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Henzes „Bassarids“ an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
Henzes „Bassarids“ an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
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Attisches Theater ohne lustvollen Exzess: Henzes „The Bassarids“ an der Komischen Oper Berlin

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Nach der deutschen Erstaufführung von Hans Werner Henzes „Die Bassariden“, 1966 an der Deutschen Oper Berlin und in deutscher Sprache, bringt die Erstaufführung an der Komischen Oper nun in englischer Sprache eine späte Bearbeitung des Komponisten, ergänzt aber das nur in der Urfassung vorhandene szenische Intermezzo und verzichtet – zugunsten eines Nachvollzugs des antiken Theaters in Griechenland – auf die Topik des Geschehens.

Im Auftrag der Salzburger Festspiele komponierte Hans Werner Henze sein 1966 dort in deutscher Sprache uraufgeführtes zweites Bühnenwerk, „Die Bassariden“. Diese „Opera seria mit Intermezzo in einem Akt“ rückte die dramatische Vorlage des Euripides in eine Postmoderne von Wolkenkratzern und Fernsehantennen neben archaisch-griechischen Relikten. Henzes britische Librettisten Wystan Hugh Auden und Chester Kallman wollten den deutschen Komponisten mit ihrer Spielvorlage näher ans Wagnersche Musikdrama heranführen. Dieses Ansinnen löste Henze mit immensem Orchesteraufwand ein, quasi symphonisch.

Im Jahre 1992 unterzog Henze seine Oper , die er nun „Musikdrama in einem Akt“ nannte, einer Bearbeitung, reduzierte die Orchestermassen und komprimierte; im auslandenden dritten Satz strich er das „Intermezzo“, jenes vom Autorenteam hier eingeschobene Satyrspiel, welches im attischen Theater stets den Tagen der Tragöde als dionysischer Abschluss gefolgt war.

Barrie Kosky wollte auf den einzigen, den „komischen“ Anspruch dieses Theaters einlösenden Teil („Slapstick und Klamauk“ als „Anfang von Komödie und Operette“) nicht verzichten, musste sich andererseits aus Raumgründen für die reduzierte zweite Fassung entscheiden. Der Dirigent der Aufführung, Vladimir Jurowski reduzierte daher die Orchestrierung dieses 20-minütigen Intermezzos und glich es klanglich der Spätfassung an.

Das für Henzes 2. Fassung erforderliche Instrumentarium bleibt dennoch für das Haus an der Behrenstraße raumsprengend. Es bedingte die Konzeption der szenischen Lösung: Im halb hochgefahrenen Orchestergraben spielen die groß besetzten Streicher (mit zwölf ersten Violinen), dahinter zwei Harfen und das ausladende Schlagwerk. Neben den Orchestergraben sind Vibraphon, Celesta und Klavier positioniert, im ersten und zweiten Rang Trompeten und weitere Trommeln. Auf der Bühne, auf beiden Seiten des 14-stufigen Aufbaus, musizieren die Holz-  und Blechbläser, aber auch Gitarre und Mandolinen sowie vier nur singende Chorsolisten, das Vokalconsort Berlin.

Soli und Chor agieren primär auf den Stufen, später auch mal in zwei umgestalteten Proszeniumslogen des 2. Ranges sowie auf einer Passarelle. Da der auf den Stufen sitzende Chor an die Besucher des Theatrums im antiken Theater gemahnt, erscheint das Auditorium der Komischen Oper umgedeutet als Skenae des griechischen Theaters. Und tatsächlich erfolgt der Auftritt des Dionysos auf der Höhe des Theologeions, des des Skenae-Daches, hier also des zweiten Ranges. Am trefflichsten erfolgt der Nachvollzug der runden Orchästra durch die Positionierung der Streicher und – insbesondere im Schlussakt – durch die zehn Tänzer auf der Passarelle, welche die Anzahl der singenden und tanzenden Apollon-Priester des attischen Theaters nur geringfügig übersteigen. In Otto Pichlers schweißtreibender Choreografie gebärden sie sich exzessiv.

Die Entscheidung für die schematische Raumlösung – mit dem cremefarben umbauten Bühnenportal und einem aufsteigenden Bühnenraum mit schmalem Auftrittsschlitz (Ausstattung: Katrin Lea Tag) geht auf Kosten der ursprünglich von Henze und seinen Librettisten intendierten Handlungsmomente. Unklar bleibt etwa der grundsätzliche Konflikt zwischen Pentheus und Dionysos, wenn das Löschen des Feuers auf dem Grab von Dionysos’ Mutter Semele durch den König von Theben unterbleibt.

