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Hoffmanns Erzählungen - Emma Moore (Antonia), Jan Krauter (Der andere Hoffmann) und Chris Lysack (Hoffmann). Foto: © Candy Welz
Hoffmanns Erzählungen - Emma Moore (Antonia), Jan Krauter (Der andere Hoffmann) und Chris Lysack (Hoffmann). Foto: © Candy Welz
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Publikumverschreckend? „Hoffmanns Erzählungen“ von Offenbach am DNT Weimar

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Weimar feiert 2019 nicht nur 100 Jahre Bauhaus. Das Deutsche Nationaltheater widmet sich zur Spielzeiteröffnung einem ganz anderen Jubilar dieses Jahres, dem vor 200 Jahren in Köln geborenen Jakob Offenbach, der als Jacques mit seinen Offenbachiaden weltberühmt werden sollte. Doch auch seine als „seriös“ bezeichnete Oper „Hoffmanns Erzählungen“ sorgt nachhaltig für Ruhm. Auch in Christian Weises Neuinszenierung am Deutschen Nationaltheater der Klassikerstadt? Fragt sich Michael Ernst.

Er gilt bis heute als Erfinder der Operette: Jacques Offenbach. Wie tragisch, dass er seine Oper „Hoffmanns Erzählungen“ unvollendet hinterlassen musste, er starb einige Monate vor deren Premiere. Am Deutschen Nationaltheater Weimar feiert dieses Werk nun eine fantastische Wiederauferstehung. Auch wenn es natürlich nie für tot erklärt worden war, hier hebt es Regisseur Christian Weise zum Spielzeitauftakt in ganz neue Sphären des Musiktheaters – und verschreckt damit, wie kaum anders zu erwarten, große Teile des Publikums.

Aber der Reihe nach. „Hoffmanns Erzählungen“ ist ja bekanntlich ein Stück (ursprünglich ein Schauspiel), das auf mehreren Texten des auch komponierenden und musizierenden Schriftstellers E.T.A. Hoffmann basiert. Mindestens so fantastisch wie dessen bewegtes Leben mutet Offenbachs Konglomerat aus einigen der Schriften dieses schwarzen Romantikers an.

Eine höchst fantasievolle, kunterbunte Zauberwelt

Christian Weise und seine Ausstatterinnen Paula Wellmann (Bühne) und Lane Schäfer (Kostüme) wollten daraus eine offenbar noch fantastischere, jedenfalls eine höchst fantasievolle, kunterbunte Zauberwelt schaffen, in die sie alle möglichen Zitate aus Literatur, Filmwelt und Bildender Kunst eingebaut haben. Das geht los mit gesprochenen Texten von Arthur Rimbaud, dessen „Ich ist ein anderer“ offenbar das Motto dieser Produktion gab, und erstreckt sich auf zahlreiche Filmfiguren, Comicfiguren, Anspielungen und Doppeldeutigkeiten bis hin zum gut gemeinten Trash.

Im Kern der fünf Akte geht es ja um die vergebliche Liebe des Hoffmann zu drei sehr verschiedenen Frauen. Zuerst Olympia, die sich als künstliche Puppe erweist, dann zu Antonia, die für diese Liebe ihre Gesangskarriere opfert und daran stirbt, schließlich Giulietta, die dem Dichter das Spiegelbild raubt. Hinter all diesen Irrungen und Wirrungen steckt durchweg ein teuflischer Gegenspieler, der diese Frauen ebenfalls begehrt, verführt und betört. Hoffmann zur Seite steht allerdings seine Muse, die sich als Niklaus ausgibt und ihn inständig anfleht, sich nicht immerzu in andere, aus ihrer Sicht falsche Frauen zu verlieben.

