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Entblößte Seelen auf leerer BühneVon Christoph Wurzel / Fotos: © Matthias BausEs ist ein sehr langer Opernabend, der einen mit Verdis Don Carlos in Stuttgart erwartet. Denn er enthält eine Reihe von Ergänzungen, die man sonst nie oder nur selten zu sehen und zu hören bekommt wie die Ballettmusik zu Beginn des 3. Akts, aber auch den sogar noch erweiterten 1. Akt, der in Fontainebleau spielt, der Heimat der Elisabeth von Valois, wo ihre erste Begegnung mit den spanischen Infanten Don Carlos stattfindet und beide sogleich in heftiger Liebe entbrennen. Weil diese Fassung gewählt wurde, umspannt die Handlung also klugerweise die vollständige Geschichte der unglücklichen jungen Leute, die auf ihre kaum erblühte Liebe verzichten müssen, weil dynastische Interessen den Vorrang haben. Durch Elisabeths quasi erzwungenes Ja zur Heirat mit Philipp, dem spanischen König und Carlos' Vater, wird nämlich ein Friedensschluss zwischen beiden Ländern erkauft. Eine unfreie Entscheidung also löst die verhängnisvolle Lawine des vergeblichen Kampfes für Freiheit und Selbstverwirklichung in diesem Drama aus. Als konsequent entwickeltes Psychodrama hat Lotte de Beer Verdis Don Carlos inszeniert. Nichtsdestoweniger bleibt die Oper auch ein politischen Drama. Eng geführt wird hier Privates mit Politischem. Unter den in diesem Spanien herrschenden Verhältnissen ist privates Glück nun wirklich nicht möglich. De Beer zeigt in ihrer ebenso spannenden wie kompromisslosen Inszenierung ein irgendwann in der Jetztzeit angesiedeltes System, das nahezu alle entmenschlicht. Dabei zeigt die Repression hier keine Fratze, sondern trägt feines Tuch. Als großes gesellschaftliches Ereignis ist das Finale des 3. Akts inszeniert, das hier eher beiläufig in das Autodafé, die öffentliche Ketzerverbrennung, mündet. Elegant marschieren die Stützen der Gesellschaft auf. Man prostet sich zu, Bürger in edlen Roben, in schmucken Uniformen das Militär, der Klerus grundsätzlich in Weiß, aber einer von ihnen trägt Rosa. So tolerant ist man schon gegenüber dem Schwulen im Priestergewand. Das Volk aber ist in sicherem Abstand in Nischen der oberen Etagen verbannt. Und wenn nötig, zeigt das Regime auch in nackter Gewalt seine archaischen Machtinstrumente, indem die Schergen des Staates jeden Widerstand mit ihren Speeren brechen. Auf Abstand gehalten: das Volk (Christopher Sokolowski als Graf Lerma und der Stuttgarter Chor) An der Spitze dieser genau abgestuften Hierarchie struktureller Gewaltverhältnisse steht der Großinquisitor, der vor allem darüber wacht, dass die Grundfesten der Ordnung unangetastet bleiben. Da hat sich selbst König Philipp zu fügen, der nach einer Strafpredigt des obersten Klerikers ausgestreckt auf dem Rücken liegend wie ein Gekreuzigter zurückbleibt. Er darf die Drecksarbeit machen, für Ruhe im Land sorgen und Widerständler hinrichten lassen, deswegen wäscht er vorher seine Hände demonstrativ in Unschuld. Es sind immer wieder solch kleine Symbole, mit denen die Regisseurin die Handlung subtil interpretiert. Die von Christof Hetzer äußerst minimalistisch gebaute Drehbühne erlaubt ihr Konzentration. Vor schwarzem Hintergrund und meist im halbdunkel abgeschatteten Raum erhellt die Regie gerade darum die Psychologie der Figuren genau. Den übermächtigen Großinquisitor gibt Falk Struckmann mit ebenso elegant wie entschieden geführtem Bass als smarten, aber zynischen Kirchenfürsten, der dem Sünder auch vor der Hinrichtung noch gnädig einen Friedenskuss (wohl auch in eindeutig erotischer Absicht) gewährt. Und dass König Philipp wirklich die mangelnde Liebe Elisabeths betrauert ("Sie hat mich nie geliebt"), konterkariert Goran Jurić in dieser Rolle durch reich eingesetzte vokale Farben mit einer erheblichen Portion Larmoyanz, zumal er sich dabei im eigenen Ehebett in den Armen der Hofdame seiner Frau, Prinzessin Eboli, ausweint. Was im Libretto nur berichtet wird, hat die Regisseurin in ihrer Inszenierung zur Untermauerung seiner Doppelmoral hier ganz handfest in Szene gesetzt. "Vor dem Altar muss sich der Thron beugen": Großinquisitor (Falk Struckmann) und Philipp II. (Goran Jurić) Als zunehmend zerbrechende Seele zeigt die Regie den Infanten Carlos, der das Trauma des Verlusts seiner Geliebten nicht verarbeiten kann. Ohnehin kein besonders starker Charakter, der schon vor der ersten Begegnung mit Elisabeth in Fontainebleau weiche Knie bekommt, wird er mehr und mehr zerrieben zwischen dem Drängen seines Freundes Rodrigo, den Aufstand in Flandern gegen Philipp zu führen und seiner Fixierung auf die Liebe zu Elisabeth. Keinen Helden also hat Massimo Giordano