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„Don Carlos“ an der Staatsoper Stuttgart. Foto: Matthias Baus
„Don Carlos“ an der Staatsoper Stuttgart. Foto: Matthias Baus
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Ein musikalischer Glücksfall – Verdis „Don Carlos“ an der Staatsoper Stuttgart

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Gleich sieben verschiedene Fassungen gibt es von Giuseppe Verdis Oper „Don Carlos“. Vieraktig oder fünfaktig, französisch oder italienisch (dann „Don Carlo“), mit Ballettmusik oder ohne. Die Stuttgarter Staatsoper fügt jetzt eine achte hinzu, wenn sie den fast fünfstündigen, mit zwei Pausen gespielten Musiktheaterabend mit einer Szene beginnen lässt, die bereits vor der Uraufführung am 11. März 1867 in Paris gestrichen wurde.

Ähnlich wie bei Mussorgskys „Boris Godunow“ kommt in Stuttgart bei diesem „Don Carlos“ gleich zu Beginn der Chor als geknechtetes Volk auf die Bühne und wird von Elisabeth von Valois angehört und beschenkt. Auch in der allerletzten Szene, wenn die Inquisition neue Opfer fordert, ist die unterdrückte Gesellschaft Zeuge dieses Gewaltregimes – der Bogen schließt sich. Die zweite musikalische Neuerung, die Einfügung von Gerhard E. Winklers in Anlehnung an die russische Punkband Pussy Riot entstandene „Pussy-(r)-Polka“ (mit Trillerpfeifen und Eisenketten) statt des Ballettmusikfinales im dritten Akt, hängt dagegen in der Luft. Kinder zünden währenddessen eine Puppe an und nehmen so die große Autodafé-Szene im Anschluss vorweg. Aber echte Beklemmung entsteht nicht. Wie überhaupt der gesellschaftskritische Regieansatz von Lotte de Beer ein wenig in Schönheit stirbt.

Ein Regime der Angst möchte die niederländische Regisseurin und Kostümbildnerin mit diesem „Don Carlos“ zeigen, einen Gottesstaat in naher Zukunft. Dafür hat sie die Farben auf der Bühne auf Schwarz und Weiß reduziert. Nur das Volk trägt bunte Lumpen. Dafür hat Bühnenbildner Christof Hetzer eine schwarze, keilförmige Wand gebaut, die immer wieder auf der Drehbühne in den Vordergrund gleitet, ehe sie im Dunkeln verschwindet. Die Vorhersehbarkeit ermüdet. Die Abstraktheit des Bühnenbildes verhindert die atmosphärische Verdichtung. Auch die ganz in Weiß gekleidete Hof-Gesellschaft erinnert eher an ein Dinner in White als eine totalitäre Gesellschaft. Daran kann auch die mit langen Stangen bestückte Eingreiftruppe im engen Lederdress nichts ändern. Stark ist de Beers mit einigen Buhs bedachte Inszenierung in den direkten Begegnungen der Protagonisten, wenn sie jenseits der Schwarz-Weiß-Ästhetik Schattierungen entdeckt und Raum lässt für Intensität.

Musikalisch ist der Abend ein Glücksfall. Das liegt in erster Linie an der plastischen Deutung des Stuttgarter Staatsorchesters unter der Leitung seines Generalmusikdirektors. Cornelius Meister hält die Balance zwischen dichtem Kammerspiel und Grand Opéra. Er kann den weichen, geschmeidigen Klang von Orchester und Chor (Leitung: Manfred Pujol) in den Massenszenen fokussieren und härten, ohne dabei klangliche Qualitätseinbußen in Kauf zu nehmen. Vor allem lässt er den lyrischen Momenten, die die Holzbläser veredeln, Luft zum Atmen. Die Triller in den Streichern beim letzten Aufeinandertreffen von Elisabeth und Philipp II. im vierten Akt werden zu Alarmsirenen. Der weiche Posaunenchor macht den Großinquisitor noch unheimlicher. Falk Struckmann singt ihn mit schönem Legato und schwarzen Farben, wenn er nicht gerade jemandem einen Kuss auf den Mund drückt. Auch Philipp II. gehört zu seinen Opfern. Goran Juric trägt es mit Fassung. Und kann mit seinem profunden Bass diesem König, der die Geliebte seines Sohnes Don Carlos zur Frau genommen hat, große Ausstrahlung verleihen. Aus dem Marquis von Posa macht Björn Bürger mit seinem kantablen Bariton eine echte Sympathiefigur, die sowohl Einfühlsamkeit als auch Durchsetzungsvermögen besitzt. Ksenia Dudnikova ist eine starke Prinzessin Eboli mit satter Tiefe und großer Präsenz. Auch eine kleine Rolle wie der Page Thibault ist mit der Freiburgerin Carina Schmieger, Mitglied im Stuttgarter Opernstudio, gut besetzt. Massimo Giordano gestaltet die Titelpartie mit seinem zwar strahlkräfigen, aber wenig flexiblen Tenor zu eindimensional und bleibt auch darstellerisch schwach. Die Krone im Solistenensemble gebührt Olga Busuioc als disziplinierte, unglückliche Elisabeth mit einem reichen Innenleben. Ihre Kräfte teilt sich die moldawische Sopranistin gut ein, so dass sie noch im Schlussduett mit Don Carlos große dramatische Höhepunkte setzen kann. Und eine Lichtgestalt in dieser schicken, degenerierten Gesellschaft bleibt.

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