Madama Butterfly ist eine der schwer erträglichen Opern des Repertoires: Ein junges Mädchen wird einem Fremden zur Lust verkauft, und durch einen Ehevertrag erhält dieser Handel einen Anstrich von Ernsthaftigkeit, an die das Mädchen selbst dann nicht aufhört zu glauben, als der Mann schon jahrelang fort ist. Erwartbar, und doch bitter ironisch, dass die Rückkehr des feigen Lebemanns einen Supergau heraufbeschwört.

Und doch setzt man sich diesem emotionalen Tsunami oft und gern aus, nicht umsonst verzeichnet die Josef Gielen-Inszenierung aus 1957 mittlerweile fast 400 Aufführungen am Haus am Ring. Es hilft wohl, dass die Ausstattung (und hier insbesondere die scherenschnittartig dargestellte Natur im ersten Akt) wesentlich jünger wirkt. Puccinis Musik, die er seinerzeit als seine „modernste“ bezeichnete, ist aber natürlich der Hauptgrund, warum Madama Butterfly immer wieder ein Erlebnis ist. Durch das Einweben japanischen Musikmaterials hat sie einerseits exotischen Reiz, andererseits doch mehr als genug Naturalismus, der Cio‑Cio‑Sans Leiden im dritten Akt so plastisch macht. Aber auch der erste Akt hat mit dem langen Duett zwischen ihr und Pinkerton ist ein Höhepunkt: Wenn man genau zuhört, setzt er die Töne, auf die sich Cio‑Cio‑Sans Gesangslinie nach oben schraubt. So zwingt er ihr auch musikalisch seinen Willen auf – genial, erschreckend, und wunderschön zugleich.

Dirigiert wurde dieses Wunderwerk am besprochenen Abend von Jonathan Darlington, und für nicht wenige Opernliebhaber war seine Leistung in Don Carlo der Hauptgrund, sich Butterfly wieder einmal zu Gemüte zu führen. Man wurde nicht enttäuscht; dieser Herr ist eine echte Bereicherung für das Haus. Natürlich steht mit dem Staatsopernorchester allabendlich ein fähiger Klangkörper zur Verfügung, aber auch dieser will geführt und motiviert werden. Diesbezüglich dürfte die Chemie stimmen, jedenfalls erlebte man keinen jener Dienst-nach-Vorschrift-Abende, die es gerade bei viel gespielten Stücken auch immer wieder gibt. Besonders gefiel Darlingtons Gabe, die melodischen Linien zu entwickeln und mühelos zwischen Poesie und jener brodelnden Spannung zu wechseln, die in genau platzierten Akzenten kulminierte. Auch wurde es nie überlaut-plakativ.

Schade nur, dass diese Qualität kaum Entsprechung in den Gesangsleistungen fand, auch wenn man mit Kristine Opolais eine namhafte Interpretin für Cio‑Cio‑San zur Verfügung hatte. Sie tut, was richtig ist, macht keinerlei offensichtliche Fehler, aber leider klingt die Stimme in der noblen Zurückhaltung des ersten Akts – wo man sich ein junges Mädchen vorstellen sollte – zu wenig eingesungen bis verbraucht (dies unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Partie nichts für Anfängerinnen ist, von Jahrhunderttalenten wie Lisa della Casa, die damit einundzwanzigjährig debütierte, abgesehen). Allerdings ist Opolais noch nie durch ein bezauberndes Timbre aufgefallen, trotzdem weiß man im zweiten und dritten Akt, was man an ihr hat: Sie hat die Kraft, sie hat die Höhe, dazu einen unbändigen Gestaltungswillen, mit dem sie sich in die Rolle wirft. Letztendlich ergibt das auch klanglich einen ganz anderen, angenehmeren und runderen Eindruck als im ersten Akt.

Ivan Magrì debütierte als ihr Pinkerton: Selbstbezogen, sorglos und schnoddrig muss er sein, und doch Cio‑Cio‑San (und das Publikum) zu der Annahme verführen, es könnte alles gut ausgehen. Letzteres gelingt ihm aber nur teilweise, wie man insgesamt den Eindruck hatte, dass das nicht seine beste Partie ist. Mühe schien sie ihm nicht zu bereiten, und auch stilistisch und technisch war man zufrieden, allerdings müsste die Stimme größer sein, um das auch wirken zu lassen.

Rollendeckend auch das, was Paolo Rumetz als Sharpless aufzubieten hatte – bei den väterlichen Partien ist er gesanglich wie darstellerisch gut aufgehoben. Die Sorge um die beiden jungen Leute und sein Unbehagen angesichts der Entwicklungen im zweiten Akt waren absolut glaubhaft.

Glaubhaft besetzt auch Herwig Pecoraro, dessen Charaktertenor ihn nicht unbedingt vielseitig einsetzbar macht. Für eigenwillige Typen wie Goro, die welt- und kaufmännisch tun und im Prinzip doch nur Zuhälter sind, ist er allerdings eine gute Wahl: Seine geschwätzige Heiterkeit kontrastiert recht ansprechend mit den unheilvollen Vorahnungen, die sich trotz der Hochzeitsvorbereitungen breitmachen. Der Rest der Besetzung blieb unauffällig, mit einer Ausnahme: Monika Bohinec lieferte als Dienerin Suzuki die ansprechendste Leistung des Abends und trug mit ihrer Darstellung wesentlich dazu bei, die Stimmungslage ihrer Herrin zu verdeutlichen. Diese Partie mag ihr stimmlich keine besondere Herausforderung sein, aber man schätzt, wenn sie so engagiert ausgefüllt wird.

In wechselnder Besetzung wird man Madama Butterfly in dieser Saison noch unter der Stabführung von Speranza Scappucci und Graeme Jenkins erleben.

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