Massenszene im Simon Boccanegra
Salzburger Festspiele/Ruth Walz
„Simon Boccanegra“

Kaltes Kino, heiße Herzen

Schon seit Schillers „Fiesco“ ist man gewarnt: Wer sich in Genuas Stadtpolitik begibt, kommt darin leicht um. In Verdis „Simon Boccanegra“ rittern Patrizier und Plebejer um die Macht in der Seerepublik. Und obwohl es einen aufrechten Aufsteiger als neuen Dogen gibt und jede Menge Liebe, muss am Ende doch alles in italienischer Tragik enden. Andreas Kriegenburg nutzt diese Verwirrung, um Verdi mit Feinchoreografie und kalter Kinoästhetik auf ein paar Grundkonflikte zu reduzieren. Obendrauf zünden großartige Solisten endlich die Sängerfestspiele 2019.

Es ist ja schon ein wenig bizarr bei Verdi und seinem Leiblibrettisten Francesco Maria Piave: Ständig stehen Losungen im Raum, die Geltungskraft beanspruchen – die Liebe sei „stärker als das Schicksal“, ja „stärker als der Tod“. Und dann müssen am Ende doch alle ein mittelkathartisches Finale von Machtpolitik erleben: Der aufrechte Aufsteigerpolitiker in den Wirren der Geschichte vergiftet, ein neuer Nachfolger, der zwar mit dem Herzen empfindet, aber kaum in der Lage sein wird, Genua stark zu halten. Und die einzige Frau, die immer wieder konstatieren muss: Das Liebesglück, es dauerte nur wenige Minuten.

In anderen Worten: Große Bekenntnisse gelten wenig – wir sind also in Italien. Und dort geht Politik nun einmal immer wieder so aus, sei es im Genua des 14. Jahrhunderts, in Verdis frisch geeintem neuem Italien – und in der Gegenwart sieht es bekanntlich auch nicht hoffnungsfroher aus. Der mittlerweile auch Festspielhaus-erfahrene deutsche Regisseur Kriegenburg nutzt diese Ausgangslage, um den Blick auf Verdi von allem Ballast zu reinigen.

Düster und fesselnd: Verdis „Simon Boccanegra“

Die Uraufführung von Verdis Oper war ein Fiasko. Für das Publikum war das Stück zu düster, verwirrend und kompliziert. Bei den Salzburger Festspielen steht „Simon Boccanegra“ erst zum zweiten Mal auf dem Spielplan.

Auf die breite Bühne des Festspielhauses stellt er eine kühle Cinemascope-Welt samt aseptischer Architektur, um darin nicht nur die Schönheit dieser in zwei Fassungen vorliegenden Oper leuchten zu lassen. Er stellt vor allem die Nöte neuer Herrschaftsutopien aus. Die besten Absichten, so könnte man Kriegenburg paraphrasieren, nutzen nichts, wenn der Informationsfluss zwischen den wichtigsten Handlungsträgern nicht funktioniert – und auch die absichtsvollste Politik auf falschen Prämissen gemacht wird. So liegt viel Sehnsucht in dieser Inszenierung, die im abstrakten Bühnenhintergrund immer die Weiten des Meeres aufspannt und Utopie als eine ferne Träumerei entlarvt.

Hinweis

3sat strahlt den „Simon Boccanegra“ aus Salzburg am 31. August um 20.15 Uhr aus. Ö1 überträgt am selben Tag um 19.30 Uhr.

Alte Rechnungen, späte Versöhnung

Simon Boccanegra hat eine alte Rechnung mit Fiesco offen, der seine Tochter nicht in die Hand dieses ehemaligen Korsaren legen wollte. Die Tochter stirbt – und ein gemeinsames uneheliches Kind bleibt verschollen. In der Gestalt der Amelia Grimaldi kehrt die verschollene Tochter bzw. Enkelin 25 Jahre später wieder; zunächst für alle und sie selbst in ihrer Herkunft unerkannt. Sie soll mit einem Patrizier verheiratet werden, liebt aber einen anderen.

Als Simon Boccanegra in ihr die eigene Tochter wiedererkennt, mischen sich, vereinfacht gesagt, in alle Kategorien politischen Handelns die Absichten eines liebenden Vaters, der noch dazu in der eigenen Tochter ständig die verlorene Frau sieht. Boccanegra wird die Ränkespiele der Politik nicht überleben, denn einstige Verbündete trachten ihm nach dem Leben.

