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„Tosca“ am Gärtnerplatz: Ins Schwarze getroffen

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Römisch-katholischer Albtraum mit Scarpia (Noel Bouley) und Tosca (Oksana Sekerina).
Römisch-katholischer Albtraum mit Scarpia (Noel Bouley) und Tosca (Oksana Sekerina). © Foto: Christian Pogo Zach

Braucht München noch eine „Tosca“? Die Premiere am Gärtnerplatztheater beweist: unbedingt.

München - Gepriesen sei der Herr, mit allen Engeln, Aposteln, Propheten und sonstigen Abteilungen. Und wer sich dem ultimativen Lobgesang verweigert, beugt spätestens jetzt das Knie. Nicht ein Bischof, nicht zwei, nein: Ein Dutzend Würdenträger ziehen hier ein zum „Te Deum“ im Zwie- und Gegenlicht. Eine dumpf-schwarze Schreckensvision, ein römisch-katholischer Albtraum, zu dem Puccini mit den letzten Takten des ersten Akts ja die passende Brutalo-Musik geliefert hat. Weniger um Barmherzigkeit geht es schließlich, als vielmehr um Gewalt.

Eine dieser „Tosca“-Schlüsselstellen ist das, an denen ein Regisseur auspacken darf. Und gemessen nicht nur an jenen Minuten, passiert während dieser Premiere sehr viel Richtiges, Eindrückliches. Stefano Poda hat sich den Thriller in Personalunion als Regisseur, Ausstatter und Lichtdesigner vorgenommen. Zweimal hat der Italiener schon geübt, in Klagenfurt und Wuppertal, das Gärtnerplatztheater bekommt also eine mutmaßlich verfeinerte Variante des Konzepts.

Alles in malerische Düsternis getaucht

Wo bei Puccini laut Libretto das rund 15-stündige Geschehen am Nachmittag des 17. Juni 1800 startet, hat sich bei Poda längst die Sonne verfinstert. Nicht nur aus dem bühnenhohen Einheitsraum, auch aus Hirnen und Seelen ist das Licht gewichen. Was Poda schafft: die heikle Gratwanderung zwischen Realismus (den Puccini ja vorgab) und Stilisierung. Ein monumentales, querliegendes Kreuz markiert die Kirche, für Scarpias Herrschaftszentrale reicht ein langer Tisch, im Finalakt senkt sich ein martialisches Gittergerüst herab und ein riesiger, gefiederter Flügel: Adler oder gefallener Engel, gemeint ist wahrscheinlich beides.

Cavaradossis Keller-Folterung, sonst ins Off verbannt, sieht man per hochgefahrener Bühne, dafür vollzieht sich später seine Hinrichtung für alle unsichtbar. Ständig dampft und wabert es durch diese auf ein Zimmer zusammengezwungene Rom-Düsternis. Podas Scheinwerfer-Spiel ermöglicht virtuose Lichteffekte – nicht nur, wenn sich mal wieder einer von Scarpias Häschern aus dem Dunst materialisiert. In eine malerische Düsternis sind diese zweieinhalb Stunden getaucht bis hin zum Detail: Wälzt sich die einer Vergewaltigung entronnene Tosca am Boden, ist das rote Haar sorgsam zur Korona drapiert.

Blick in die Kompositionswerkstatt

Das also könnte man Stefano Poda vorwerfen. Einen Hang zur Ästhetisierung, zum animierten Fotoalbum, eine (Selbst-)Verliebtheit in die Nachtschattengewächse seiner szenischen Fantasie. Doch man bleibt dran an den starken Bildern und am Kräftedreieck der Protagonisten, die sich hier mehr umkreisen, an- und abstoßen als begegnen. Vereinsamte sind sie. Tosca, von Oksana Sekerina mit Aplomb und Verismo-Dramatik statt Feintuning gesungen, ist mehr Ikone und Fremdkörper in dieser Kerle-Welt. Cavaradossi, den Artem Golubev mit durch Indisposition gebremster, gedeckter Dramatik gestaltet, wird mit entblößtem Oberkörper zum Ecce-Homo-Zitat. Einziger (Un-)Mensch aus Fleisch und Blut scheint Scarpia. Noel Bouley, vom Typ eine Mischung aus Kelly Family und Altrocker, hat dafür den passend virilen, auch in Extremlagen kernig-flexiblen Bariton. Levente Páll gibt den überpräsenten Macho-Mesner, Chor und Kinderchor bleiben trotz Wucht und großer Besetzung homogen.

Im kleinen Gärtnerplatz-Graben lässt sich nichts symphonisch verkleistern. Anthony Bramall und das Orchester liefern eine „Tosca“ wie entblößt, schlank und reaktionsschnell, mit kantigem Furor. Die dunkle Tinta, die bassige Grundierung mag fehlen. Dafür gibt es einen Blick in Puccinis Werkstatt. Auf eine ungewollte Weise hört sich das anders an, als die umwaberte Bühne aussieht. Stefano Podas geschlossene, schlüssige Ideenwelt, die sich dem Stück eher von außen nähert und über die Ästhetik, mag – auch das eine Pointe – besser zum derzeitigen Staatsopern-Stil passen. Im kleineren Haus, als unmittelbarere Konfrontation mit dem Bühnengeschehen, wirkt das jedoch viel intensiver, fast körperhafter. Verträgt also München zwei „Toscas“? Die Frage hat sich mit dieser Premiere von selbst beantwortet.

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