Eine Frau tötet ihren Ehemann mit einem Küchenmesser und sticht ihm „twice through the heart“ (zwei Mal durchs Herz). Doch statt einer kaltblütigen Mörderin ist sie vielmehr Opfer eines Mannes, der sie jahrelang missbraucht hat. Das Ungewöhnliche ist, sie schweigt. Trotz psychischer und physischer Misshandlungen erzählt sie ihre Geschichte im Gerichtssaal nicht. Statt auf Notwehr zu plädieren ergibt sie sich ganz ihrem Schicksal.

Dies ist der Ausgangspunkt zu Marc-Anthony Turnages Monodrama Twice through the Heart. Basierend auf der wahren Geschichte um Amelia Rossiter, die 1988 für diesen Mord zu Tode verurteilt wurde, hat die schottische Autorin Jackie Kay bereits 1992 einen Gedichtzyklus und ein Fernseh-Drehbuch verfasst, welches anschließend mit Turnage zu dieser Kammeroper umgeformt wurde und 1997 beim englischen Aldeburgh Festival zur Uraufführung gebracht wurde. Das Schweigen ist das zentrale Thema der Oper, die ein eindrückliches Psychogramm einer Frau liefert, die einer Art doppelten Gefangenschaft unterliegt: im ehelichen Haushalt und anschließend im Gefängnis. Ihre Ausweglosigkeit und Verzweiflung werden zum Auslöser für ihr Handeln.

Dargestellt wird dies auf der kleineren Bühne des Staatstheaters Darmstadt – den Kammerspielen. Umgeben vom Orchester auf der einen und dem Publikum auf der anderen Seite ist die Bühne in die Raummitte verlegt und befördert die intime Atmosphäre der Handlung, die zwischen Gefängniszelle und einengendem Zuhause changiert und in der retrospektiv die Handlung erzählt wird.

Turnages Drama beginnt mit musikalischen Messerstichen. Das Orchester illustriert geradezu lautmalerisch die emotionale Tortur und das ständige Lauern auf erneute Gewaltausbrüche. Während die Frau immerzu „Kein Weg hier raus“ anstimmt, agiert sie mit dem stummen Ehemann, der zunächst wie tot, passiv auf dem Boden liegt, später aber, geradezu von ihr wieder zum Leben erweckt, aggressiv auf sie einwirkt und sie alles erneut durchleben lässt. Sie selbst singt von den brutalen – aber auch erfreulicheren – Erlebnissen, von denen sie Nacht für Nacht heimgesucht wird und nicht vergessen kann.

Leonard Bernsteins Trouble in Tahiti dagegen zeigt einen anderen möglichen Ausgang – eine Art Kehrseite der Geschichte – wortwörtlich. Denn das Bühnenbild dreht sich und gibt den Blick frei auf eine typische Vorortsiedlung, die sowohl Darmstadt als auch ein typisches amerikanisches Suburbia darstellen kann.

Dinah und Sam sind augenscheinlich eine glückliche Familie – mit einem Sohn, Eigenheim und allen erdenklichen Konsumgütern ausgestattet fristen sie ihr Dasein lieber vor ihren Endgeräten, statt sich gegenseitig ihre Gefühle und wahren Wünsche zu offenbaren. Statt Konfrontation oder gar Kommunikation wird alles schweigend ertragen. Bernstein, der für diese 1952 uraufgeführte Oper sowohl die Musik als auch das Libretto verfasst hat, zeigt, wie damals und genauso auch heute der Mensch seine Gefühle durch Konsum und Realitätsflucht zu ersticken versucht. Inspiriert zu dieser Geschichte hat ihn das Zusammenleben seiner eigenen Eltern.

In der Regie von Stephan Krautwald wird mit pastellfarbenen, geblümten Kostümen und breitem Dauergrinsen dem Zuschauer 45 Minuten gute Laune vorgegaukelt. Ein Jazz-Trio preist wie in einem Werbejingle der 50er Jahre den „American Dream“ an – die Erfüllung des Glücks im Konsum. Zwischendurch wird nur kurz innegehalten und reflektiert, bevor schnell wieder eine Maske aufgesetzt wird, denn die Traumfabrik lässt keine wahren Gefühle zu.

Letztendlich überzeugt die Inszenierung eher in ihrer Intention als Ausführung. Trotz inhaltlich verbindender und anregender Thematik sind Kostüme und Bühnenbild zurecht nicht auf der Bühne im großen Haus platziert und wirken eher wie Laientheater als große Oper. Twice through the Heart offeriert dem Zuschauer Raum für echte Reflexion, Auseinandersetzung mit der Thematik der häuslichen Gewalt. Trouble in Tahiti dagegen ist von allem zu viel und wirkt geradezu erschlagend wie eine Reizüberflutung.

Während das Orchester Turnages Musik mit überzeugender emotionaler Eindringlichkeit darstellte und Spannung aufbauen konnte, verfehlte es unter musikalischer Leitung von Jan Croonenbroeck den leichtfüßigen und melodischen Musical-Charakter Bernsteins Musik einzufangen und seine emotionale Bandbreite differenziert wiederzugeben. Es mangelte mitunter an uniformem Zusammenspiel und das Orchester driftete eher in improvisiert wirkendes Spiel ab.

Stimmlich und darstellerisch das meiste zu bieten hatte an diesem Abend Xiaoyi Xu, die in beiden Stücken die Ehefrau darstellte. Die Mezzosopranistin bot ein breites Register an und war auch in den Höhen frei und mühelos. Ihre Interpretation war vielschichtig und sie wusste beide Rollen inhaltlich abzugrenzen und ein differenziertes Rollenbild anzubieten. Georg Festl als Sam lieferte mit warmer Baritonstimme eine gute, dennoch recht vorhersehbare Darstellung des geschäftstüchtigen, selbstverliebten Ehemanns mit wenig Tiefgang ab.

Thematisch kreisen beide Stücke um das Schweigen; es geht um Ungesagtes und um Verweigerung von Worten. Aber auch um Eingesperrtsein, um Enge und Ausweglosigkeit. Nicht nur im wörtlichen, sondern vielmehr im übertragenen Sinn. Die Opern verkörpern eine Sehnsucht. Sehnsucht nach Geborgenheit, einen Ort Zuhause nennen zu können und Unbeschwertheit und Glück in ihm zu finden.

Führt man sich vor Augen, dass jede vierte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben von körperlicher oder sexueller Gewalt im häuslichen Bereich betroffen ist und über doppelt so viele Frauen Formen psychischer Gewalt erleben, bekommt diese Produktion nur umso mehr Bedeutung, solche gesellschaftlich strukturellen Probleme zu thematisieren.

***11