Kammeroper

Gounods "Faust" als Puppentheater

Herwig Prammer
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Nikolaus Habjans Inszenierung von „Faust“ an der Kammeroper ermüdet, trotz einiger starker Momente.

Eine glatzköpfige Puppe, die sich über den Schreibtisch beugt und das verzweifelte „Rien“ ruft, bevor sie durch eine jünger wirkende Figur ersetzt wird. Eine Gretchen-Puppe, die im Dom regelrecht zerrissen und an ein leuchtendes Kreuz genagelt wird. Faust, der der Gretchen-Puppe unter das Kleid greift, während sich die menschliche Darstellerin den Annäherungsversuchen schnell entzieht. Méphistophélès, der seine eigene Arie der Faust-Puppe in den Mund legt und diese wie eine Marionette führt.

Es gibt einige starke Momente in Nikolaus Habjans Inszenierung von Gounods „Faust“ in der Kammeroper, die jede Partie durch eine seiner mittlerweile auf Österreichs Bühnen omnipräsenten Puppen doppelt. Die große Spannung, die der aktuelle Director in Residence dadurch – und auch durch zeitweises Abkoppeln von Sängern und Puppen - aufbaut, kann er jedoch nicht auf die gesamte Dauer der ausführlichen Inszenierung halten, die selbst die Walpurgisnacht nicht ausspart. Ja, Goethe ließ sich seinerzeit selbst von einem damals sehr bekannten Puppenspiel über den Doktor Faustus zu seiner Tragödie inspirieren, wobei Gounods Werk das Schicksal der Margarethe in den Vordergrund stellt. Doch wenn die Sänger sichtlich dazu angehalten sind, ihr eigenes Spiel stark zurückzunehmen, sie außerdem durch die Zusatzaufgabe, die Puppen zu bewegen, in ihrem Agieren gehemmt wirken, die Puppen aber keine Mimik zeigen, wird dies mit der Zeit ermüdend.

Vier kleine Puppen tanzen zur Walpurgisnacht

Spannenderweise ging genau das auf, was im Vorfeld möglicherweise zu Zweifeln anregte: Der Chor, hier nur aus acht Leuten bestehend, wirkte auf seine Art höchst präsent und ließ ebenso wenig vermissen wie die stark reduzierte Orchesterfassung von Leonard Eröd, der Gounods Werk gekonnt und mit Gefühl für dessen Stärken (und Schwächen) auf die Bedürfnisse des Wiener Kammerorchesters zuschnitt. Dass die Musiker von Giancarlo Rizzi derart zum Forte angetrieben wurden, wäre in diesem intimen Rahmen aber absolut nicht notwendig gewesen. Und wer sich vorab fragte, wie Habjan die auch in großen Häusern oft gestrichene Walpurgisnacht auf die Bühne bringe, wurde positiv überrascht ob der vier kleinen Puppen, die auf einem roten Band in perfekt abgestimmtem Wechsel ihre Beinchen hochwarfen.

Wenn man mit der Programmierung von „Faust“ in der Kammeroper – warum man hier nun wiederholt Grand Opéra spielt, ist ein Rätsel der Wiener Kulturlandschaft - jungen Sängern die Möglichkeit bieten wollte, sich in Großem zu beweisen, ging der Plan nur sehr partiell auf. Dumitru Mădăraşăn aus dem Jungen Ensemble Theater an der Wien zeigte als Méphistophélès satte, runde Tiefe. Jenna Siladie als Marguerite beeindruckte durch Agilität und mit Leichtigkeit hingeworfenen Spitzentönen in der „Juwelenarie“. Dennoch stießen beiden an ihre Grenzen. Ebenso Kristján Jóhannesson als Valentin, dessen Stimme an Tragfähigkeit noch zunehmen darf. In der Titelrolle lieferte Quentin Desgeorges eine durchwachsene Performance, mal agierte er voll und mit gekonnten Spitzentönen, mehrfach brach ihm die Stimme aber richtiggehend weg.

Starker Schluss mit einer engelsgleichen Marguerite

Auffällig war, dass gerade jene auch stimmlich besonders reüssieren konnten, die das Puppenspiel so verinnerlicht hatten, dass es ihnen keine Mühe machte. Ghazal Kazemi als Siebel ließ der von ihr zärtlich umsorgten Puppe den Vortritt und war dennoch anmutig und so präsent wie niemand anderer an diesem Abend. Dazu kam ihr warm strömender Mezzo, der auch für größere Bühnen geeignet ist. Ähnlich verhielt es sich mit Benjamin Charmandy als Wagner. Manuela Linshalm gefiel als geschmeidige Puppenspielerin. Mit einem besonders starken Bild schloss Habjan: Marguerite warf ihre Puppe weg und blieb engelsgleich vor dem Publikum stehen, während hinter ihr der vergoldete Eiserne Vorhang aufgezogen wurde. Nicht „gerichtet“, „gerettet“ war sie.

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