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Foto: Matthias Baus
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Ein Alptraum in Musik – Pascal Dusapins Oper „Macbeth Underworld“ in Brüssel uraufgeführt

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Wer sich seiner Opern- und Spielplandramaturgie sicher ist, wird mutig. Peter De Caluwe will in den nächsten Jahren jede Spielzeit der Brüssler La Monnaie Oper mit gleich zwei Uraufführungen beginnen. Was kühn gedacht ist, ist ihm zum Auftakt schon mal gelungen. Dabei ist Pascal Dusapin (64) schon mal eine sichere Bank. Hier wurden 1992 schon sein „Medeamaterial“ und 2015 „Penthesilea“ uraufgeführt. Mit dem jüngsten Werkt lässt er sich diesmal nicht von der deutschen, sondern von einem Weltklassiker der englischen Literatur inspirieren. Joachim Lange berichtet.

Das Libretto für „Macbeth Underworld“ entstand gemeinsam mit dem Shakespeare-Spezialisten Frédéric Boyer, der in aller Dunkelheit der Unterwelt die Liebesbeziehung zwischen Macbeth und seiner Lady ins Zentrum stellt. Das ist keine radikale Umdeutung der bekannten Geschichte, eher eine originelle Nacherzählung, in der alle Schlüssel-Elemente, wie sie bei Shakespeare (bei Verdi und in diversen Verfilmungen) vorkommen, auch auftauchen. Was Vorzug und Grenze zugleich ist. Das Neue ist die Perspektive des Danach. Die Erinnerung aus der Unterwelt an das, was auf Erden war.

Spiel mit dem Bruchstückhaften

Das Libretto spielt also mit dem Bruchstückhaften, ersetzt damit einen stringenten Erzählstrang. Wie Irrlichter blitzt darin das Bekannte immer wieder auf. Die Prophezeiungen der Hexen – hier drei Schwestern. Der Brief an seine Frau. Der geisterhaft schwebende Dolch für den Königsmord. Natürlich jede Menge Blut. Der Mord am Freund, der nicht nur beim Bankett, mit einem Messer im Rücken durch die Geschichte geistert. Der Wald von Birnam wird gar zum Lebensraum, zu einem dominierenden Teil der Bühne. Das Kind, das Bancos auf Rache sinnendes, aber auch das eigene sein könnte, das das Ehepaar Macbeth hatte oder haben wollte. Ganz unauffällig vor einer Tür im Palast steht ein Schaukelpferd, das darauf hindeutet, dass sich dieses Ehepaar sein Leben einst auch anders hätte vorstellen können. Von daher kommen wohl auch die Inseln menschlicher Liebe in diesem Meer von Wahnsinn.

All das sind die im Text, in der Musik und auf der Szene vorkommenden Halteseile bei einer packenden Nachtwanderung durch die Abgründe und Nebelschwaden des von Menschen gemachten und von Menschen gewollten Bösen. Es ist ein Shakespeare, der durch die Mühle eines Alptraums gedreht wurde. Dabei wird die Übermacht der immerwährenden Erinnerung an das, was war, zur Höllenpein und Strafe.

Eine Nachtwanderung durch die Abgründe

Was dem Zuschauer natürlich einiges abverlangt und Vorkenntnisse einfach voraussetzt. Aber wo, wenn nicht bei einem Shakespeare- Klassiker sollte man das können? 

Allerdings lässt sich eben auch der französische und als Shakespeare-Experte geltende Regisseur Thomas Jolly (37) adäquat auf diesen Opern-Alptraum ein. Bruno de Lavenère hat ihm dafür ein Kunstwerk ganz eigener Art auf die Drehbühne gebaut. Es ist eine hochatmosphärische Installation des Grauens. Ein Schatten-Schottland ohne Ausweg. Hier kommt Licht nur als Widerschein von Höllenglut. Hier liefert nur aufflackerndes Blutrot eine Abwechslung in all dem Schwarz und Grau der Umgebung und dem Gespensterweiß der Akteure. Der abgestorbene Wald von Birnam wird von der militärischen List der Gegner von Macbeth zu einer übermächtigen Nacht-Landschaft, die sich mit einem verschlossenen Tor (des Schlosses? der Hölle?), Fassaden und düsteren Innenräumen abwechselt. Alles in gleitendem Übergang. Genial beleuchtet von Antoine Travert ist all das auch ein Spiel mit den Mitteln von Filmklassikern von Fritz Lang oder Friedrich Wilhelm Murnau. Hier ist kein fester Grund für die Akteure, nirgends. Außer im jeweils anderen.

Die Uraufführungs-Besetzung in Brüssel ist geradezu idealtypisch: Das fängt an mit dem erstaunlich frischen und vitalen, immerhin schon 77jährigen Graham Clark, der in der Doppelrolle als Hekate und Pförtner für ein Element deftigen Shakespeare-Theaters sorgt. Grandios wie er in elisabethanischer Tracht den Prolog spricht und dann vor allem als Pförtner den Eingang zur Unterwelt bewacht. In Erscheinung und Stimme machtvoll bewegt sich Kristinn Sigmundsson als Geist Bancos (mit Messer im Rücken) durch die Szene und Naomi Tapiola beglaubigt glockenklar die Unschuld des Kindes.

Die Grenzen des Gesungenen wie selbstverständlich durchbrechen

Im Zentrum des Abends bewährt sich Georg Nigl als Macbeth erneut als Spezialist für gequälte Seelen, die bei grandios gestaltender Stimme sind und in zugespitzten Situationen die Grenzen des Gesungenen wie selbstverständlich durchbrechen. Kongenial an seiner Seite eine gereifte, hochsouveräne Magdalena Kožená als seine Lady. Also bewusst keine vokale Verkörperung von Wahnsinn, sondern eine Stimme, die korrespondierend mit der verwendeten elisabethanischen Erzlaute auch nach Innen schauen kann.

Das Geister- und Märchenhafte der Musik Dusapins

Liebe im Vorhof der Hölle – oder doch schon mittendrin? Immerhin deutet die Zuneigung, die die beiden wenigstens zueinander haben, darauf hin, dass es sich um menschliche Wesen handelt. Oder mal irgendwann gehandelt haben muss. Und da Dusapin für Stimmen zu schreiben versteht und in dem Falle die Interpreten der Uraufführung vor Augen gehabt hat, kommen die allesamt voll  auf ihre Kosten und zur Geltung.

Im Graben geht Alain Altinoglu mit dem Symphonieorchester der Oper in die Vollen, kostet die schwarze Sinnlichkeit der Musik aus, bewältigt auch, dass hier fast durchgängig ein hohes Erregungsniveau herrscht. Er schafft Inseln der (Schlafzimmer-)Intimität zwischen Macbeth und der Lady und er sorgt dafür, dass sich die fast hysterischen Auftritte der Hexen abheben. Er zeichnet aber auch genüsslich das bewusst Geister- und Märchenhafte der Musik Dusapins nach und bewältigt souverän die raffinierte Orchestrierung samt Percussion-Aufrüstung, Orgel und einem gewaltigen Aufwand an Frauenstimmen.

Man muss nicht zur Gilde der Hexen gehören, um dieser Koproduktion mit der Pariser Opéra Comique ein Nachleben nach der erfolgreichen Premiere in Brüssel vorherzusagen.

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