliegenden Ereignisse dieser unglückseligen Konstellation werden offenbar als bekannt vorausgesetzt. Live und in Farbe, aber in der gleichen Hochglanzoptik à la ORF-Hitserie Die Vorstadtweiber wie zuvor in der Videoeinspielung, ist das Publikum danach mit Dircés düsterer Vorahnung bei der Anprobe ihres Brautkleides in einem Modesalon konfrontiert, der – wie übrigens auch sämtliche von Mel Page entworfenen Kostüme – wirklich schön anzusehen ist. Möglich werden durch das Bühnenbild von Bob Cousins, das mehrere Räume und Ebenen auf die große Bühne des Hauses bringt, außerdem parallele Handlungsstränge; etwa wenn man Zeuge von Médées Verzweiflung in einem Internetcafé wird, als sie Jason telefonisch ihre Reise nach Korinth – nein, manche Hinweise auf die eigentliche Verortung der Handlung lassen sich nicht vermeiden – ankündigt. Der wiederum hat gleichzeitig nämlich mitsamt Braut, Kindern und Hochzeitsgesellschaft im Nobelhotel eingecheckt und feiert nun mit Freunden und dem zukünftigen Schwiegervater in einem Rotlicht-Etablissement den Junggesellenabschied. Immer wieder hört man auch Sprachnachrichten, die Médée an Jason sendet, ihre Einreise wird live in den Nachrichten übertragen, während ihr Sohn am Flatscreen Videospiele spielt und als Médée schließlich Dircé und Créon erdolcht, wird auf der Toilette noch schnell eine Linie Koks gezogen. Manchmal weiß man angesichts der Regieeinfälle gar nicht, wo man denn nun hinschauen sollte und in all dem Trubel ging ein Aspekt beinahe unter: die Musik. Dabei hätte diese eigentlich gar keiner Ablenkung bedürft.

Mittelpunkt des Abends war naturgemäß die Médée von Elena Stikhina. Eingesprungen für die sich mittlerweile bereits im Mutterschutz befindende Sonya Yoncheva, vereinte sie eine packende, nuancierte Darstellung (die man dank der zwischendurch eingespielten Videos auch im ganzen Haus aus der Nähe genießen konnte!) mit beeindruckender stimmlicher Kraft. Einer satten oberen Mittellage setzte sie energische Höhen auf, ohne dabei schrill zu werden; allein die untere Mittellage war nicht immer sauber gestützt. Der inneren Zerrissenheit des Charakters verlieh sie im wahrsten Sinne des Wortes eine Stimme und changierte vokal zwischen lieblicher Sanftheit und brutaler Aggression. Wirklich ergreifend war dann auch ihr Zaudern in der Schlussszene; bis zuletzt vermittelte ihr Sopran dabei die Hoffnung, sie könne sich doch noch auf Gnade besinnen. Zur Unauffälligkeit neben dieser Frau verdammt ist und bleibt Jason, hier verkörpert durch Pavel Černoch. Sein Tenor klang konstant dumpf und leicht gepresst, so als ob er sich hinter einer dicken Schaumstoffwand Gehör verschaffen müsste. Die Partie an sich bewältigte er aber sauber und auch darstellerisch ansprechend, wobei er ebenfalls im letzten Akt seine stärksten Momente hatte.

Gute Leistungen boten auch Alisa Kolosova als treue Freundin Néris, die ihre Arie mit viel stimmlicher Wärme gestaltete und so ihre aufrichtige Zuneigung glaubhaft machte, und Vitalij Kowaljow, der den König Créon mit profund fließendem Bass ausstattete. Ein Farbtupfer in der düsteren Geschichte war die Dircé von Rosa Feola, die mit klaren und frischen Koloraturen sowie schönem Legato punkten konnte. An ihrer Seite sorgten auch zwei Teilnehmerinnen des Young Singers Project, Tamara Bounazou und Marie-Andrée Bouchard-Lesieur, als Dircés Begleiterinnen für Klangschönheit.

Klangschönheit bot natürlich auch das Orchester, denn die Wiener Philharmoniker im Graben zu haben, ist nie ein Fehler. Der charakteristisch plüschige Klang, diese speziellen, beinahe nostalgischen, Farben der Bläser und die opulenten Aufwallungen der Streicher sprechen für sich. Allerdings geriet die Interpretation unter der Leitung von Thomas Hengelbrock passagenweise gar beliebig. Selbstverständlich war diese klangschön, präzise und differenziert, aber keineswegs aufwühlend, berührend oder gar emotional. Ein Mehr an Zupacken, an Rohheit und ein bisschen mehr Temperament – es hätte ja nicht gleich so viel sein müssen, wie in Sachen Regie – vonseiten der musikalischen Umsetzung hätte dem Abend nicht geschadet.

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