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Wahrnehmen oder wegsehen – Mozarts „La clemenza di Tito“ im Theater an der Wien. Foto: © Werner Kmetitsch
Wahrnehmen oder wegsehen – Mozarts „La clemenza di Tito“ im Theater an der Wien. Foto: © Werner Kmetitsch
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Wahrnehmen oder wegsehen – Mozarts „La clemenza di Tito“ im Theater an der Wien

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Von „La clemenza di Tito“, uraufgeführt 1791 anlässlich der Krönung des römisch-deutschen Kaisers Leopold II. zum König von Böhmen, war lange Zeit nur noch die C-Dur-Ouverture im Musikleben lebendig. Jedes tüchtige Amateur- oder Schulorchester kann sie bewältigen. Am dramma per musica selbst, das bereits zum Zeitpunkt der Entstehung als anachronistisch galt, verlor die Nachwelt das Interesse. Erst im Zuge der enzyklopädischen Erschließung sämtlicher Arbeiten Wolfgang A. Mozarts erwachte wieder stärkere Aufmerksamkeit für seine letzte Oper. Sie wurde parallel zur „Zauberflöte“ rasch niedergeschrieben. Frieder Reininghaus berichtet.

Da ist viel Liebe im Spiel

Vor Mozart hatten schon mehrere Dutzend Komponisten Pietro Metastasios Libretto von 1734 komponiert, darunter erstmals der Wiener Hofkomponist Caldara, dann u.a. Großmeister Hasse in Dresden und Gluck für Neapel. Obwohl Impresario Guardasoni die von Mozart eigenhändig dirigierte Premiere in Prag glänzend ausgestattet und eine hochkarätige Besetzung aufgeboten hatte, war dieser Kotau vor dem neuen Monarchenpaar ein Schuss in den Ofen: The Royals – not amused. Der Flop lag als langer Schatten auf dem Werk, aber auch einige weitere Faktoren sorgten für dessen eingeschränkten Wirkungsradius.

Auch bei der neuerlichen Reaktivierung im Theater an der Wien ist die Sängerbesetzung vom Feinsten. Mit David Hansen als zum Verrat verführtem Liebhaber Sesto und Kangmin Jusin Kim als dessen Schwager Annio gelangen aus dem inzwischen reichlichen Angebot zwei der leistungsfähigsten Countertenöre zum Fronteinsatz. Ihre Kunststimmen wirken weithin angenehm unangestrengt. Die schweren Koloraturen gelingen in wünschenswerter Weise locker und präzise. Sesto Hansen, dem Anführer der Verschwörung wider Willen, geht alles Diabolische ab. Man traut diesem netten Kerl den Party-Löwen, aber kein Attentat zu, das ihn an die Spitze des römischen Weltreichs katapultieren soll. Heftig fällt dann nach dem Scheitern des Putsches der Exzess seiner Zerknirschung aus und die Kläglichkeit in der Konfrontation mit dem potentiellen Opfer. Er und der nicht minder virtuose Annio Kim scheinen mit ihrem vokalen Überschwang mildernde Umstände für die politische Naivität der von ihnen verkörperten Rollen einzufordern.

Quelle des politischen Übels, das einem grundguten Kaiser einiges Ungemach bereitet, ist die Tochter von dessen Vorvorgänger. Sie erhebt Ansprüche auf den Thron und instrumentalisiert zu deren Durchsetzung den in sie heillos verliebten Sesto. Nicole Chevalier tritt mit fulminantem vokalem Engagement für die nicht besonders hehren Interessen der Vitellia ein. Die Sopranistin unterstreicht mit redundanten stechenden Gesten eine Überdosis zur Schau gestellter Willensstärke, schwankt allzu sichtbar bei den wechselnden Machtkonstellationen, wo doch allemal schon zu hören ist, was die Stunde geschlagen hat.

