„Es gibt keine richtige Liebe in einer falschen Welt“, betont der Frankfurter Schauspielintendant und Regisseur Anselm Weber und macht diese Aussage zum Leitspruch seiner Lady Macbeth von Mzensk. Diese falsche Welt ist eine verrohte und freudlose Gesellschaft, die hier unbeschönigt dargestellt wird. Korruption, sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch und Gier bestimmen das Streben der Personen. Die Bühne wird zum gesetzlosen Raum, zum Nährboden für patriarchale Strukturen, toxische Männlichkeit und Unterdrückung der Schwachen.

Basierend auf der Novelle Lady Macbeth aus dem Landkreis Mzensk von Nikolai Leskow schrieb der Librettist Alexander Preis eine Oper, die mit ihrer Titelfigur ein abschreckendes Beispiel weiblicher Sinnlichkeit und deren Folgen darstellen sollte. Zwischen Mord und Beischlaf, Eros und Gewalt bewegt sich Katerina Ismailova, wird aber in Anselm Webers Inszenierung weniger zur Urheberin ihrer Taten, als vielmehr Opfer der äußeren Umstände. Es ist die Kritik an einer ganzen Gesellschaft, nicht einer einzelnen Person, die Weber interessiert. In dieser ist Katerina Täter und Opfer zugleich.

Diese Gesellschaftskritik lässt sich auch in die Zeit der Entstehung Schostakowitschs Oper übertragen. Geprägt von den stalinistischen Säuberungen, einer scharfen Zensur der Kunst in der Sowjetunion und Kritik an seiner bis dahin ungehörten Musik, litt der Komponist auch unter einer unfreien Gesellschaft, wie sie in Webers Produktion thematisiert wird.

Visuell ist das Geschehen in einem riesigen, silo- oder meilerförmigen Raum angesiedelt. Grau, fensterlos und klaustrophob erdrückend wird es der Ort der unerfüllten Wünsche und Sehnsüchte Katerinas. Dystopisch, geradezu postapokalyptisch wirkt die Handlung in dieses Bühnenbild von Kaspar Glarner eingebettet und in der alle verroht und brutal agieren.

Allein Katerina scheint sich ihre Hoffnung auf ein besseres Leben bewahrt zu haben. Die einzige Realitätsflucht bietet ihr eine Virtual-Reality-Brille, die sie dem trostlosen Grau entfliehen lässt und die Bühne – dank der Videoprojektionen Bibi Abels – mit Kirschblüten ausfüllt. Womöglich die einzige Sehnsucht, aus einer Welt zu fliehen, in der nichts gedeihen kann. Ebendiese Videos, die auch den zugegebenermaßen rabiaten Liebesakt zwischen Katerina und Sergei untermalen, gipfeln sich orgiastisch und mit schnellen Schnitten flimmern die Bilder über die Bühne: aufblühende Rosen, sprießende Knospen, vom Tau feuchte Blütenblätter und dazwischen volle Lippen, weibliche Brüste und phallusförmige Blüten und entfalten sich aphrodisierend zu botanischen Pornografien.

Erotik wird in der Oper jedoch stets mit Gewalt gleichgesetzt und so wird dieser Akt nur vordergründig zur sexuellen Befreiung, die aber keine ist. Denn Katerina Ismailovas Lieben ist nie frei oder unbeschwert. Stets schwingen Betrug, Gewalt und Unterdrückung mit – fern von wahrer Erotik und Zärtlichkeit.

Anja Kampes lyrischer, geradezu Optimismus verheißender Sopran strahlte mit ungeahnter Leichtigkeit. Trotz der Ambivalenz ihrer Figur, kann man nicht umhin, Mitgefühl für Katerina zu entwickeln. Möglicherweise ist es das die Oper eröffnende Arioso, in der sie sich nach Freiheit sehnend von ihrem langweiligen, trostlosen Leben singt. Dies interpretierte Anja Kampe mit eindringlicher Tiefe, die Traurigkeit Katerinas im Kern ergründend. Katerinas Liebhaber Sergei, gesungen von Dmitry Golovnin wartete mit einem bereitem Register und kraftvolle Stimme auf. Der Tenor wusste auch darstellerisch als Schürzenjäger die Frauen zu umgarnen und letztlich auszunutzen. Evgeny Akimov spielte die Rolle des betrogenen Ehemanns Sinowi mit ephemerer Oberflächlichkeit, der Figur aber dennoch angebrachter klischeehafter Übertreibung.

Sein Vater, Boris Ismailow, wurde von Dmitry Belosselskiy geradezu vortrefflich proträtiert. Als durch und durch scheußlicher Patriarch – gewalttätig, herrschsüchtig und sadistisch – war er der wahrgewordene Albtraum Katerinas. Der durchschlagkräftige Bass mit raumgreifender Stimme lehrte einem das Fürchten und seine Bühnenpräsenz war unübertroffen.

Auch den kleinen Rollen hat Weber mit wenigen Mitteln nicht karikierende, stattdessen aber präzise gezeichnete Charaktere gegeben. Peter Marsh als „Der Schäbige“, der mit gewohnt klangschönem Tenor trunken über die Bühne taumelte. Zanda Švēde als intrigante Sonjetka mit weichem Mezzo. Und der Pope, den Alfred Reiter mit buffoesquem Witz und Selbstironie verkörperte.

Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter Leitung Sebastian Weigles interpretierte die Musik Schostakowitschs eindrucksvoll reichhaltig und bot trotz des bitteren Sujets ein immens hörenswertes Vergnügen. Mit seinem spannungsreichen und diversifizierten Dirigat wusste Weigle stets die richtigen Stimmungen zu erzeugen. Intuitiv wechselte er zwischen lyrischen Rhythmen und brutaler Kakophonie, zwischen zärtlichen Momenten und imposant ekstatischen Orchesterzwischenspielen und schuf so eine ausdrucksstarke, dennoch feinfühlige musikalische Bildsprache. Der Chor der Oper Frankfurt unter Leitung Tilman Michaels trat ebenso überzeugend mit scharfer Durchschlagskraft und stimmlicher Intensität auf.

Anselm Weber zeichnet das Porträt einer Gesellschaft, die sich unweigerlich selbst zu Grunde richtet. Letztlich vermisst man in Webers Konzept das der Oper innewohnende drastische, schockierende. Er schöpft nicht das gesamte (Gewalt)potenzial der Oper aus und drückt sich visuell vorhersehbar aus: Die korrupte Polizei ist wie erwartet korrupt und der sadistische Schwiegervater wie erwartet sadistisch. Anselm Weber zeichnet klare Personen, schafft aber mit seiner Bildsprache keine unerwartete oder neue Sicht auf das Werk.

Am Ende singt der Gefangenenchor „Unsere Gedanken sind freudlos, und die Wachen sind herzlos“ und so bleibt den Figuren nur der Traum von einem besseren Leben, der sich für Katerina Ismailova nie erfüllen konnte.

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