Asmik Grigorians Sopran war wie ein gebündelter Lichtstrahl, der Romeo Castelluccis "Salome" in Salzburg immerhin stellenweise erhellte.

Foto: Ruth Walz

Am vorletzten Festspielwochenende dieses Sommers zeigte die Erregungskurve an der Salzach noch einmal deutlich nach oben. Mit dem Auftritt Plácido Domingos fand ein bisschen MeToo-Aufgeregtheit den Weg von der weiten (Web-)Welt ins Große Haus. Und die Berliner Philharmoniker, dieser stete Stachel im welken Fleisch seiner Wiener Namensvettern, gastierten mit dem fantastischen Kirill Petrenko als neuem Chef.

Die Wiener Philharmoniker fürchten einen Chefdirigenten ja in etwa so wie der Salzburger Jedermannden Tod und haben zum Festivalausklang deshalb das Bummerl: Franz Welser-Möst dirigiert die Salome. Die Wiederaufnahme aus dem 2018er-Sommer, der thematisch der Passion gewidmet war, machte ob ihrer Leidenschaftslosigkeit wirklich leiden.

Es war ein Galiläa mit Klimaanlage, in dem Welser-Möst den hitzigen Einakter von Richard Strauss spielen ließ. Mit fad-eleganten Bewegungen wachelte der Chefdirigent des Cleveland Orchestra erfolgreich eine schwiegermuttertaugliche Harmlosigkeit herbei und hielt das Emotionsklima des radikalen Musikdramas meist auf lauwarmer Betriebstemperatur. Eine durchschnittliche Repertoirevorstellung der Salome an der Wiener Staatsoper besitzt mehr an Intensität, Affekt, Spannung und Schockwirkung.

Wenig Sinnlichkeit und Parfüm

Keine Majestäten und Mächte in diesem Nahostkonflikt, keine irdischen und keine des Glaubens, nirgends. Keine Urgewalten, keine Brutalität, kein grelles Zucken, wenig Sinnlichkeit und Parfüm. Sang Salome davon, wie süß die Luft sei, klang das Orchester nicht süß, sondern dünn.

Wer die Vorsicht des Dirigenten mit übertriebener Sängerdienlichkeit zu erklären versuchte, wurde spätestens beim stimmungsfreien Tanz der sieben Schleier eines Besseren belehrt. Und in der Felsenreitschule mussten die Wiener Philharmoniker hier nicht einmal mit tänzerischen Ablenkungen konkurrieren!

Selbst die klassischen Gänsehautmomente der Oper – das Nachgeben Herodes' gegenüber dem perversen Wunsch seiner Stieftochter, der Enthauptung Jochanaans – waren am Sonntagabend keine. Beim Schwärmen Salomes und der dreifachen Zurückweisung durch Jochanaan passierte nur wenig, weil sie in dieser Inszenierung kaum direkten Kontakt haben.

Denn bei den Salzburger Festspielen stört der symbolistische Schmafu von Romeo Castellucci (ein bisschen Küchenpsychologie, ein wenig Traumtheater, etwas Lokalbezug) die Tonkunst von Strauss. Die Regie arbeitet oft bewusst gegen die Musik und engt die Sänger darstellerisch zudem ein (etwa den Herodes durch seine Verdreifachung).

Von der höheren Tochter zum Wrack

Auch Asmik Grigorian musste als Salome oft bizarre Bewegungen machen. Wenn sie natürlich agieren durfte, sah man eine junge, knabenhafte Frau mit schnellen, sportlichen Bewegungen: zu Beginn eine patente höhere Tochter in einem hochgeschlossenen Kleid (Castelluccis Kostüme zeigen Herodes' Sippschaft als musicalglattes Fin-de-Siècle-Großbürgertum in Beerdigungsschwarz), am Ende ein Wrack.

Grigorian sang herausragend, allein wegen ihr lohnt sich der Besuch: Ihr Sopran war wie ein gebündelter Lichtstrahl, lodernd und gleißend, elastisch und kraftvoll zugleich.

Ihre Kollegen überzeugten weniger: John Daszak hatte als Herodes Probleme mit den Spitzentönen, er schleuderte sie heraus wie Tontaubenscheiben. Dem Jochanaan von Gábor Bretz fehlte es an vokaler Wucht und Kraft, wehmütig dachte man an Bryn Terfels Täufer vor einem Vierteljahrhundert nebenan im Kleinen Festspielhaus unter der Leitung von Christoph von Dohnányi. Von der zugeknöpften Herodias von Anna Maria Chiuri blieben zwei exaltierte Spitzentöne in Erinnerung. Der Tenor von Julian Prégardien (Narraboth) war leider zart belegt.

Fazit: Nicht nur die Liebe, auch manche umjubelte Festspielproduktion kann im Nachhinein bitter schmecken. Jubel für alle, nichtsdestotrotz. (Stefan Ender, 26.8.2019)