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„Don Carlos“ in Stuttgart: Sekt zum Autodafé

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Olga Busuioc mit Massimo Giordano: Elisabeth und Carlos haben begriffen, dass ihr wenige Minuten alter Liebestraum geplatzt ist.
Olga Busuioc mit Massimo Giordano: Elisabeth und Carlos haben begriffen, dass ihr wenige Minuten alter Liebestraum geplatzt ist. © Matthias Baus

Stuttgart spielt Giuseppe Verdis „Don Carlos“ in der Langversion und belegt, wie sehr sich das musikalisch und dramaturgisch lohnt.

Die Oper Stuttgart bietet Giuseppe Verdis „Don Carlos“ in der französischen Fassung und wirklich in der langen Version. Mit dem unverknappten Fontainebleau-Akt, der seine dramaturgische Raffinesse und Triftigkeit ausbreiten kann – das leidende französische Volk, das auf den Friedensschluss angewiesen ist, auch wenn er auf Kosten des Lebensglücks der Prinzessin geht; die Prinzessin und der Infant, die sich wie von ungefähr begegnen, in einer hinreißenden Szene sofort und ganz glaubwürdig ineinander verlieben. Überwältigt sind sie ja nicht zuletzt vom märchenhaften, unerwarteten Glück, dass eine Vernunftehe so schön und froh sein könnte; das Unglück schließlich, das nur Minuten später hereinbricht, indem sich der König von Spanien selbst zur Eheschließung mit der jungen Elisabeth entschlossen hat. Sie können es nicht glauben, sie denken, sie hätten sich verhört.

Alles was ohne diesen Akt Behauptung bleiben muss – dass Carlos und Elisabeth denken mussten, es sei genau richtig und vernünftig, sich zu lieben, und auf einmal wäre es Hochverrat und Sünde –, bekommt man hier vorgeführt. Inklusive einer ergreifenden Chornummer, die verdeutlicht, wovon „Don Carlos“ auch erzählt: Die oberen zehntausend sind unglücklich, aber das Volk verhungert.

Ebenfalls beibehalten beziehungsweise wieder eingefügt wurde die Ballettmusik mit dem großen Violinsolopart. Das ist ein überraschendes Stück in einer Oper, und hier wurde es sogar noch verlängert durch den unverzüglich angehängten „Pussy-(r)-Polka“ von Gerhard E. Winkler von 2015. Das muss den Gegnerinnen und Gegnern von Fremdeinschüssen in Musikwerken (und wir sind viele und wir haben recht) hanebüchen vorkommen. Tatsächlich handelt es sich hier um einen glücklichen Einfall, auch um eine Trouvaille, weil der Stuttgarter GMD und Dirigent des Abends, Cornelius Meister, bemerkt hat, dass Winkler das Finale aus eben jener Verdi-Ballettmusik zitiert. Wie die Dinge liegen – und Ballettmusiken setzen sich ja oft aus verschiedenen Passagen zusammen – stört das nicht, bereichert die Anspannung des Augenblicks (kurz vor dem Autodafé) mit einer erhöhten Gegenwärtigkeit: nervös, flitschend, pfeifend, dabei natürlich tanzbar.

Getanzt wird freilich nicht. Der Regieeinfall, eine Schar kleiner und nicht ganz so kleiner Kinder, brav gekleidet, spielen, marschieren und die Menschenverbrennung durch eine Puppe vorwegnehmen zu lassen, ist nicht schlecht, aber dann auch nicht gewichtig, raffiniert oder böse genug angesichts der Länge der dafür zur Verfügung stehenden Zeit. Ein charakteristischer Moment eines Abends, der musikalisch alles bietet – Meister hat sich und die seinen nicht nur akribisch vorbereitet, sondern findet mit dem fulminanten Orchester, dem kraftvollen, biegsamen Chor und einem glänzenden Ensemble jetzt auch den großen Bogen. Szenisch ist das ästhetisch ansprechend und bleibt doch weit hinter der Kraft der Musik und der genialen, hier so sorgsam ausgebreiteten Dramaturgie des Werkes zurück.

Interessant, dass es der Plan der Regisseurin Lotte de Beer und ihres Ausstatters Christof Hetzer war, die Handlung zu enthistorisieren und maßvoll in eine Zukunft zu verlegen. Sie bleiben an dieser Stelle nämlich auf ähnliche Weise im Vagen und Ertraglosen, wie es soeben in der Frankfurter „Lady Macbeth“ (FR von gestern) zu erleben ist: Es stört nicht, es sieht sogar ganz gut aus, aber es treibt die Wirkung oder Interpretation auch nicht voran. Sichtbar, erahnbar wird es auch in Stuttgart bloß am schwarz uniformierten, gesichtslosen Wachpersonal mit den gelinde futuristischen Schlagstöcken.

Und auch hier wird zuweilen, wie aus dem Nichts, ein Smartphone eingesetzt, diesmal ist es die gewaltsam geöffnete „Schatulle“ der Königin, in der Elisabeth unter anderem bekanntlich Carlos’ Bild bewahrte.

Die sparsamst eingerichtete Bühne wird von einer rotierenden dunklen Wand beherrscht, steht sie vorne, wirkt sie wie ein abweisender Quader. Fataler die Entscheidung, das Autodafé nicht nur seines Katholizismus komplett zu berauben (Mordbuben gibt es freilich überall), sondern es in eine festliche Sommergartenfestgesellschaft zu verlegen. Die pastellfarbenen Abendgarderoben legen das jedenfalls nahe, auch wird Sekt gereicht. Merkwürdig: Gerade für die Zukunft lassen sich – und wurden in Film, Fernsehen und Buch schon reichhaltig vorgeführt – Zwangsgesellschaften aller Art vorstellen. So jedoch bleibt an dieser Stelle vom Schrecken nichts mehr übrig als die Musik, die eine andere, pechschwarze sowie fanatisch lodernde Geschichte erzählt.

Entfällt die Wirkung der gesellschaftlichen Gesamtkonstruktion nicht vollständig, aber weitgehend, so sind die Figuren von de Beer mit konventioneller Intensität, aber mit Intensität gezeichnet. Olga Busuioc ist eine hinreißende, natürliche Elisabeth, deren jugendlich leichter und doch fülliger Sopran sich mit dem tüchtig italienisierenden Tenor von Massimo Giordano aufs Überzeugendste verbindet.

Goran Jurics Philipp entstammt einer anderen, finster traurigen Welt, der Versuch de Beers, ihn und Elisabeth trotzdem in ein herkömmliches Ehebett zu legen, leugnet eine Entfernung, die eben weit größer ist als die zwischen zwei nicht so glücklichen Eheleuten wie du und ich. Enorm die Eboli von Ksenia Dudnikova, die in ihrem hier mächtigen, prächtig gearbeiteten Auftrittslied als leicht angeödete Quälerin ihrer harmlosen Mithofdamen fungiert.

Die eigenwilligsten, die maßstabbildenden Figuren aber: Björn Bürgers lebenszugewandter Posa, auch er mit leichter, junger Stimme, und wie hätte sein sympathischer Auftritt erst in einer steiferen, beklemmenderen Umgebung wirken können. Und Falk Struckmann als Großinquisitor von wotanischer Gesamterscheinung. Behaglich isst er einen Apfel, während um ihn herum alles nach seinem Willen verläuft. Das Böse ist gerade nicht unnahbar, im Gegenteil, schon gibt es seinem Opfer lächelnd einen Kuss.

Staatsoper Stuttgart: 8., 10. November. www.staatsoper-stuttgart.de

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