Die Wiener Staatsoper bringt zu Saisonbeginn Hoffmanns Erzählungen, was nicht nur anlässlich des 200. Geburtstags des Komponisten eine ausgezeichnete Idee ist. Das Werk mit seinem wilden Mix aus Komödie, Tragödie und Gruselkabinett ist eines der populärsten der Opernliteratur, und das Haus verfügt über eine elegante Inszenierung von Andrei Serban, der man ihre 25 Jahre nicht ansieht. Werkgetreu im besten Sinn liefert sie die buchstäblich fantastischen Schauplätze, an deren Hoffmann zwischen Wunsch und Wirklichkeit wandelt. Angefangen bei Hoffmanns mit Tintenklecksen übersäter Schreibstube, die sich zu Luthers Wirtshaus weitet, bis hin zu den venezianischen Gondeln, die im Giulietta-Akt als Sofas fungieren, ist alles ebenso effekt- wie sinnvoll.

Zudem ist diese Inszenierung eine der wenigen, in der die Kernaussage des Werks nicht in Klamauk und Ausstattungsklimbim untergeht: Ein Künstler gehört der Kunst und nicht der Liebe, vielleicht nicht einmal sich selbst. Die Muse, die in Les Contes d'Hoffmann für Genie und Begabung des Künstlers steht, begleitet ihn als Nicklausse bei seinen amourösen Niederlagen und freut sich, dass daraus neue Schöpferkraft entstehen wird – nicht umsonst endet die Oper mit den Worten „Man ist groß durch die Liebe, aber größer noch durch Leid”.

Diese Muse/Nicklausse war mit Gaëlle Arquez ausgezeichnet besetzt, Timbre und Bühnenpräsenz passen für diese Partie ganz genau. Allerdings scheinen ihr Carmen oder auch das Barockrepertoire derzeit noch näher zu sein, aber das kann sich mit zunehmender Praxis rasch ändern – wie beinahe alle anderen Sänger gab sie an diesem Abend ihr Rollendebüt am Haus.

Die lange und herausfordernde Partie des Hoffmann ist immer schwierig zu besetzen, aber mit Dmitry Korchak hat man eine sehr gute Wahl getroffen – er zählt zu jenen, die ihre Leistung verlässlich erbringen. Das war bei seinem ersten Wiener Hoffmann nicht anders, auch wenn man sich für das Lied vom Klein-Zack etwas mehr von jener belkantesken Leichtigkeit erwartet hätte, die man etwa an seinen Ramiro oder Lenski geschätzt hat. Darstellerisch hätte er im Olympia-Akt noch mehr Präsenz zeigen können, aber spätestens ab dem Aktschluss mit den „Un automate!”-Rufen blieben keine Wünsche mehr offen.

Umgekehrt verhielt es sich mit Luca Pisaroni in der Rolle der vier Bösewichte. Als ältlich-arroganter Lindorf hatte er zunächst keinen üblen Start, doch die notwendige stimmliche und darstellerische Steigerung bis hin zu Dapertutto blieb aus; der Schluss der Diamantenarie gelang leider ebenfalls nur mäßig. Eine weitere Enttäuschung war Zoryana Kushpler als Stimme von Antonias Mutter – ihr wackeliges Vibrato karikierte geradezu die Idee, Antonia hätte von ihr eine wunderbare Stimme geerbt.

Als Stella, Olympia, Antonia und Giulietta glänzte Olga Peretyatko – es war ein Genuss, einmal alle von Hoffmanns Angebeteten von einer Sängerin dargestellt zu sehen. Dafür nimmt man auch in Kauf, dass nicht alles perfekt sein kann. Peretyatkos Puppe Olympia etwa wirkt vor allem deshalb sehr sympathisch-menschlich, weil ihr das rhythmische Ebenmaß für jene Koloraturen fehlt, die nicht im Staccato zu singen ist. Antonia gelang ihr sehr berührend, und deren Duett mit Hoffmann war einer der Höhepunkte des Abends. Auch Giulietta geriet wesentlich raffinierter, als man es schon gehört hat: Sie luchste Hoffmann Herz und Spiegelbild mit viel stimmlichem Charme ab.

Von den Nebenrollen gefiel besonders Michael Laurenz mit einer Vaudeville-Darstellung der Dienerr. Insbesondere im Antonia-Akt stahl er seinen Bühnenkollegen fast die Show, während Igor Onishchenko für den wirren Erfinder Spalanzani fast zu schön tönte. Dan Paul Dumitrescu (Crespel) und Alexandru Moisiuc (Luther) waren am besprochenen Abend die Einzigen, die ihre Rollendebüts in dieser Inszenierung bereits hinter sich hatten, und lieferten das Geforderte in gewohnter Qualität. Zwei weitere waren sogar überqualifiziert: Clemens Unterreiner und Margarita Gritskova waren im Sommer in Klosterneuburg noch als Bösewichter bzw. Nicklausse im Einsatz, mussten sich aber am großen Haus mit Schlémil bzw. einer Dame im Epilog bescheiden. Der Chor tat seine Pflicht (in Luthers Weinstube naturgemäß am liebsten), aber wenig mehr.

Frédéric Chaslin am Pult übertrug die Grobheit der Wirtshaus-Atmosphäre aus dem Prolog auch auf einiges mehr, wobei man über Geschmack natürlich streiten kann. Den Olympia-Akt mit seiner Tanzmusik kann man mit Neujahrskonzert-Charme geben, oder man kann das Puppenhaft-Künstliche durch Ecken und Kanten betonen; Chaslin entschied sich für Letzteres. Seinen Sängern, allen voran Peretyatko, war er ein flexibler Partner, auch wenn die Lautstärkenregulierung manchmal nach Versuch und Irrtum klang – zunächst wurde „draufgehaut”, dann zwei, drei Takte später korrigiert – im Laufe dieser Serie sollte sich das noch einspielen, da ist auch das Orchester in die Pflicht zu nehmen.

Fazit: Wenn ein Werk fünf Jahre Pause im Repertoire hinter sich hat, und dann in komplett neuer Besetzung gegeben wird, läuft vielleicht nicht immer alles rund; trotzdem war der Abend eine Werbung für das Werk und die Inszenierung.

***11