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Salzburger Festspiele

20. Juli bis 31. August 2023

Kritik – Offenbachs "Orpheus" in Salzburg Höllischer Spaß in der Unterwelt

Auch wenn, oder gerade weil die Operette sich eigentlich an anderen österreichischen Festspielorten wie Bad Ischl oder Mörbisch abspielt, war die Salzburger Festspielpremiere von Offenbachs "Orphée aux enfers" mit großer Spannung erwartet worden. Star-Regisseur Barrie Kosky setzt seit einiger Zeit mit seinen schrill-frivolen und gewitzten Inszenierungen von Berlin aus wesentliche Akzente für das Genre und hat nun erstmals bei den Salzburger Festspielen zusammen mit Bühnenbildner Rufus Didwiszus und Kostümbilderin Victoria Behr seine kreative Hand angelegt.

Szene aus "Orpheus in der Unterwelt" von Barrie Kosky bei den Salzburger Festspielen 2019 | Bildquelle: SF/Monika Rittershaus

Bildquelle: SF/Monika Rittershaus

Die Premierenkritik anhören

Die öffentliche Meinung eröffnet die nachmittägliche Festspielpremiere im Salzburger Haus für Mozart vor dem metallisch glänzenden Vorhang: Anne Sofie von Otter trägt ein schlichtes, schwarzes Gewand, einen blonden Haarkranz und spricht schwedisch. Das geht in Ordnung, denn erstens sitzt das schwedische Königspaar im Publikum und zweitens hat sie einen aufmerksamen Simultanübersetzer: Max Hopp in seiner Rolle des John Styx. Schon beim Prolog hat der die Lacher auf seiner Seite, und er wird sich im Verlauf der Vorstellung zur absoluten Hauptfigur der Salzburger Neuproduktion von "Orphée aux enfers" entpuppen. Durch seine lautmalerische und sprachliche Gestaltung erlebt man in Salzburg statt der Dialoge Comic-ähnliche Szenen mit "quietsch, klack, flutsch und boing". Das ist virtuose Blödelei vom Feinsten und definitiv eine neue akustische Ebene im Haus für Mozart: unterirdisch gut!

Rasante Choreografie

Kathryn Leweks dralle Eurydike in Corsage und Negligee bekommt von Max Hopp eine sehr tiefe, ziemlich dreckige Sprechstimme. Dabei singt die spielfreudige Koloratursopranistin ihre Arien mit weich-erotischem Timbre und höchst grandiosen Spitzentönen. Was für ein Kontrast! Koskies Eurydike macht aus ihrer Lust am Sex keinen Hehl, und so spielt sich sowohl der erste als auch der dritte Akt in einem barocken Schlafzimmer mit großem Himmelbett ab, auf dem sie zunächst ihr Geliebter Aristeus beglückt.

Der Tenor Marcel Beekman kann mit seiner wandlungsfähigen Stimme im Falsett und auch im barocken Stil punkten. Zuerst ist er ein Hobbyimker, den ein munter tanzendes Bienenvölkchen begleitet, dann zeigt er Pferdefuß und sein wahres Gesicht als teuflischer Pluto. In den rasanten Choreografien von Otto Pichler wirbeln die Tänzerinnen und Tänzer dann auch als fast nackte Teufelchen über die Bühne, zeigen glitzernde Schwänze und strecken ihre Zungen heraus.

Schrill, überdreht und atemlos

Der Höllengalopp des Cancans bleibt mit dem typischen "Hoch das Bein" im pinkfarbenen Rüschenrock dagegen eher konventionell, auch wenn auf allen Kostümen der Unterweltbewohner Geschlechtsteile in Pailletten glitzern. Schrill, überdreht, atemlos geht es meist auf der Bühne zu, aber immer punktgenau und im Takt zu den von Enrique Mazzola federnd, flexibel und brillant zum Klingen gebrachten Wiener Philharmonikern. Joel Prieto hat als elegant singender und fleißig geigender Orpheus im Stück einfach keine Chance gegen Martin Winklers mimisch wie stimmlich grandios auftrumpfenden Göttervater Jupiter, der sich als schillernde Fliege in allen Lagen mit Eurydike vereinen darf. Wenn Max Hopp aber nach all der verbalen Stimmakrobatik als John Styx auch noch sein Lied vom Prinz von Arkadien innig singt und schluchzt, überragt er die gesamte gestandene Sängerriege. In den Reihen der Göttinnen hätte man sich teilweise tragfähigere Stimmen gewünscht, und auch Anne Sophie von Otters öffentliche Meinung steht vokal hinter ihrer starken szenischen Präsenz zurück. Koskies Orphée entfaltet sogartig die dem Werk zugrundeliegende Zerstörungslust an den hehren Mythen und auch musikalisch geht es Monteverdi und Gluck an den Kragen. Das Haus für Mozart wird gerockt, und der Großteil des Publikums hat höllisch Spaß bei der Sache.

Sendung: "Mittagsmusik" am 15. August 2019 ab 12:05 Uhr auf BR-KLASSIK

"Orphée aux Enfers" in Salzburg

Informationen zu Terminen und Vorverkauf finden Sie auf der Homepage der Salzburger Festspiele

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