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Klassik „Fidelio“ zum Mauerfall

„Sie können Herren Ihrer Geschichte werden“

Freier Feuilletonmitarbeiter
Oper "Fidelio" von Ludwig van Beethoven, Große Oper in zwei Aufzügen, Premiere 11. Oktober 2019 in der Semperoper Dresden. Elisabeth Teige (Leonore), Tomislav Mužek (Florestan), Christoph Pohl (Don Fernando), Sächsischer Staatsopernchor Die Verwendung von Fotos ist nur im Rahmen der aktuellen Berichterstattung über die Semperoper Dresden und mit Nennung des Fotografen kostenlos. Oper "Fidelio" von Ludwig van Beethoven, Große Oper in zwei Aufzügen, Premiere 11. Oktober 2019 in der Semperoper Dresden. Elisabeth Teige (Leonore), Tomislav Mužek (Florestan), Christoph Pohl (Don Fernando), Sächsischer Staatsopernchor Die Verwendung von Fotos ist nur im Rahmen der aktuellen Berichterstattung über die Semperoper Dresden und mit Nennung des Fotografen kostenlos.
System hinter Maschendraht: Christine Mielitz spiegelte in "Fidelio", was war in Ostdeutschland vor dreißig Jahren
Quelle: © Klaus Gigga
Vor 30 Jahren inszenierte Christine Mielitz Beethovens „Fidelio“ in Dresden als subversive Geschichte aus einem Staatsgefängnis. Jetzt wurde die Inszenierung wiederaufgeführt. Und Joachim Gauck hielt eine Rede.

„Sprecht leise! Haltet euch zurück! / Wir sind belauscht mit Ohr und Blick.“ Nein, hier ist nicht die Abteilung „Horch und Guck“ gemeint, semioffiziell Stasi genannt. Das hatte Ludwig van Beethoven bereits 184 Jahre früher seinem zweiten „Fidelio“-Gefangenen in den Mund gelegt.

Aber wo waren eigentlich die Herren in den beigen Mänteln, als die Dresdner Semperoper, nicht eben als Hort der Subversion geführt, für den 7. Oktober 1989, also für den 40. Jahrestag der Staatsgründung der DDR, ausgerechnet dieses zur Gattung „Befreiungsoper“ gehörende Werk als Premiere angesetzt hatte?

Glaubten die wirklich, man gedachte auch an diesem so besonderen Tag im schon nicht mehr friedlichen „Tal der Ahnungslosen“ nur der „Befreiung“ vom Faschismus und später Kapitalismus, wie es hier Staatsdoktrin war?

Denn selbst 30 Jahre später spürt man noch die hellsichtige Spannung von damals. Die Inszenierung steht zum 138. Mal auf dem Spielplan der Sächsischen Staatsoper, wo sie jetzt neuerlich zum einen Monat später folgenden Mauerfall als Festaufführung gegeben wird. Sie hat sich längst als legendär in die Annalen des Hauses, ja der überreichen Dresdner Musikgeschichte eingeschrieben.

Diesem „Fidelio“-Irrtum sind freilich schon diverse andere Zwangsregime und Diktatoren verfallen, die einfach dachten, der üppig klassische Beethovensche C-Dur-Jubel des „Wer ein solches Weib errungen“-Finales sei einfach so schön festlich erhebend.

Fidelio Ludwig van Beethoven Ausgewählte Veranstaltung Freitag 11. Oktober 2019
René Pape als Rocco
Quelle: Klaus Gigga

Und auch der Erste Sekretär der Bezirksleitung der SED in Dresden in Gestalt des eigentlich kunstaffinen, weitgehend gemäßigten Hans Modrow schaute zunächst erstaunt in die Originalregieanweisungen, als ihm selbstverständlich zu Ohren gekommen war, dass sich da im Sangestempel was zusammenbraute.

„Aha. Ein Gefängnis, wirklich. Ach ja. Na, dann machen Sie mal weiter“, so erzählt es Christine Mielitz, die Regisseurin, „und dann durften wir weiterproben“.

Was sie und ihr Ausstatter Peter Heilein auch taten. In einem Bühnenbild freilich, dessen Schmuckvorhang einen graue Zeichnung zeigte, einen Mann mit Taubenflügeln, der auf einen Futternapf zwischen Mauern hinabstürzte.

Draht wie in Berlin

Und dahinter offenbarte sich als Einheitsszenerie ebenfalls ein Mauerngeviert, mit einem Wachturm in der Mitte, Maschendraht-, Stacheldraht-Zäune, denen nicht unähnlich, die Berlin zerteilten. Neonröhren gleißten.

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1989 war Christine Mielitz 38 Jahre alt. Eine Frau in der Männerdomäne Opernregie, bereits an der Komischen Oper verpflichtet, damals das international ausstrahlende Avantgardehaus der DDR. Und jetzt sollte sie in Dresden eine Inszenierung ihres Lehrmeisters Harry Kupfer ersetzen.