Wie alle Protagonisten, so ist Pentheus unser Zeitgenosse, schlank, im schwarzen Anzug mit Krawatte. Als Repräsentant der Ratio ist er a priori der Gegenspieler des Dionysos, der ihn daher mit allen Mitteln zu Fall zu bringen sucht. Dies gelingt ihm schließlich, indem er Pentheus einredet, sich ­– als Frau verkleidet –  bei den Orgien der Bacchantinnen (oder Bakchen, hier Bassariden) einzuschleusen, von denen er dann zerrissen wird. Pentheus’ Mutter Agaue (die in der Berliner Neuinszenierung Agave genannt wird), trägt dann die Überreste vom Kopf ihres Sohnes, als der eines vermeintlichen jungen Löwen, den sie als Anführerin mit einem Beil getötet hat, in einem Plastikbeutel bei sich. Dionysos gelingt es, das ganze Königshaus zu stürzen, die Thebaner in die Flucht zu jagen und seine Herrschaft anzutreten.

Die beiden Antagonisten sind mit Günter Papendell als Pentheus  – mit intensiver Mimik und expressiv dramatischer Stimmgebung – sowie mit dem indisch wirkenden, amerikanischen Tenor aus sri-lankischer Herkunft, Sean Pannikkar, hinreißend besetzt. Panikkar hat diese Partie bereits in der letzten Neuproduktion von Henzes Oper in Salzburg verkörpert, ebenso Tanja Ariane Baumgartner als Agave, die spät – mit einem Wiegenlied auf ihren toten Sohn – zu enormer Ausdruckskraft wächst. Ebenfalls bereits in Salzburg interpretierten Margarita Nekrasova die alte Amme des Königs und Vera-Lotte Boecker Agaves Schwester Autonoe. Sie bilden ein treffliches Ensemble, zusammen mit den bewährten Kämpen der Komischen Oper, insbesondere mit Jens Larsen als Pentheus’ Großvater Cadmos, wie auch mit Ivan Turšić als altem blindem Seher Teiresias (mit schwarzer Sonnenbrille) und Tom Erik Lie als verführungswilligem Captain of the Royal guard. Der musikalisch von David Cavelius einstudierte Chor unterstreicht den akkuraten Gesang mit suggestiven Kollektiv-Gesten und eurhythmischem Klatschen.

Souverän leitete Vladimir Jurowski die Klangkörper vor, neben, unter, über und hinter sich. Kurzzeitige Heiterkeit kam am Premierenabend nur einmal auf, wenn Mandolinen und Gitarre, griechische Folklore alludierend, für das Intermezzo zum Tanz aufspielen. Mit seinen tänzerischen Momenten à la Kurt Weill wird dieser Einschub nicht etwa von den Tragikoi des Satyrspiels, sondern von zehn großen schwarzen Masken und den in die Rollen des Satyrspiels schlüpfenden Sängerdarsteller*innen der Haupthandlung dargeboten. Fürs Publikum im Auditorium ist dies allerdings weniger erheiternd als für die sich als Besucher griechischen Theaters auf den Stufen, amüsierenden Chorsolist*innen. Auch in dieser Szene kommen dionysische, rauschhafte Feiern, Hingabe an Vergnügen und Lust deutlich zu kurz.

Dies mag auch daran liegen, dass das gesungene Wort zumeist schwer verständlich ist. Denn im Gegensatz zur Salzburger Uraufführung und zu allen nachfolgenden Aufführungen im deutschen Sprachraum wählte Barrie Kosky die Originalfassung der Autoren (zumal er die deutsche Fassung „an vielen Stellen […] platt und banal“ findet). Diese Wahl erschwert nicht nur das Verstehen sondern auch den Gesamteindruck der Oper.

Die Aufführungen im antiken griechischen Theater fanden am Tag, im hellen Sonnenlicht statt, wobei die Besucher durch das über der Skenae stehende Sonnenlicht geblendet wurden, was den Eindruck der von Lichtschein umgebenen Götter unterstützte. Daher verzichtet auch Koskys Inszenierung auf Lichtstimmungen; der Zuschauerraum der Komischen Oper ist über 2 1/4 Stunden lang hell erleuchtet. Dies erschwert auch das Mitlesen der Gesangstexte auf den Displays der Vordersitze. Erst für die letzten sieben Minuten wird das Saallicht heruntergefahren, wenn Dionysos mit energetischer Gestik seine tote Mutter heraufbeschwört: „release my mother Semele“.

Im Dunkel nach dem Schlussakkord der am Ende bombastischen und sich ihrer zusehends tonaleren Wirkung sicheren Komposition dann zunächst lange Stille. Anschließend ausschließlich Zuspruch und viele Bravorufe für die über 200 Mitwirkenden bei diesem musikdramatischen Gesamtkunstwerk.

Weitere Aufführungen: 17., 20. Oktober, 2., 5., 10. November 2019, 26. Juni 2020.

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