Was schon in der Vorlage beinahe wie eine Collage klingt, denn in der Rahmenhandlung dreht sich ja alles um die Sängerin Stella, die Hoffmann nicht aus dem Kopf geht, an der aber auch der böse Lindorf sehr interessiert ist, das wurde von Weise & Co. in Weimar doch ziemlich verfremdet. Von Anfang an tritt Hoffmann mit einem leibhaftigen Spiegelbild auf, eine Art Widerpart seiner selbst. Während er schwarzes Haar trägt, ist das stumme Gegenüber blond. Das ist durchaus originell, denn die beiden verschiedenen Seiten des Helden zeigen nicht zuletzt dessen Zerrissenheit. Schon der Olympia-Akt gipfelt dann allerdings in Buh-Rufen und einem lautstarken „Grausam!“ aus dem Publikum, weil die Puppe hier sinnbildlich für recht drastischen, damit aber auch nahegehenden Kindesmissbrauch genutzt worden ist. Schauspielerisch war das grandios gemacht, mittels sichtbaren Puppenspielertricks nämlich wirklich grausam – aber man muss eben bereit sein, sich darauf einzulassen, verschreckt zu werden, sich auch anrühren zu lassen.

Die Antonia dann ist unglaublich korpulent, wie eine Art Nana von Niki de Saint Phalle, ihre Eltern sehen aus wie Überraschungsei-Figuren und blicken aus kleinen Fensterchen auf die Bühne, wo auch Hoffmann und sein Spiegel diese starren Plastik-Frisuren tragen – trotz aller Alberei mit einer Not-OP à la Monty Python und Alf geht es da freilich um Leben und Tod.

Das setzt sich im Giulietta-Akt fort, der hier in einem Mix aus Museums- und Gruselkabinett spielt – mit bewegten Bildern, originellen Genredarstellungen bis hin zu Botticellis „Geburt der Venus“, und eben Sado-Maso-Szenen, die gut als Symbol für den Zweikampf von Hoffmann und seinem Konkurrenten Schlemihl, aber auch für den in Hoffmanns eigenem Kopf taugen.

Produktion besticht mit faszinierenden Bildern

Alles in allem besticht diese Produktion mit faszinierenden Bildern, die sehr auf Wirkmächtigkeit setzen, zumeist auch sehr überzeugt haben, wobei sie letzten Endes bestens darüber hinwegtäuschen konnten, dass hier ein sehr statuarisches Musiktheater stattgefunden hat, das aber trotzdem lebendig gewirkt und die Geschichten glaubhaft, spannend, mitunter überzeichnet, eben fantastisch erzählt hat.

Dass dazu aus dem Orchestergraben des Hauses ein fulminantes Feuerwerk zu erleben gewesen ist, die Staatskapelle Weimar ebenso wie der Opernchor des Deutschen Nationaltheaters bestens aufgespielt haben, rundet diesen streitbaren Abend zu einer empfehlenswerten Angelegenheit. Zumal auch durchweg bestens konditionierte Solistinnen und Solisten zu erleben gewesen sind. Allen voran der Kanadier Chris Lysack als Hoffmann mit schmetterndem Tenor und einer Schneidigkeit in der Stimme, die hier und da in den Höhen leider an ihre Grenzen geriet, was aber auch dem Premierenfieber geschuldet sein konnte. Nichts zu spüren von derlei Aufgeregtheit war bei den drei vortrefflichen Damen – Yiva Stenberg als Olympia, Emma Moore als Antonia und Heike Porstein als Giulietta. Das Püppchen, die Ballondame und der Transvestit haben darstellerisch durchaus Geschmacksgrenzen arg strapaziert, doch auch dazu verfügt das Werk über ein treffliches Motto: „Macht die Liebe auch groß, macht doch größer der Schmerz.“

Jede Menge Partien in dieser Oper sind irgendwie Hauptpartien, zur Premiere in Weimar gab es an keiner was auszusetzen. Besonders ins Herz geschlossen hat das Publikum ganz offensichtlich die bezaubernd gespielte und sehr überzeugend gesungene Muse (Stella) von Sayaka Shigeshima.

Zum Schluss gab es redlich verdienten, langen Applaus für Chor und Orchester, insbesondere für die musikalische Leitung von Stefan Lano, dem 1. Kapellmeister des Hauses, sowie für alle Solistinnen und Solisten. Kaum minder heftig gerieten die Buh-Rufe für das tapfere Inszenierungsteam. Provokation kann das Publikum in Weimar auch 100 Jahre nach der Bauhaus-Geburtsstunde tüchtig entzweien.

  • Termine: 12. und 29. September, 12. und 25. Oktober, 9. November, 6. und 26. Dezember 2019

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