„Jim Knopf“ wurde in der Komischen Oper uraufgeführt. Musikalisch hinterlässt das Stück keinen bleibenden Eindruck.

Hat sich die große Idee, jährlich neue Kinderopern auf der Hauptbühne eines großen Opernhauses zu präsentieren, nach 15 Jahren an der Komischen Oper künstlerisch erschöpft? Man mag es nicht hoffen. Auch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, eine Opern-Uraufführung der usbekisch-australischen Komponistin Elena Kats-Chernin, wird zweifellos ihre nachhaltigen Erfolge bei Berliner Schülern feiern.

Kinderoper Jim Knopf: Gute Gesangsleistungen

Der Erfolg bei der Premiere ist gewohnheitsgemäß ein achtbarer. Das Ensemble verkörpert unter dem bereits Kinderopern-erfahrenen Leitungsteam aus Christian von Götz (Regie) und Ivo Hentschel (Dirigat) den weltberühmten Stoff des Schriftstellers Michael Ende mit hoher Professionalität und guten Gesangsleistungen.

Namentlich Georgina Melville in der, wie man leider immer noch so unschön sagt, „Hosenrolle“ des Jim Knopf gibt einen quirligen, kindlichen und wissbegierigen Lokomotivführer-Lehrling, und Carsten Sabrowski liefert in der nicht gerade kleinen Partie des Lukas eine höchst souveräne Vorstellung.

Ohne die wirklich untadelige Leistung der Mitwirkenden in Frage stellen zu wollen: Souverän kann man als Sängerdarsteller leicht sein, wenn man es durch und durch mit Erwartbarem zu tun hat. Handwerklich kostet diese Produktion einige Mühe – ästhetisch läuft sie auf Autopilot. Das haben weder die kindlichen noch die erwachsenen Opernbesucher verdient.

Komische-Oper-Urgestein Christiane Oertel spielt Frau Mahlzahn

Den zahlreich anwesenden Kindern mag es zweifellos gefallen, dass die Geschichte genauso, aber auch wirklich genauso auf die Bühne kommt, wie sie sie sich aus dem Roman vorstellen dürfen: Herr Tur Tur wird mit bestens eingesetzter Kinotechnik zum Scheinriesen, Frau Mahlzahn in der Drachenstadt (Komische-Oper-Urgestein Christiane Oertel holt ihr bestes rollendes Rrr heraus) ist ein ziemlich ungemütliches Lehrerinnen-Ungeheuer. Und Lummerland ist, natürlich, viel zu klein.

Fast eins zu eins also – und das heißt, pointiert gesprochen: Da Musik im Buch natürlich keine Rolle spielt, spielt sie in der Oper keine wesentlich größere. Wenn auch das Orchester ausgiebig eingesetzt wird, so ist doch auffällig, dass die Komponistin sich der Herausforderung „Abenteueroper“ nicht stellt. Das hieße nämlich, dass man Musik und Gesang emblematisch gerade in Schlüsselszenen einsetzt. Und das sind in der Abenteueroper eben Actionszenen.

Komponistin Kats-Chernin lässt nur für einige Momente aufhorchen

Einmal gelingt das tatsächlich leidlich, nämlich bei Jims und Lukas‘ bretternder Lokomotiv-Fahrt durch das Tal der Stille, das bald von tödlichen Echos durchdrungen wird. Auch zu Beginn lässt Komponistin Kats-Chernin einige Male aufhorchen: Sie hat musikalische Momente eingeflochten, die stilistisch auf ein Mehr an Musikdramatik hindeuten.

Liegt man falsch, wenn man in Bariton Dominik Körningers dramatisch-vollmundigem Gesang als Lummerland-König Alfons des Viertelvorzwölften – „Sorgen!“ – Hagens „Wehe!“ aus der „Götterdämmerung“ aufblitzen hört? Und dass die musikalische Schilderung des Meeres, welches die Mini-Insel umgibt, an Debussy erinnert? All das kann so sein oder auch nicht, es wäre sowieso kein Qualitätsmerkmal für ein neu komponiertes Musiktheaterstück. Aber für eine Kinderoper auf großer traditioneller Bühne würde es immerhin eine musikdramatische Ambition markieren. Kats-Chernin geht allerdings sehr schnell die Puste aus.

Dass die Komponistin sich der musikalischen Motive der großen traditionellen Oper danach nicht mehr so vollmundig bedient – das ist schon in Ordnung. In Herrn Tur Turs Wüste werden die Freunde gemeinsam mit dem gesamten Publikum nach der Pause von zwei Geiern erwartet (ganz lustig: Christoph Späth und Alexander Fedorov, die auch etliche andere Rollen wie Herrn Ärmel oder den Kaiser von Mandala mit Verve spielen und singen) – Geier, die eine unterhaltsame, slapstickhafte Show abliefern.

Das Problem ist nicht der Broadway-Stil oder andere gewählte musikalische Genres für diese oder jene Situation auf der Bühne: Das Problem ist, dass kein einziges musikalisches Thema, nicht eine Melodie hängen bleibt. Die Musik ist irgendwie Gesang, mal Hochkultur, mal fluffig, aber uninspiriert, vorherseh- und vergessbar – und sie wird in ihrer Farblosigkeit im bunten Theatererlebnis als Ganzem versteckt.

Aufführung in der Komischen Oper gleicht einem Kinobesuch

Das mag für Kinder, für welche ein Musiktheater zunächst mal auch nur ein Theater ist, okay sein. Man soll offenbar in die Komische Oper wie in ein Kino gehen und ruhig bereits Gesehenes in neuer Form erwarten dürfen: Das Haus dockt mit „Jim Knopf“ ausdrücklich an den früheren Erfolg mit der gleichen Komponistin („Schneewittchen und die 77 Zwerge“) an.

Aber kann es für ein bestens beleumundetes, subventioniertes Opernhaus in der deutschen Hauptstadt in Sachen Kinderoper nur darum gehen, einen Blockbuster nach dem anderen zu landen und sich dafür feiern zu lassen? Muss die Komische Oper angesichts des skandalösen Unterangebots an kindgerechten Kulturangeboten in der wachsenden Stadt solche Angst vor mangelhafter Auslastung ihrer Kinderopern haben?

Nein. Oper darf unbedingt schön und süffig sein, und dazu darf sie sich in ihrer musikalischen Schönheit auch mal quer zur Szene stellen, wenn es künstlerisch notwendig ist. Wenn solche merkwürdigen Eigenschaften des Musiktheaters via „Jim Knopf“ nicht zur Geltung kommen sollten – was nicht bewiesen ist –, dann sollte man sich anderen Stoffen zuwenden. Die Kinder in Berlin kommen mittlerweile auf jeden Fall.

Komische Oper, Behrenstraße. Weitere Vorstellungen 4., 9., 14., 17. und 30. Nov. 8., 9., 10., 11., 13., 16. und 26. Dez. 2019. 10., 24., 27. Jan. sowie 6. und 24. Feb. 2020.