Von „Champagner hat’s verschuldet” in Johann Strauß’ Fledermaus bis hin zur regierungssprengenden „b'soffenen G'schicht” auf einer Urlaubsinsel: Es hat in Österreich durchaus Tradition, allerlei Verfehlungen auf promillehaltige Genussmittel zurückzuführen. Dass diese Ausrede – weder in der Operette noch im wahren Leben – nicht alles ungeschehen machen kann und ziemlich verlogen ist, versteht sich von selbst, sollte man meinen.

Regisseur Maximilian von Mayenburg scheint aber dem Publikum nicht so viel Urteilskraft zuzutrauen und misstraut auch dem Werk an sich. Er begnügt sich nicht damit, dass dieses der (Wiener) High-Society ohnehin satirisch den Spiegel vorhält und gesellschaftskritische Ebenen enthält, sondern weist die Zuseher plakativ und zuweilen penetrant darauf hin. Dadurch wird die Premiere am Grazer Opernhaus zum zweischneidigen Schwert. Vor der Pause erlebt man einen irren Trip mit durchaus bissigem Humor, herrlich etwa das Zusammenspiel von Rosalinde und Alfred oder die ins Publikum ausgeweiteten Szenen. Und auch die Party des zweiten Akts beginnt hemmungslos orgiastisch in knappen Kostümen und mit subtil kritischen Tönen, wenn etwa von der gelangweilten Gesellschaft der Kick beim russischen Roulette gesucht wird. Nach der Pause gibt es dann jedoch die geballte Ladung Belehrungstheater mit erhobenem Zeigefinger. Dafür bastelt sich der Regisseur sogar seine eigene Rahmenhandlung: Eisenstein lässt Dr. Falke nicht nur im Fledermauskostüm den Heimweg durch Wien bestreiten, sondern dieser wird mangels Unterstützung seines Freundes Opfer massiver Gewalt, deren Folgen ihn nun in den Rollstuhl zwingen. Dafür rächt sich Dr. Falke mit einem sadistischen Spiel, bei dem er vorgibt, alle Gäste vergiftet zu haben und genüsslich beobachtet, wie ein Countdown die (vermeintlich) letzte Stunde der Gesellschaft einläutet. Dabei stellt er dem Publikum pseudo-existenzielle Fragen und weist mit der Brechstange darauf hin, dass UNSERE. GESELLSCHAFT. SCHLECHT. UND. VERLOGEN. IST.

Ziemlich an den Haaren herbeigezogen spiest sich dieser Handlungsstrang zwar nicht mit der pointenarmen, eigens für diese Produktion erstellten, Dialog-Textfassung, dafür aber umso mehr mit den Gesangstexten. So singt etwa Adele von einer Einladung zu Orlofskys Veranstaltung, keine fünf Minuten später lädt Dr. Falke aber zu seiner eigenen Party, bei der er Orlofsky lediglich als „Special Guest” ankündigt. Ähnlich verhält es sich in Folge beispielsweise auch mit dem Uhrenduett, Adeles Arie im dritten Akt und der gesamten Auflösung der Maskerade. Warum die massiv gekürzte Rolle des Frosch Toilettenputzkraft sein muss, während librettogetreu von einem Gefängnis gesungen wird – man weiß es nicht. In gewisser Weise ist diese Inszenierung wie übermäßiger Alkoholkonsum: zuerst lustig, dann enthemmt und letztendlich unangenehm.

Ein reiner Genuss waren hingegen die Grazer Philharmoniker unter Marcus Merkel, die schon für die Ouvertüre heftig akklamiert wurden. Zurecht, denn wie sich das Orchester in den Wogen der Musik bewegte, mit Tempi und Dynamik spielte und die Noten perlen und schimmern ließ, war bewundernswert. Vom Graben auf Parkett-Ebene geholt waren die Musiker außerdem noch unmittelbarer an ihrem Publikum dran, überzeugten nicht nur als umsichtige Sängerbegleiter, sondern ganz besonders auch in den orchestralen Passagen. Die Polka Unter Donner und Blitz gestaltete Merkel klischeebefreit, jung und frisch und mit dem nötigen Drive. Dabei trug das Orchester jedoch nie zu dick auf, sondern wahrte stets eine differenzierte Gestaltung.

Ein weiterer Pluspunkt des Abends waren die Sänger; das gesamte Ensemble punktete mit Wortdeutlichkeit, spielerischem Einsatz und komödiantischem Talent; dass dafür gesanglich im Vergleich zur großen Oper Abstriche gemacht werden müssen, sei verziehen. Allen voran sang und spielte sich die operettenerprobte Sieglinde Feldhofer in den Mittelpunkt, indem sie eine kecke, selbstbewusste Adele auf die Bühne brachte. Dass die Stimme an Fülle gewonnen hat und das Timbre dunkler geworden ist, fällt ebenso positiv auf wie die nach wie vor punktgenau gesetzten Koloraturen und Spitzentöne. Eine sichere Bank in diesem Fach ist auch Alexander Geller, der als Eisenstein darstellerisch der personifizierte Männerschnupfen war und dem man eine eigene Arie wirklich vergönnt hätte, da seine Stimme die ideale Färbung für Schmachtfetzen mitbringt. Unausgeglichener fiel die Leistung von Elissa Huber als Rosalinde aus: Den Csárdás verschenkte sie mit verschluckten Silben und Tönen, die sanfteren Bögen des ersten Akts gestaltete sie hingegen innig und ebenmäßig. Ähnlich erging es Anna Brulls Orlofsky, die Arie des Prinzen ist einfach ein verdammt schwer zu singender „Fiesling”, der gnadenlos Registerbrüche offenbart. Sobald es in höhere Lagen ging, blühte die Stimme hingegen auf. Den ziemlich durchgeknallten Dr. Falke brachte Ivan Oreščanin überzeugend auf die Bühne, hatte dabei allerdings mehr zu sprechen als zu singen. Tenorale Strahlkraft und unterhaltsame Künstler-Karikatur bot Albert Memeti in der Rolle des Alfred; der Rest des Ensembles sowie der Chor fügte sich stimmig in das Gesamtbild und machte das Beste aus den szenischen Vorgaben. Völlig untergegangen ist der Gerichtsdiener Frosch, der von Adi Hirschal zwar bemüht, aber weder lustig noch bissig-böse umgesetzt wurde.

Nichts ist schwerer als die leichte Muse, heißt es. Die Inszenierung von Maximilian von Mayenburg bestätigt diese These; die musikalische Umsetzung der Grazer Philharmoniker unter Marcus Merkel widerlegt sie.

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