Mit feinen Nuancen unterstreicht Jeremy Ovenden, was Titus Flavius Vespasianus von der ihn umgebenden Speichelleckerei und Heuchelei hält. Er macht auch deutlich, dass es zumindest nicht allein die von vielen Untertanen für allzu großzügig erachtete Güte, Milde und Nachsicht ist, die ihn von Strafe und Rache absehen lässt, sondern eine Form souveräner und womöglich höchst effektiver Herrschaftsausübung. So zeichnet sich ohne nennenswerte dramatische Spannung rechtzeitig ab, dass der Kaiser am Ende nicht nur seinen vom Senat verurteilten Liebling Sesto amnestiert, sondern auch Vitellia nicht den wilden Tieren im Circus ausliefern, sondern ebenfalls verzeihen wird. Der Tenor Ovenden profiliert sich mit Noblesse und Grandezza in der Partie des aufgeklärten Monarchen, der sein Publikum daran erinnert, „dass das Schicksal der Herrschenden“ nicht unbedingt „ein glückliches“ ist. Für all die Wendungen und Windungen des Stücks stellt der Concentus Musicus unter den Handzeichen von Stefan Gottfried die facettenreiche Instrumentalklangrede aus der Tiefe des Orchestergrabens bereit. Mit imperialen Trompeten-Signalen und satten Bassetthorn-Soli.

Klare Botschaften

Oben, über den rechtschaffen ihr historisch informiertes Geschäft treibenden Musikern, zeigt sich vor wechselnden Portraits im Riesenformat eine lichte Laube: Glattes Leuchtgestänge postmoderner Freiluftarchitektur ragt aus dem Dunkel hervor. In einem historischen und geographischen Niemandsland stellt das singende Personal paarweise oder in Solo-Auftritten seine Designer-Klamotten aus. Und gelegentlich ersetzt eine einsame Tänzerin das Ballett. Sosehr sich der musikalische Part der Produktion um Authentizität des Tons und Beglaubigung der gesungen Verse müht, so konsequent verweigert der nachwuchspreisgekrönte Regisseur Sam Brown eine Auseinandersetzung mit der auch von Elementen eines „Fürstenspiegels“ geprägten Huldigungsoper des 18. Jahrhunderts.

„La clemenza di Tito“ verkündet lehrstückhaft Botschaften: Verrat lohnt nicht! Seid loyal gegenüber dem wie auch immer an die Staatsspitze gelangten Machthaber! Der Kaiser ist doch ein verständnisvoller, gerechter, guter Mann. Verrat und Verräter sind jämmerlich. Nur nicht an die gottgewollte Ordnung rühren … Diese Bekundungen stammen aus Zeiten, in denen Regierungswechsel in aller Regel nur durch den Tod der Regierenden erfolgten, also ggf. auch durch Tyrannenmord, Aufstand, Bürgerkrieg, Revolution. Das von Caterino Mazzola im Jahr 1791 arrangierte 57 Jahre alte Libretto kann durchaus als Kommentar zu dem gelesen werden, was sich seit 1789 im benachbarten Frankreich abspielte und geeignet war, bei den Böhmen einen gewissen Widerhall zu finden.

Selbst wenn ein Regisseur Historie generell für alten Plunder erachtet, die es zugunsten einer wie aus dem Sacher-Katalog gepellten Gegenwart, schönen Körpern und Stimmen wegzuputzen gilt, hätte er registrieren können, dass und wie diese Opera seria sich müht, den Titelhelden reinzuwaschen und als Zukunftsmodell anzupreisen: Titus, den Schlächter von Jerusalem im Judäischen Krieg 68-70 n. Chr. Dergleichen wurde ins Werk gesetzt vor dem Hintergrund der Politik des Hauses Habsburg, das just zum Zeitpunkt der „Tito“-Premiere zusammen mit Preußen den ersten Interventionskrieg gegen das republikanische Frankreich anzettelte – eine „Strafexpedition“ wie einst die des Trajan und seines Sohnes Titus gegen das aufständische Palästina. Beides mal konzipiert durchaus auch als Prävention gegen das Überspringen der revolutionären Funken. Nicht zufällig beschwor die alte österreichische Hymne gleich in der zweiten Zeile den prinzipiell „guten Kaiser“, als dessen illustres Beispiel in der Antike die amtliche Geschichtsschreibung und die öffiziöse Literatur Titus pries. Von besonderem Reiz für Theater, das mehr sein will als Dekoration und sinnentleerte Animation vertraut klingender Musik, ist übrigens die Figur von Titos Lebensgefährtin Berenice, der vormaligen Königin der Juden. Die putzen in Mozarts Oper Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus weg. Das kann ein Regisseur wahrnehmen. Oder wegsehen. Grüß Gott, Mr. Brown, in Österreich!

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