Verdi Simon Boccanegra / Salzburger Festspiele 2019/ Regie  Andreas Kriegenburg / Musik. Leitung Valery Gergiev/ Bühne Harals Thor/ Kostüme Tanja Hofmann/ Simon Bocc. Luca Salsi/Amelia Marina Rebeka/Gabriele Adorno Charles Castronovo/Fiesco Rene Pape/ Paolo Albiani Andre Heyboer/ Pietro Antonio di Matteo/ Magd Marianne Sattmann/ Araldo Long long
Salzburger Festspiele / Ruth Walz
„Liebe ist stärker als das Schicksal“, singen Marina Rebeka als Amelia Grimaldi und Charles Castronovo als Gabriele Adorno

Versöhnung in einer Männerwelt

So endet alles im Maß einer italienischen Tragödie: Im Moment des Todes versöhnt sich Boccanegra mit seinem einstigen Rivalen Fiesco, der seinerseits auch überwältigt ist in seiner Rolle als Großvater. Und doch ist eigentlich alles vergebens. Boccanegra muss sterben. Und der neue Nachfolger, Amelias aufrecht empfindender Gabriele Adorno, ist vielleicht noch nicht reif genug, um als empfindsamer Naseweis eine Seerepublik zu führen. Immerhin sind alte Rivalen am Sterbebett ausgesöhnt und erkennen zu spät, dass sie in zentralen Angelegenheiten immer schon so etwas wie eine gemeinsame Perspektive hätten haben können.

Festspiel-Gespräch mit Rene Pape

Der deutsche Sänger Rene Pape ist bei den Salzburger Festspielen in „Simon Boccanegra“ zu sehen. Papes Heimat sind eigentlich die Rollen bei Verdis Gegenspieler Richard Wagner.

Rene Pape als Fiesco und Luca Salsi als Simon Boccanegra sind in gewisser Weise das Paar des Abends, das, wenn auch aus machtpolitischen Gründen, spät über die Gräben von früher steigen wird. Als Sänger bezwingen sie am Ende auch den alten Wagner-Verdi-Konflikt: Pape ist als Vertreter der Wagner-Welt beinahe herzlich und bemüht sich, auch dramaturgisch in seine gespaltene Rolle zu finden. Salsi wiederum atmet Verdi in jeder Pore, was die Darstellung seiner Zerissenheiten überzeugend macht. Dazwischen singt sich Charles Castronovo als Gabriele Adorno als strahlendste Solistenstimme des Abends Richtung Oberliga und brilliert auch darstellerisch als Mann idealistischer Herzensbildung. In dieser Männerwelt könnte Marina Rebeka als Amelia Grimaldi alles überstrahlen. Sie überzeugt mit stimmlicher Sicherheit und breitem Umfang – aber für die abgründige Darstellung und den eigenen stimmcharakterlichen Schliff bleibt Luft nach oben.

Schlusszene im Simon Boccanegra mit gesamtem Ensemble
Salzburger Festspiele/Ruth Walz
Späte, zu späte Erkenntnisse zum Ende: Die Versöhnung zwischen Fiesco (links) und dem sterbenden Simon

Strahlende Philharmoniker

Am stärksten strahlen an diesem Abend die Wiener Philharmoniker und der Staatsopernchor in der brillanten Führung von Valery Gergiev. Sein Verdi ist exakt, nuanciert, nie zu dick aufgetragen. Ein Frevel leider, dass die Regie in das weiche E-Dur-Sfumato, mit dem die Oper anhebt, hineinquasseln lässt. Es ist ja verständlich, dass sie ihr Primat über die Musik behalten mag; deshalb muss sie aber nicht dort Stimmen oder Säuseln erfinden, wo schon Verdi bewusst seine Erstversion zu verbessern suchte.

Weitere Aufführungen

„Simon Boccanegra“ ist bei den Salzburger Festspielen im Großen Festspielhaus noch am 18., 20., 24., 27. und 29. August zu sehen.

Mit Ausnahme dieses Störfalls trägt die Regie aber die Oper auf eine neue dramaturgische Lichtung, was umso mehr verwundert, weil das Bühnenbild von Harald B. Thor das Wort „kühl“ bis in die unterste Gefrierschublade hinunterdekliniert. Interessanterweise trägt genau das aber mit den Dreh- und Lichteffekten und allen dramaturgischen Choreografien dazu bei, dass Verdis 19.-Jahrhundert-Patina im positiven Sinn abfällt. Kaum geschützt wirken die Akteure in diesem Dekor trotz ihrer Business-Anzüge, was alle Konflikte und Gewissensnöte umso plastischer und ergreifender macht.

Simon Boccanegra ist ein interessanter Typus Politiker. Als Parvenu interessiert ihn nicht Macht um der Macht willen. Er ahnt den kategorischen Imperativ, kann diesen aber bestenfalls in der Gesellschaftstheorie eines Baldassare Castiglione ausformulieren: Dass die Herzensbildung zumindest höher gestellt sein soll als der Stand. Mit dem Patrizier Fiesco kann er sich versöhnen, dass er dafür sterben muss und seine spät entdeckte Tochter zur Waisin macht, ist nun einmal catarsi alla italiana.