„Make Genoa great again”! Offenbar möchte Andreas Kriegenburg dem Salzburger Publikum im Prolog gleich unmissverständlich klar machen, dass seine Inszenierung von Giuseppe Verdis Simon Boccanegra im Hier und Jetzt spielt; der Verweis auf den Wahlkampf des amtierenden US-Präsidenten wird stilecht als Tweet auf einen weißen Vorhang projiziert. Nun würde diese Grundidee durchaus Sinn machen, Intrigen rund um politische Macht und Einfluss sind im Jahr 2019 immerhin ebenso aktuell wie sie es im 14. Jahrhundert waren. Allerdings wirft der Regisseur dieses Konzept bereits nach dem Prolog völlig über Bord, denn in den folgenden drei Akten finden sich weder die zunächst eingeführten Bezüge zu unserer Zeit noch sonstige erkennbare Interpretationsansätze. Und so mäandert die Inszenierung in einem Einheitsbühnenbild in kalter Betonoptik vor sich hin, es wird viel herumgestanden und bedeutungsvoll von einer Seite zur anderen gegangen. Dazwischen gibt es dann noch einen Kampf in Zeitlupe und der Doge muss sich mangels Inneneinrichtung auf ein Klavier betten. Die Personenführung bleibt vage und die Charaktere dadurch blass; als Menschen aus Fleisch und Blut, deren Schicksal rühren könnte, erscheinen sie daher allesamt nicht. Lediglich den Sängern, die sich trotz der Regie wahrlich um eine Belebung der Figuren durch ihre Darstellung bemühten, ist es zu verdanken, dass das Gesehene nicht völlig belanglos bleibt.

Aber nicht nur darstellerisch, sondern auch stimmlich überzeugte die Sängerriege beinahe auf ganzer Linie, wobei nicht nur die individuellen Leistungen, sondern auch das gesangliche Gesamtpaket beeindruckte. Denn bekanntermaßen hatte Verdi einiges übrig für große Ensembleszenen und dank der ideal harmonierenden Stimmen der Solisten in Verbindung mit dem bestens disponierten Wiener Staatsopernchor geriet beispielsweise das Finale des ersten Akts zu einem wahrlich festspielwürdigen Spektakel. Dabei erhob sich insbesondere der Sopran von Marina Rebeka stets mühelos strahlend über Orchester, Chor und Solistenkollegen; ihre Stimme hat deutlich an Substanz zugelegt, dabei aber nichts von ihrer Leichtigkeit und ihrem Fokus eingebüßt. Technisch führt sie ihren Sopran traumwandlerisch durch die Partie, lässt die Stimme bruchlos an- und abschwellen. Lediglich in Bezug auf emotionalen Tiefgang der Amelia Grimaldi bleibt bei ihrer Gestaltung noch Luft nach oben. Die Titelpartie des Simon Boccanegra lag bei Luca Salsi in guter Kehle, er legte den Dogen in der ersten Hälfte des Abends eher kräftig denn elegant im Klang an, bewies aber nach der Pause, dass es ihm ebenso möglich ist feine Piani zu spinnen und warme Farben in die Stimme zu mischen. Diese Stärken spielte er insbesondere in der Sterbeszene voll aus, die er mindestens so theatralisch gestaltete, wie es das italienische Klischee von Operngesang will. Die Zerrissenheit zwischen Privatmann und Politiker verdeutlichte Salsi insbesondere durch seine Stimme, die er einerseits zart schmeichelnd im Umgang mit Amelia und andererseits mit stählernem Kern in seiner Funktion als Doge einsetzte.

Die Rolle seines Schwiegersohns und Amtsnachfolgers Gabriele Adorno bot Charles Castronovo eine Steilvorlage, um sein schmachtendes Timbre ideal zur Geltung bringen zu können. In den, übrigens sehr sicheren, Höhen mischt sich passagenweise zwar ein breites Vibrato unter, aber die dunkel schimmernde Mittellage und die Emphase der Gestaltung machen dieses kleine Manko mehr als wett. Auf ganzer Linie ein Genuss war der die Bühne durch seine Präsenz zu jeder Zeit beherrschende Jacopo Fiesco von René Pape. Dabei setzte er seine Stimme mal kräftig polternd, dann wieder sanft und weich ein und verlieh dem Charakter somit nicht nur vielschichte Klangfarben, sondern beleuchtete auch die unterschiedlichen Facetten des Charakters von allen Seiten. Etwas rau und angestrengt klang hingegen André Heyboers Paolo, was stellenweise zwar nicht schlecht geeignet war, um dem Intriganten kantiges Profil zu verleihen, aber doch einige Wünsche an diese Partie offen ließ.

Valery Gergiev hatte es – nach bzw. inmitten der Tannhäuser-Serie in Bayreuth, mehreren Konzerten rund um die Welt und einem Trauerfall in der Familie – samt seines Takt-Zahnstochers an die Salzach verschlagen. Ob der Mann immer so genau weiß, in welcher Zeitzone er sich gerade befindet, darf angesichts seines Terminplans zwar bezweifelt werden, aber immerhin wusste er die Wiener Philharmoniker ganz ausgezeichnet durch Verdis Klangwelten zu navigieren. Das gelang ihm zu einem überwiegenden Teil sehr akkurat, nur ein, zwei Mal drohte das Orchester unter seinem Dirigat etwas auseinanderzufallen. Die üppige, und dadurch auf der oberen Dezibel-Skala angesiedelte, Dynamik ging dabei leider vor allem vor der Pause immer wieder auf Kosten der Sänger, die Gergiev dann und wann unter dem Orchester begrub. Im zweiten und dritten Akt räumte er den leisen Tönen deutlich mehr Raum ein und schuf dadurch eine Palette an ebenso düsteren wie schicksalshaften Klangfarben. Die Wiener Philharmoniker, die Verdis Oper auch in ihrer Funktion als Staatsopernorchester regelmäßig spielen, setzten seine Interpretation voll Esprit um und ließen die vielen verborgenen Schichten der Partitur erstrahlen. Torpediert wurde der Abend schlussendlich leider vom Publikum, das gnadenlos in die von Valery Gergiev im sanftesten Piano wunderschön ausgehauchten Schlusstakte klatschte und dadurch die – in der Sterbeszene entstandene – getragene Stimmung mit einem Schlag ruinierte.

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