„Hoffmanns Erzählungen“ in Mainz: Der Teufel trägt Klumpfuß

Der düstere Lindorf (Derrick Ballard; links) mit Hoffmann (Eric Laporte) und dessen Muse (Solenn’ Lavanant-Linke). Foto: Staatstheater Mainz
© Staatstheater Mainz

Die neue Inszenierung des Staatstheaters Mainz ist sinnlich und sinnstiftend, verführerisch und gesanglich überzeugend. Sie hat allerdings auch einen Haken.

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MAINZ. Dieser Hoffmann, die Titelfigur aus Jacques Offenbachs Fantastischer Oper „Les contes d’Hoffmann“ hätte auch ein Produkt aus dem Gehirn Michel Houellebecq sein können. Im Grunde ist Hoffmann quasi ein Produkt der Natur, der reale Schriftsteller E. T. A. Hoffmann steckt ja hinter allen Szenen von „Hoffmanns Erzählungen“. Doch rückt ihn Elisabeth Stöppler, die Hausregisseurin des Staatstheaters Mainz, in ihrer Inszenierung dieser eigenwilligen Offenbach-Oper ebenso dezidiert wie nachvollziehbar in die Nähe des französischen Skandalautors Houellebecq.

Der düstere Lindorf (Derrick Ballard; links) mit Hoffmann (Eric Laporte) und dessen Muse (Solenn’ Lavanant-Linke). Foto: Staatstheater Mainz
Der düstere Lindorf (Derrick Ballard; links) mit Hoffmann (Eric Laporte) und dessen Muse (Solenn’ Lavanant-Linke). Foto: Staatstheater Mainz

Großartige Frauenstimmen

Nicht nur, dass dem wahnhaft durch die Welt stolpernden Hoffmann immer und überall Spirituosen und Frauen vor die Füße fallen, er in zweifelhaften Kreisen verkehrt und Moral ein Fremdwort für ihn ist. Nein, ganz konkret werden Passagen aus Houellebecq-Gedichten in den Bühnenraum projiziert und von Hoffmanns Muse rezitiert – überzeugend flüssig wird diese wichtigste Rolle an Hoffmanns Seite gesungen von Solenn’ Lavanant-Linke, einer Mezzosopranistin aus Frankreich, die unter den großartigen Frauenstimmen der Premierenbesetzung die großartigste war.

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Mit dieser schwer zusammenzuhaltenden Offenbach-Oper startete das Mainzer Haus in die Saison und markiert damit anders als viele andere Opernhäuser, dass 2019 das Jahr des 200. Geburtstags des Komponisten Jacques Offenbach ist. Ungewohnt ist einiges an dieser Produktion: Weder Weinstube noch Venedig sind zu sehen, vielmehr spielt alles in einem grauen Hotelzimmer, das aus Einzelelementen immer wieder neu montiert wird (wofür sich die Kulissenschieber am Ende einen Sonderapplaus verdient haben).

Hoffmann haust in diesem Zimmer und träumt seine Wahnträume von seinen allsamt blonden Frauen: Von Olympia (Alexandra Samouilidou mit ganz hellem, leichten Sopran), die hier eine Kunstfrau 2.0 ist, also die Opern-typischen Roboterbewegungen nur noch zitiert, die sie präsentierende Andy-Warhol-Gesellschaft ist begeistert. Kammersänger Jürgen Rust als Ober-Andy-Warhol, ihm muss das Herz aufgegangen sein! Dann Antonia, warm und intensiv gesungen von Dorin Rahardja, ihr Vater Crespel wurde übrigens als ein Schlacks mit Cellokasten ausgestattet und damit unverkennbar als Jacques Offenbach höchstselbst (Kostüme: Susanne Maier-Staufen).

Sinnlich und sinnstiftend

Schließlich Giulietta, Nadja Stefanoff gab ihr das eindrucksvolle Organ einer Kühl-Kontrollierten, an der sich Hoffmann die Zähne ausbeißt. Sie erscheint im vierten Akt, der in der Partitur schon recht chaotisch daherkommt und in der Mainzer Inszenierung erst recht ein arges Durcheinander ist. Aber so verquer geht es wohl auch in Hoffmanns Kopf zu. Umso aufgeräumter dann der Schlussakt, die Muse schlüpft in die Rolle jener nie real präsenten Stella, die Hoffmann eigentlich begehrt.

Das alles ist optisch schmackhaft und verführerisch gestaltet, sinnlich und auch sinnstiftend, die Parallele zur Welt eines Michel Houellebecq erscheint absolut stimmig. Mit Hoffmanns Gegenspieler Lindorf, gesanglich superb in die Dunkelheit gerückt von Derrick Ballard, verfügt die Inszenierung über ein plastisches Kraftzentrum, der Teufel trägt Klumpfuß mit Stil. Auch Chor und Orchester kamen völlig auf der Höhe aus der spielfreien Zeit, Robert Houssart am Dirigentenpult hatte alles im Griff, vor allem in Sachen Chor war das nicht bei jeder Premiere so. Und mit Eric Laporte sang ein Tenor die Titelpartie, der wunderbar geschmeidig klingt. Mit ein paar seiner hohen Töne war er aber sicher selbst nicht vollauf zufrieden. Aber, und das ist der einzige Haken an dieser gelungenen Produktion: Vom Typ eines Michel Houellebecq ist Laportes Hoffmann denkbar weit entfernt. Hier steht ein knuffiger Sympath auf der Bühne, ein launiger Kumpel. Kein zynisch-dekadent Zerrissener, kein skrupelloser Sarkast. Was die Houellebecq-Assoziation versprach, vermochte die Hoffmann-Realisation letztlich kaum einzulösen.