Stippvisite des Superstars: Plácido Domingo singt in Zürich

In den USA sind die meisten Bühnen auf Distanz zu Domingo gegangen, nachdem mehrere Frauen ihm sexuelle Belästigung vorwarfen. Das Opernhaus Zürich dagegen hielt am schon vor dem Skandal vereinbarten Auftritt in «Nabucco» fest – und der Star wurde gefeiert wie in alten Tagen.

Tobias Gerosa
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Applaus hört Plácido Domingo dieser Tage gern; in Zürich wurde er ihm reichlich zuteil. (Bild: Laszlo Balogh / Keystone)

Applaus hört Plácido Domingo dieser Tage gern; in Zürich wurde er ihm reichlich zuteil. (Bild: Laszlo Balogh / Keystone)

Kurz vor der Pause, in der Peripetie von Giuseppe Verdis «Nabucco», frevelt der Titelheld und babylonische König: «Non son più re, son Dio!» («Ich bin nicht mehr König, sondern Gott»). Am Sonntag im Opernhaus sang der wegen Vorwürfen sexueller Belästigung unter Druck geratene und in den USA deswegen aus allen Engagements entlassene Opernsuperstar Plácido Domingo die Rolle. Und zwar mit einem Konsonantenverschleifer, der den ausverkauften und bejubelten Abend auf den Punkt bringt. Bei Domingo klang’s wie «Non son più re, son io» – nicht «Ich bin Gott», sondern «Ich bin ich», die Sängerlegende.

Die Inszenierung von Andreas Homoki hatte im Juni Premiere, für die Wiederaufnahme nach der Sommerpause blieb Chefdirigent Fabio Luisi – noch immer dirigiert er straff, knackig und detailreich. Die grossen Rollen wurden umbesetzt, für eine einzige Vorstellung hat man Domingo engagiert. Geplant und angekündigt wurde dies längst vor den im Sommer aufgekommenen Vorwürfen.

Kein Wort der Kritik

Das Opernhaus hielt, wie die Salzburger Festspiele und andere europäische Opernhäuser, am Engagement fest. Die Vorstellung war bei Galapreisen bis zu 380 Franken ausverkauft, kein Schimmer von Protest zu entdecken – die Opernwelt ist dafür wohl auch zu klein. Und Domingos Auftritte hier sind zu selten: 2005/06 war er zum letzten Mal als Tenor im «Parsifal» in Zürich, 2011/12 erstmals als Bariton in «Simon Boccanegra» und nun also, mit offiziell 78 Jahren, als Nabucco.

Eigentlich ist das keine Rolle, um als Gaststar besonders zu brillieren. Nur gerade eine richtige Arie hat sie, dafür auch längere Pausen zwischen den Auftritten. Dass er hier eine gebrochene Figur gestalten kann, kommt Domingo entgegen. Er hat geprobt, er fügt sich szenisch wie musikalisch gut ein. Er wirft sich auf den Boden, agiert mit dem Chor und lässt sich auch mal von den andern unauffällig an den richtigen Ort auf der Bühne leiten. Kein Stargehabe also, so dass das Wort des Intendanten im neuesten «Opernhaus-Magazin» nicht direkt widerlegt wird, wonach man keine «Eventraketen abbrennen» wolle.

Durchzogene Darbietung

Domingos Babylonierkönig ist, passend, ein Mann, der sich auf sein Charisma verlassen kann, obwohl sein Schritt nicht mehr von Macht und Stärke kündet. Die Stimme, auf zahllosen Aufnahmen verewigt, ist von unverkennbarer Farbe, auch wenn er mittlerweile Baritonrollen singt. In der Arie «Dio di Giuda» gestaltet Domingo noch immer betörende Bögen und Piani; allerdings patzt er in der Stretta, erst szenisch, dann beim hohen Ton. Natürlich weiss er auch genau, wo er Effekt machen und wo er sparen kann. In den Ensembles, wenn Lautstärke gefragt ist, wirkt Domingo oft kurzatmig und gehetzt. Der Gestalter bleibt dabei jedoch präsent, auch wenn die Phrasen häufig nicht ganz ausgesungen sind und die Schluchzer wie Echos einer anderen Opernzeit klingen. Es soll ganz grosse Domingo-Abende geben und auch schlechte. Der in Zürich war weder das eine noch das andere.

Beim Schlussapplaus – sobald Domingo auf die Bühne kam, natürlich stehend – umarmte Oksana Dyka, die Sängerin der Abigaille, ihn demonstrativ und küsste ihn. «Der muss ja gar nicht anbaggern, der wird angebaggert!», kommentierte die Sitznachbarin trocken. Das Publikum feierte seinen Star, der sich auch am Schluss ins Ensemble (mitsamt dem sehr guten Chor) fügte und nicht allein vor den Vorhang kam. Es ging, im Opernhaus Zürich vermutlich zum letzten Mal, um den über Jahrzehnte prägenden, noch einmal bejubelten Sänger.