in dieser Produktion zu verkörpern. Seinen Tenor aber führt er nach etwas nervöser Eingangsromanze in sichere Höhen und gewinnt darstellerisch zunehmend Profil. Vor allem zur Ballettmusik und in einigen zwischengeschalteten pantomimischen Szenen weist die Regie ihm rückblendende Traumsequenzen zu, die ihn schon mit verletzter Kinderseele und abgerichtet auf das Funktionieren als künftiger Herrscher zeigen. Vielleicht aber hat es die Regie hier mit der Finger zeigenden Psychologisierung doch ein wenig zu gut gemeint. Rodrigo Marquis von Posa dagegen ist der charakterfeste politische Idealist, der dennoch scheitert, weil er unaufhörlich seinen Freund Carlos aus dessen Unentschiedenheit reißen will. Mutig hält er dem König mangelnde Freiheit und die politische Friedhofsruhe im Staat vor. Zugleich verstrickt er sich heillos in die Intrige der Eboli gegen Carlos und Elisabeth. Mit Börn Burger ist diese Rolle in Stuttgart stimmlich wie darstellerisch erstklassig besetzt. Ksenia Dudnikova behauptet sich als Prinzessin Eboli in diesem insgesamt glänzenden Solistenensemble ebenfalls als herausragende Sängerin, die im Schleierlied in den reichen Verzierungen und Koloraturen den erotischen Unterton nicht verheimlicht. In der nächtlichen Dreierszene mit Carlos und Rodrigo treibt sie sogar unter Anleitung eines Kampfchoreografen ihr unbändiges Spieltemperament auf die Spitze. Einer der Momente, aus dem diese Inszenierung ihre ungeheure Spannung bezieht. Freunde auf Gedeih und Verderb: Marquis von Posa (Björn Bürger) und Don Carlos (Massimo Giordano) Unverbogen, aber gleichwohl nicht in geringerem Maße an ihrer Situation leidend, ist Elisabeth von Valois charakterisiert. Olga Busuioc gestaltet das überragend mit ihrem schlank geführten, strahlend klaren und exquisit timbriertem Sopran. Schon im 1. Akt in der erweiterten ersten Szene zeigt sich ihre empathische Haltung gegenüber den verheerenden sozialen Verhältnissen ihres Landes. Diese Szene wurde so nur in der Generalprobe 1867 gespielt, dann aber aus banalen Zeitgründen wieder abgesetzt. Selten wird sie in heutigen Inszenierungen übernommen. Sie verdeutlicht aber die Figur in ihrer unbeugsamen Entschlossenheit und moralischen Gradlinigkeit. Unbedingt ein Gewinn für diese Inszenierung, in der Elisabeth keineswegs als ohnmächtige Dulderin gezeigt wird, sondern als starke Persönlichkeit, wenn auch nicht stark genug, um gesellschaftliche Schranken zu durchbrechen. Entschieden stellt sie sich gegen die Entwürdigung einer Hofdame, die wegen einer geringen Verfehlung von Philipp gemaßregelt wird. Ebenso energisch aber verweist sie ihre Rivalin Eboli vom Hof, als sie deren schweren Treueverrat entdeckt. Gegenüber Carlos verhehlt sie ihre andauernde Liebe nicht, gewinnt aber Größe im echt Schillerschen Sinn durch die Einsicht in die Notwendigkeit des Verzichts. So finden die beiden Charaktere der eigentlich Liebenden bis zum Schluss nicht zusammen - sie schon fast in tröstliche Reminiszenzen entrückt, er zu Tode verzweifelt. Elisabeth - Hoffnung des Volkes: in der zumeist gestrichenen 1. Szene des 1. Akts: Olga Busuioc, Chor und Statisten Verstärkt wird die starke Wirkung der Szene durch das ungemein dramatisch spielende Orchester. Mit enormem Gespür für die jeweilige Farbe der Szene entlockt Cornelius Meister aus dem Orchester alle Feinheiten und Klangvaleurs, großartig auch das spanische Kolorit. Besonders die düsteren Stimmungen gewinnen atmosphärische Dichte. Wunderbar werden vor allem auch die instrumentalen Solostellen gestaltet und durch die Hinzunahme eines Teils der Ballettmusik bekommt man auch ein langes Violinsolo aus Verdis Feder zu hören. Ob die von Gerhard Winkler mit Eisenketten und Trillerpfeifen überschriebene Polka der Ballettmusik, die er der aufsässigen russischen Frauen-Punkband Pussy Riot gewidmet hat, ebenfalls notwendig gewesen wäre, darüber lässt sich streiten. Vielleicht war ein Teil der wenigen Buhs im Schlussbeifall Ausdruck von Verärgerung darüber im Publikum. Von einigen Unebenheiten abgesehen, die bei der Premiere eines so großen Opernprojekts an jeden Haus passieren können, war auch die musikalische Seite der Aufführung das große Plus dieser Produktion. FAZIT
Der
vollständigste Don Carlos,
den es vielleicht je gab, in einer gewohnte Sichtweisen aufbrechenden
Inszenierung und einer mitreißenden musikalischen Umsetzung trägt
mühelos einen fast fünfständigen Opernabend. Und der zusätzliche
Glücksfall: großartige Gesangssolisten auch bis in die
kleineren Rollen hinein. |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
SolistenPhilipp II
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- Fine -