Salzburger Festspiele: Whatsapp-Nachrichten auf dem Duschvorhang

Düster und herb ist die fast nur von Männerstimmen bestrittene Oper «Simon Boccanegra», und das ist wohl der Grund, warum sie im Schatten von Giuseppe Verdis populäreren Werken steht. Wie unrecht ihr damit getan wird, beweist die musikalisch hervorragende Aufführung im Salzburger Festspielhaus.

Eleonore Büning, Salzburg
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Karg und statisch gibt sich Andreas Kriegenburgs Inszenierung. Umso mehr kommt die Musik zum Tragen. (Bild: Ruth Walz / SF)

Karg und statisch gibt sich Andreas Kriegenburgs Inszenierung. Umso mehr kommt die Musik zum Tragen. (Bild: Ruth Walz / SF)

Es wird zu viel gelitten, gelogen, betrogen. Deprimierend schwarz ist die tinta musicale des «Simon Boccanegra», ungleich dunkler als die Musikfarben anderer, populärerer Opern Giuseppe Verdis. Von einer wirren Intrigengeschichte aus grauer Vorzeit erzählt diese letzte Salzburger Neuproduktion im Grossen Festspielhaus, mehr oder weniger inszeniert von Andreas Kriegenburg, routiniert souverän dirigiert von Valery Gergiev. Sie wird verschattet von fast ausnahmslos tiefen Stimmen. Hier kämpfen Männer um die Macht, lauter Baritone, ein Bass.

Posaunen, Fagotte verdunkeln schon nach wenigen Takten das meereswogende Vorspiel. Nur sporadisch hellt sich das später auf, etwa im ersten Akt dieses Politthrillers, wenn für die verschollene, unerkannte Tochter des ersten Dogen der Seerepublik Genua die «ora bruna», die braune Stunde der Dämmerung, schlägt, mit Violinentrillern und Flötensextolen. Oder auch, wenn Gebete der Hoffnung gen Himmel steigen und sich heimlich die jungen Leute treffen, aus Liebe. Aber das nützt alles nichts. Höchst unwahrscheinlich, dass die Enkel, die nach dem Showdown übrig bleiben, die Sache dereinst besser ausfechten werden. Grossvater Fiesco jedenfalls gibt ihnen resigniert sein Fazit mit auf den Weg: Das Menschenherz sei nichts weiter «als eine Quelle endlos fliessender Tränen».

Ein Fest der Klänge

Jacopo Fiesco ist ein Patrizier im aufblühenden Genua des 14. Jahrhunderts und damit automatisch Erzfeind des von den Plebejern ins Amt geputschten Emporkömmlings Simon Boccanegra, was stracks in eine Familientragödie führt. Für Ersteren steht in Salzburg der anbetungswürdige René Pape auf der Bühne, stark wie ein Baum, mit einem Prachtbass, schwarz wie die Nacht. Er führt ihn drohend tief in den Keller hinunter, ad ultimo; doch auch biegsam und weich modulierend ins Pianissimo, mit glasklarer Artikulation – jeder Affekt, jedes Wort bestens verständlich.

Luca Salsis Bariton dagegen klingt vergleichsweise körnig und aufgeraut, von Anfang an scheint dieser Boccanegra von Zweifeln angenagt. Er kann aber ebenfalls machtvoll auftrumpfen, wenn er beispielsweise den Verräter Paolo Albiani (André Heyboer) stellt, grundiert vom Fluchmotiv. Herrlich wird die von Petrarca inspirierte Friedensansprache «Plebe! Patrizi! Popolo» Boccanegras aufgenommen und brillant vollendet vom konzertierenden Chor, über den sich der Cantus firmus der Primadonna, der inzwischen glücklich wiedergefundenen Tochter des Boccanegra, Enkelin des Fiesco, wie ein Regenbogen wölbt: wie die Stimme eines Engels, von oben, mit «Pace»-Rufen.

Es ist dies eine der schockierend lichterfüllten Stellen in diesem genialen Werk, die sofort ins Sonnengeflecht greifen. Zugleich ist Amelias Friedensappell eine jener raren Arioso-Melodien aus dem aktions- und deklamationsreichen «Boccanegra», die sich dauerhaft einnisten in Ohr und Gemüt des Publikums, dergestalt, dass man noch sehr viel später, als die Oper schon lange aus ist, draussen auf der Hofstallgasse hie und da ein «Pace! Pace!» summen hören kann.

Marina Rebeka ist eine sichere, stählern leuchtende Amelia, mit kehliger Mittellage. Ihr Partner Charles Castronovo ein eher dunkel gefärbter Liebhaber-Tenor, der sich in der Höhe weitet zu metallischem Glanz. Gemeinsam erschaffen die beiden in Duett und Aktion etliche Inseln der Seligkeit, was mit Zwischenapplaus quittiert wird. Der Wiener Staatsopernchor, vortrefflich einstudiert und feingeschliffen von Ernst Raffelsberger, imponiert mit Akkuratesse und Wucht. Und die in der überarbeiteten Spätfassung des «Boccanegra» stark verschlankte, solistisch aufgelichtete Instrumentation des Melodramma kommt der hohen Spielkultur der Wiener Philharmoniker quasi mit offenen Armen entgegen. So kammermusikalisch transparent tönt das bisweilen, so unverplüscht und dynamisch ausdifferenziert, ganz und gar antizyklisch zu dem Bewegungsdrang des Dirigenten, der seinerseits die katastrophischen Fortissimo-Ausbrüche zu wuchtiger Präsenz herausfordert, dass man glatt auf die Idee kommen könnte: Die Wiener würden auch ohne ihn so spielen.

«Make Genova Great Again!»

Über die Inszenierungsideen von Andreas Kriegenburg und seinem Team sowie deren Umsetzung gibt es nicht viel zu sagen. Eine konzertante Aufführung hätte es ebenso gut getan, nur eben kostengünstiger. Die Handlung spielt im Hier und Jetzt. Die Personenführung beschränkt sich weitgehend aufs Rampensingen und das beim «ahimé!» und «o dio!» seit je opernübliche Händeringen.

Vielleicht ist es originell, eine Dunkelmusik aufzuführen in einem aus Licht und Weite komponierten, fast requisitenfreien Bühnenbild. Wenig originell sind die offenbar unerlässlich gewordenen Whatsapp-Nachrichten, mit denen das uniformierte Bürohengst-Opernvolk seinen Social-Media-Wahlkampf punktgenau zum Orchesterarpeggio auf den schneeweissen Riesenduschvorhang projiziert, der das kahle, langweilige Foyer (links) trennt von Boccanegras bombastischer drehbarer Turmfestung (rechts, ebenfalls auf Dauer fade): «Make Genova Great Again!» An dieser Stelle gab es einen Lacher.

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