„Wir wollten ehrlich sein“, erinnert sie sich heute. „Mutig fühlten wir uns eigentlich nicht. Ich hatte gut Karriere gemacht, keine wirklichen Kämpfe mit dem Regime. Aber ich fühlte mich der Wahrheit gegenüber Beethoven verpflichtet.“

Bücher in die Mülltonne

Und so zeigt sie – bis heute – gleich zu Beginn eine kittelschürzige Marzelline (inzwischen singt das Evelin Novak), die sich im Gefängnisgrauen als Schließertochter idyllisch eingerichtet hat. Sie schwankt zwischen zwei Männer, bügelt aber nicht die Beethovenwäsche, sondern kontrolliert die Pakete für die Gefangenen. Verbotenes wie Bücher lässt sie routiniert in den Mülleimer gleiten.

Sie merkt gar nicht mehr die alltägliche Ungeheuerlichkeit ihre Tuns, so wie ihr Vater Rocco (wunderbarer Bass-Duckmäuser: Georg Zeppenfeld), Florestan im tiefsten Keller verhungern lassen soll und sich neben seinem Topfblümchen erstmal einen Thermoskannenkaffee genehmigt. Und das alles in einem DDR-Büro!

Das schlimme Gefängnis in Bautzen statt des sagenhaften in Sevilla wollen viele hier erkannt haben. Egal. Jeder im Publikum verstand, was gemeint war, sah in dem Urteile abzeichnenden Gouverneur Don Pizarro (schnarrig: Markus Marquardt) die vielen Schreibtischtäter vor Ort.

Freilich lässt die Mielitz, die Mauern und der Turm heben sich im zweiten Akt, zeigen darunter nur eine Art tiefere Etage in Schwarz, Unterdrücker und Unterdrückte im gleichen grauen Mantel samt Koffer auftreten. Sie sind aus demselben Politbüro – wie auch der glatte (von Christoph Pohl balsamisch gesungene) Minister Don Fernando.

Am Ende kommt Don Florestan (kraftvoll und strahlend: Klaus Florian Vogt) wohl frei, aber was passiert mit den andern Gefangenen? Die Mielitz lässt sie gegen den Zaun rennen. Da stehen sie noch heute, und der Atem stockt.

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So wie 1989 alles stockte, als eben der zweite Gefangene sein „Wir sind belauscht mit Ohr und Blick“ anstimmte. Das Publikum applaudierte geschlossen, stand auf, drehte sich um zu Hans Modrow, der in der ehemaligen Königsloge saß.

Denn draußen wurden Menschen gejagt, fuhren die verschlossen Züge mit den Geflüchteten aus der Prager Botschaft durch den Dresdner Bahnhof. Die Opernpremiere war von einem gewaltigen Polizeiaufgebot begleitet.

Durch Kunst aufrütteln

„Aber die Menschen blieben gesittet“, erinnert sich Manfred Zeumer, heute 79 Jahre alt, seit 2004 pensioniert, der als Posaunist der Staatskapelle im Graben saß.

„Alle Musiker standen hinter diesem mutigen Konzept, wir wollten durch Kunst aufrütteln. Wir wussten aber, die Dresdner würden sich wieder hinsetzen, sie hatten demonstriert, doch sie würden nie die Premiere zum Abbruch bringen.“

Jetzt saß Joachim Gauck in der Mittelbox, Bundespräsident a.D., damals als Pastor in der Rostocker Bürgerbewegung aktiv. Daran erinnert er, nachdem John Fiore eine schnittig kantige (so dirigiert er auch den Restopernabend), sonst selten zu hörende zweite Leonoren-Ouvertüre musiziert hat. Sein rotes Rednerpult steht vor der Gefängniskulissen, nur den Stacheldraht hat man weggerollt.

„Der Kerker eine Gruft“, aus der man sich auch mit Hilfe der Kunst befreite, das ist sein Ausgangsgedanke: „Kunst und Wirklichkeit kommen sich selten so nahe, wie an diesem Abend vor über 30 Jahren hier in der Semperoper. Es scheint als sei diese, die einzige Oper Beethovens für diesen Moment der Geschichte geschrieben.“

Und im Folgenden appelliert er an die Menschen in diesem sehr veränderten Land: „Sie können zu den Herren Ihrer Geschichte werden. ,Wir sind das Volk!’ – für mich der schönste Satz der deutschen Politikgeschichte!“

Christine Mielitz ist nicht da, „für mich ist das heute nur noch eine abgespielte Regieleiche“. Man sieht trotzdem noch, mit der Leonore (Elena Pankratova gibt ihr dramatisch-fulminant Klangstatur) in ihrer altmodischen Uniform ist sie als Figur nicht fertig geworden.

So wie womöglich Sachsen nicht mit sich selbst – zwischen Pegida und jetzt wieder prunkendem Palast. Von Halle ganz zu schweigen. Aber Beethoven, der rührt und erhebt. Verlässlich, seit fast 250 Jahren.

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