Sex und Macht – ein ewiges Thema, gelten doch Führungspersönlichkeiten nicht gerade als die Bravsten. Das ist aber nicht das Hauptthema der Geschichte vom Korsaren Simon Boccanegra, der es zum Dogen von Genua gebracht hat. Vielmehr ist man bereits bei den Konsequenzen einer verbotenen Liebe angelangt, und die haben es in sich: Mit des mächtigen Feindes Tochter (einer der attraktivsten Typen im Topos Oper) wurde ein Kind gezeugt und in Pflege gegeben, seit über zwanzig Jahren ist es nun verschwunden.

Auch in Unkenntnis der Handlung ließe sich erraten, dass dieses Werk eine thematische Nähe zu König Ödipus aufweist, denn das verschwundene Mädchen wird auftauchen und dem Vater zumindest indirekt den Tod bringen. Dass das Wiedersehen der beiden freudig ist, ändert nichts, denn in dieser Familienaufstellung sind unheilvolle amouröse Verwicklungen auch für die nächste Generation geradezu vorprogrammiert. Das und einiges mehr macht Simon Boccanegra zu einer Art „Best of“ Opernversatzstücke (die fehlende Mutter, ein Fluch, ein Verräter, ein zu spät gelüftetes Geheimnis…), was Peter Stein im Programmheft zu seiner Inszenierung an der Wiener Staatsoper aus 2002 wie folgt auf den Punkt gebracht hat: „… ein Werk, in dem sich Politisches und Privates in einer typisch opernhaften, aber doch auch sehr humanen Weise durchdringen“.

Dieser Themenkomplex ist einer der Gründe, die Simon Boccanegra attraktiv machen, der andere ist der reife Verdi von 1881, der die erfolglose Fassung von 1857 mit textlicher Hilfe von Arrigo Boito durchgeputzt und verbessert hat. Da gibt es keinen Speck und keine Längen, auch wenn das Bühnenbild der erwähnten Inszenierung mitunter so finster ist, wie Verdi sein Werk beschrieben hat. Aber immerhin gruppiert Stein die Ausführenden zu wirkungsvollen Tableaus, die mit dem Hell-Dunkel-Effekt alter Meister spielen, und in denen die farbenfrohen Kostüme und der Giftkelch Glanzpunkte setzen. In Summe spiegelt diese Inszenierung (die es mittlerweile auf respektable 88 Aufführungen gebracht hat) daher das Werk, das eher von großen Szenen denn von großen Arien lebt, und wo sich musikalische Schlichtheit und üppiger Klang abwechseln.

Am besprochenen Abend gab es auch viele sinnvolle wie gefällige Interaktionen zwischen den Akteuren, was für einen Repertoireabend keine Selbstverständlichkeit ist. Hier sei der Abendspielleitung (Karin Voykowitsch) gedankt. Es schmälert deren Leistung nicht, dass Ferruccio Furlanetto, der Fiesco schon bei der Premiere und viele weitere Male verkörpert hat, die originalen Personenregie-Anweisungen vermutlich noch intus hat. Jedenfalls waren mit seinem großen Auftritt im Prolog die etwas holprigen Aufwärmübungen der Kollegen rundum beendet. Die stimmliche Autorität und Stilsicherheit, mit welcher er „Il lacerato spirito” gestaltete, schien den allgemeinen Ehrgeiz zu wecken. Dass Furlanetto gegen Schluss ein paar Ermüdungserscheinungen zeigte – geschenkt. So muss man Fiesco erst einmal singen, und mit seinem Charisma und seiner Beweglichkeit können weitaus jüngere Kollegen nicht mithalten.

Damit ist allerdings nicht Clemens Unterreiner gemeint, denn Beweglichkeit und mangelnde Ambition kann man ihm nicht vorwerfen. Als Williger und Fähiger ist er immer gefragt und daher im Dauereinsatz. Natürlich ist nicht jede seiner Aufgaben im Ensemble eine große, aber zu Beginn des Abends hatte man doch ein wenig den Eindruck, dass sich die Belastungen summieren, und er die Partie des Paolo noch überzeugender singen könnte. Man darf bei ihm aber zuversichtlich sein, dass sich das mit etwas Spielpraxis noch verbessern wird. Wenn man viele Partien auf Abruf parat haben muss, kann nicht jede auf Anhieb ein großer Wurf sein. Allerdings hatten Paolos Selbst-Verfluchung vor der Ratsversammlung und die Szene am Weg zur Hinrichtung bereits Star-Qualität.

Auch Simone Piazzola hat die darstellerische Qualität eines primo uomo, doch tritt er bei seinem Rollendebüt als Simon Boccanegra an der Wiener Staatsoper in sehr große Fußstapfen. Auch sind ein paar technische Hürden zu nehmen, ist der Prolog doch eine Art Don Carlo für Baritone, mit unangenehmen und doch unspektakulären Volten in den wenigen Gesangslinien. Das geriet nicht mehr als solide, wie Piazzola generell nicht in stimmlicher Hochform schien. Die privaten Momente (und hier insbesondere die Wiedersehensszene mit Amelia und das Sterben am Schluss,) waren zwar berührend, der Macht-Aspekt der Partie hätte aber einiges mehr an Stringenz und vokaler Kraft vertragen.

Positiv hervorzuheben ist die allgemeine Stimmung an diesem Abend, denn die Duette und Terzette hatten ebenso die Chorleistungen etwas von dem Glanz, der den solistischen Beiträgen mitunter fehlte. Da störte es kaum, dass Fabio Sartori (Gabriele Adorno) und Marina Rebeka (Amelia) optisch ein recht unwahrscheinliches Paar abgaben – die Verliebtheit kaufte man beiden ab. Gesanglich gab sich Sartori tadellos und entwickelte neben seiner Partnerin ungewohnte darstellerische Fähigkeiten, obwohl Marina Rebeka nicht ihren sichersten Tag hatte. Ihr Timbre ist zwar immer noch rollenkonform lieblich, in den Ausritten in der Höhe gab es aber ein paar Zacken.

Paolo Carignani dirigierte ambitioniert und differenziert, auch wenn es in spannenden Momenten manchmal zu laut wurde. Unangenehmer fiel auf, dass er Pausen für Zwischenapplaus ließ, zu dem es keinen rechten Anlass gab – da wäre flottes Weiterdirigieren die bessere Wahl gewesen. Das Blech, sonst oft gescholten, glänzte mit lupenreinen Einsätzen.

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